Reportage

Fall Gaucke: „Die Zeit macht die Wunden schärfer“

Karen Gaucke und ihre Tochter Clara, etwa sieben Monate alt. Das Foto ist undatiert.

Karen Gaucke und ihre Tochter Clara, etwa sieben Monate alt. Das Foto ist undatiert.

Hannover. Die Tochter ist überall präsent. Auf dem großen Foto an der Tür zum ehemaligen Kinderzimmer. Über einem Handtuchhaken im Badezimmer steht immer noch der Name Karen. Auch nach zehn Jahren - für die Mutter Gabriele Gaucke bedeutet das zehn Jahre Leiden.

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„Frau Gaucke, man sagt, die Zeit heilt die Wunden. Stimmt das?“ Der Satz macht sie wütend, das sieht man der 81-Jährigen sofort an. „Die Zeit macht die Wunden schärfer, das habe ich bemerkt“, sagt sie bestimmt, „der Verlust ist derselbe wie vor zehn Jahren, die Grausamkeit der Tat ist immer noch da.“

Gabriele Gaucke sitzt in ihrer großen Wohnung in der Nähe von Freiburg, der Blick auf den Schwarzwald ist herrlich. Auf einem Sessel vor ihr sitzen ein Teddy und eine kleine Eule. Die Enkelkinder haben die Stofftiere mitgebracht - der Teddy steht für Karen, die Eule für Clara. „Die Kinder haben das so gut verarbeitet“, sagt die Großmutter. Sie holt ein kleines Büchlein hervor, gestaltet von den Enkeln und ihren Eltern - Karen Gauckes Bruder und seiner Frau. Darin wird die Geschichte ihrer Tante Karen in bunten und kindgerechten Bildern erzählt. Davon, dass sie sie gern in Hannover besucht haben, dass sie in ihrer Wohnung getötet wurde. Zu ihrer Cousine schrieben die Kinder: „Was mit Clara passiert ist, wissen wir nicht genau. Wahrscheinlich ist sie auch tot.“

Bilder wie diese tun ihr gut. Aber natürlich kommen dann auch wieder die anderen, die schlimmeren vor. Die Bilder, die sie sich ausmalt, weil sie nie erfahren hat, was genau mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin passiert ist. Die Bilder aus dem Gerichtssaal, als sie dem Mörder gegenüber saß, der aber beharrlich schwieg - und der ihr Leben immer noch stark beeinflusst. Das merkt man an Sätzen wie diesen: „Die Erinnerung ist wie ein Fenster, durch das ich Karen sehen kann, wann immer ich will. Aber dann verdunkelt der Mörder das Fenster.“

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Gabriele Gaucke lebt inzwischen allein, ihr Mann Hans starb im August 2013: „Den konnten wir wenigstens beerdigen. Da habe ich die Unterschiede bei den Toden gemerkt.“ Wenn sie das Grab ihres Mannes besucht, das direkt neben dem Grabstein liegt, der an Karen und Clara erinnert, merkt sie auch, dass die Tat in ihrer Heimat nicht vergessen ist. „Ich nenne sie die Friedhofsfrauen. Sie fragen mich häufiger, ob es etwas Neues gibt.“ Gibt es aber nicht, die Leichen bleiben verschwunden.

Das Alleinsein mache ihr nichts aus, sagt sie: „Ich kann gut für mich sein. Ich lese immer noch wahnsinnig viel - und habe große Freude am Anblick der Natur hier rundum.“ Und sie denkt viel. Vor allem an Karen: „Ja, ich ertappe mich oft, dass ich was erlebe und denke: Oh, das muss ich Karen erzählen.“ Sie habe schöne Erinnerungen an ihr „ganz besonderes Mädchen“. Aber: „Dann schiebt er sich wieder dazwischen, wie ein dunkler Vorhang.“ Er, der verurteilte Mörder.

Sie erinnert sich auch noch häufig an den Prozess im Landgericht Hannover, der in ganz Deutschland große Beachtung fand: „Ich hatte Angst, dass die Verhandlung nicht so läuft, wie wir es gehofft hatten. Dass er aus Mangel an Beweisen freigesprochen wird. Wie erleichtert war ich, als der Richter die besondere Schwere der Schuld feststellte.“

Sie denkt auch an die Mutter des Täters, die ihren Sohn verloren hat durch Hodenkrebs: „Sie tut mir leid, ich habe ihr geschrieben nach dem Tod ihres Sohnes.“

Gabriele Gaucke hat viel ge-schrieben über die schwere Zeit, und sie hat viele Briefe bekommen: „Diese Anteilnahme hat mich sehr gerührt, das hat mir sehr geholfen.“ Alles ist ordentlich abgelegt, viele der Zettel werden immer wieder von ihr herausgeholt.

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Mittwoch trifft sich wieder die Familie in ihrer Wohnung, dann ist der zehnte Todestag. An dem und an den Geburtstagen von Karen und Clara kommen sie zusammen. „Wir feiern die Tage“, sagt sie, „wir zünden Kerzen an und denken an die beiden.“

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