Unantastbar? Gar nicht so sehr
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Auf Tuchfühlung: Für die Fans im Capitol und den heimischen Tätowierer ist Sänger Joggl gar nicht unanstastbar.
© Quelle: Samantha Franson
Hannover. Im zweiten Song fällt das Mikrofon einfach mal aus. Unantastbars Schrei-Rock verwandelt sich in ein non-verbales Instrumental-Stück. Der Roadie tauscht das defekte Gerät aus, und dann wird richtig aufgedreht. „Hannover, wo sind die Hände?“ fordert Joggl die Fans.
„Ich habe mein Buch mit meinem Blut geschrieben“ bellt er in das Capitol zum Song „Solange unser Herz noch schlägt“. Auch seine Mitmusiker schreien jetzt in ihre Mikrofone. Joachim „Joggl“ Bergmeister ist ein ganzkörper- und gesichtstätowierter Sänger. Eher fein und schmächtig, gar nicht angsteinflößend. Zu Beginn der 2000er Jahre hatte er Schlagzeug bei der Rechtsrockband Kaiserjäger aus Südtirol gespielt. Die Band, in der sich auch Philipp Burger von Frei.Wild austobte. Das wird Bergmeister heute noch vorgeworfen, einzelne Veranstalter sind von Unantastbar abgerückt.
Für die Unantastbaren sind das harmlose Jugendspinnereien, sie sind gegen politischen Extremismus. Die gut 1200 Zuschauer im Capitol interessiert es ebenfalls nicht, sie feiern die Songs, die – zumindest musikalisch – an die Toten Hosen und an Frei.Wild erinnern.
Seit 15 Jahren spielen sie schon zusammen, Hannover ist der Tour-Opener. Gitarrist Christian Heiss hat Freudentränen in seinen Augen: „Wir machen voller Stolz Musik für euch!“ Und „Egal, mir scheißegal – ihr könnt mich alle mal“, tobt das Publikum, es soll aber keine Antwort auf seine emotionale Aussage sein.
Publikum und Band gefallen sich in der Opferrolle. Sie „verschließen die Augen, nur um frei zu sein“, klagen sie in ihrem Lied „Bis nichts mehr bleibt“. Wir gegen die, die gegen uns: „Meine Antwort war der Mittelfinger“, poltern sie in „Gegen den Strom“. Doch „Bei Gott“, Unantastbar sind treu und familiär. Das Lied „Schlaflos“ haben sie für ihre Freundinnen geschrieben.
Nun entern die Fans die Bühne. Nico und Julia werden nicht die einzigen bleiben, die „auf den Brettern, die die Welt bedeuten“ mitsingen dürfen. Gut 30 Leute werden durchgereicht. Die dürfen singen, saufen, tanzen. „Dein Leben, deine Regeln, dein Gesetz“, „Lass sie reden, lass sie schreien“: Die Texte laufen auf dem Teleprompter, so jung sind ja nicht mehr, macht Joggl klar. T-Shirts fliegen auf die Bühne, die Mittelfinger werden oft bemüht, spielerisch sind Unantastbar ein rockiges, kompaktes Quintett.
Die Fans filmen ihre Helden ohne Unterlass, „Oh wie ist das schön!“, singen sie alle gemeinsam: „Lasst uns das Glas erheben, lasst uns trinken, lasst uns feiern“. Zum Finale werden gut 20 Fans auf die Bühne gewuppt, Joggl bläst in seine Mundharmonika. „Leben Lieben Leiden“ ist das Motto der Südtiroler Punkrocker, und das macht sie eigentlich so gar nicht unantastbar für ihre Fans.
Von Kai Schiering
NP