„Thanks for the Dance“ – so sind die letzten Songs von Leonard Cohen
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Vollendeter Gentleman: Leonard Cohen, 2016 im Alter von 82 Jahren, war einer der bedeutendsten Songwriter der Popmusik. Jetzt erscheint sein postumes Album „Thanks for the Dance“.
© Quelle: dpa
„Ich habe immer beständig gearbeitet, / aber ich habe es nie Kunst genannt. / Meine Depression habe ich gefördert, / indem ich Jesus traf und Marx gelesen habe.“ Mit diesen Versen einer Lebensbeichte begann „Die Flamme“, der letzte Gedichtband von Leonard Cohen, der im Vorjahr erschien. Und mit diesem metaphernreichen „Happens to the Heart“ (es stößt dem Herzen zu) beginnt nun auch „Thanks for the Dance“, das soeben veröffentlichte erste postume Album von Cohen, des kanadischen Grandseigneurs der Popmusik, der im Herbst 2016 im Alter von 82 Jahren verstarb. Aus dem Gedicht ist nun ein Song geworden, aus dem schweren, dunklen Wort „depression“ ein lockeres „shit“.
Dass der kühne Cohen-Übersetzer im Buch wertend ein deutsches „redlich“ für „steady“ (beständig) gewählt, „Depression“ durch „Kummer“ ersetzt hat und im englischen „panther“ tatsächlich einen „Mähnenwolf“ auszumachen glaubte (wow!), obwohl bei Cohen von einer schwarzen Raubkatze die Rede ist – geschenkt. Übersetzer sind im schlechtesten Fall Dichter in eigenem Recht, über ihre Freiheiten lässt sich trefflich streiten. Aber bei einer Schallplatte, einem Popsong sind sie nicht zugelassen. Einen Song übersetzt man seit je für sich mit dem Herzen des suchenden Hörers, der außer den Worten des Dichters ja immer auch die Stimme des Sängers zur Verfügung hat. Über eine starke Stimme wie der Cohens kann man zum innersten Kern eines Lieds vordringen, der oft jenseits von Worten liegt.
In dem Video zu „Happens to the Heart“ folgt die Kamera in zunächst respektvoller Distanz einem Mann einen herbstlichen Waldweg entlang. Von Statur und Kleidung könnte der Wanderer im Nebel der alte Leonard Cohen sein, aber es ist, als die Kamera gleichauf zieht, ein junger Mann, der seinen Hut ins Unterholz wirft, der beginnt, sich seiner Garderobe zu entledigen, und der dabei schwer gegen seine Tränen ankämpft. Ein buddhistischer Mönch tritt dem Entblößten schließlich aus dem Nichts entgegen, hüllt ihn in eine Kutte, und auf einem Plateau versinkt der Protagonist in Meditation und beginnt schließlich, über dem Fels zu schweben. Es ist die Erzählung von Leonard Cohens Leben. Ein Mensch ist gegangen, gegangen, gegangen, dabei mehr als einmal verzweifelt – und angekommen.
Das Video solle durchaus auch an seinen Vaters erinnern, sagt Adam Cohen, 47-jähriger Sohn von Leonard Cohen, der „Thanks for the Dance“ produziert hat, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Happens to the Heart“ sei das „Hallelujah“ seiner späten Jahre gewesen, „das zentrale Gedicht“. Wie bei jenem habe sein Vater auch bei diesem endlos Strophen verworfen und dazugenommen, habe „den Marmor des Songs weidlich bemeißelt“. Zu hören sei nun die einzige Tonaufnahme dieses Stücks, die existiere.
„Ich vermisse ihn jeden Tag“, sagt Cohen, der in den letzten Lebensmonaten seines Vaters eine möblierte Garage in der Nähe von dessen Haus in Los Angeles bezogen hatte, um für ihn da zu sein und mit dem schwer an Leukämie Erkranken an dem Vorgängeralbum „You Want It Darker“ zu arbeiten. „Er wusste damals, dass es das letzte sein würde, dass es für ihn keine Hoffnung mehr gab.“ Sieben Monate habe er gebraucht, ehe er in die Garage zurückkehren konnte, um den Auftrag seines Vaters zu erfüllen, die fehlende Musik zu den verbleibenden Liedern zu gesellen.
Neun Songs enthält „Thanks for the Dance“, das Album ist kaum eine halbe Stunde lang. Cohen, Sohn einer jüdischen Familie, der Religionen, Liebe, Eros und die Philosophen studiert hat und mit 70 Jahren im Buddhismus seinen Frieden fand, feiert im Titelsong zu bedächtiger „Blasmusik“ die Schönheit und die Selbstvergewisserungskräfte der Liebe im Walzertakt („I was so I, / and you were so you“), beschwört in „The Night of Santiago“ die Macht des Eros („I took her to the river / like any man would do“) und besingt im geisterhaft instrumentierten „It’s Torn“ die Traurigkeit letzter Abschiede („You gave me a lily / and now it’s a field“).
Sein Vater sei mit ihm gewesen in der Garage, definitiv. „In diesem Raum zu sitzen mit seiner Stimme, die über die Lautsprecher kam, das war in vielerlei Hinsicht eine Konversation mit ihm, ein Weg, in seiner Gesellschaft zu bleiben. Es war eine Gemeinschaft. Es fühlte sich an, als gäbe er mir Instruktionen, wie ich das Album abschließen könnte.“
Meist begleitet die Stimme von Leonard Cohen ein eisighelles oder dunkel trauerndes Piano, erklingen die Saiteninstrumente seines langjährigen Begleitmusikers Javier Mas oder es murmelt leise eine Orgel. Echte Instrumente statt der pluckernden Synth-Instrumentierung, die auf mancher seiner Platten störend wirkte. Oft umschmeicheln den Sänger auch hier wieder die Frauenchöre, die schon so vielen Cohen-Songs etwas Elysisches verliehen. Sängers Stimme schwebt in diesen Liedern über den Instrumenten fast wie der junge Mann im Video – mehr sprechend als singend, mehr wispernd als sagend. Es sind Lieder, die wie Gebete klingen.
Adam Cohen ist nun frei. Obwohl er seinen Vater vermisse, sei da immer auch die Dankbarkeit, ihn gehabt zu haben. „Und anders als andere Kinder habe ich immer noch seine Stimme.“ Dem musikalischen Danke für den Tanz des Lebens würden keine weiteren postumen Platten mehr folgen. „Es ist nichts mehr übrig. Dies sind definitiv die letzten Songs von Leonard Cohen“, sagt Adam Cohen, der sich nach fünf Jahren seinem fünften Soloalbum widmen könnte, dem Marmor eigener Lieder, „wenn ich den inneren Frieden dazu finde, die Klarheit und den Mut“. Die letzten Worte des letzten Songs seines Vaters werden wir vielleicht irgendwann beherzigen: „Hör dem Kolibri zu, / dessen Flügel du nicht siehst“, rät er seinem Hörer, „hör dem Kolibri zu / und nicht mir.“ Einstweilen ist da aber dieser betörend schöne Nachlass aus Cohens Tower of Song.
In der letzten Strophe des Gedichts „Happens to the Heart“ kokettiert Cohen, nachdem er das Leben ausgiebig als Weg aus Liebe und Kampf geschildert hat und er – indem er einem Engel des Teufels Fiedel in die Hand gedrückt und den Teufel mit des Engels Harfe ausgestattet hat – auch noch über die Grauzonen von Gut und Böse, Wahrheit und Lüge räsoniert hat, mit der Bedeutung dessen, was er selbst nie Kunst nannte: „Sicher ist es gescheitert, mein kleines Feuer, / aber er ist hell, der sterbende Funke. / Lauf und erzähl dem jungen Messias, / was mit dem Herzen geschieht.“ Und wenn er das flüstert, mit dieser Stimme aus Mokka und Marmor, fühlt man sich wie der Betrunkene im Mitternachtschor in seinem Klassiker „Bird on a Wire“ – aufgehoben. In Wahrheit ist Leonard Cohen unsterblich geworden, und die Rücken der Bücher und die Hüllen der Alben dieses Täufers wird man noch lange dankbar streicheln. Was mit Cohens Herz geschehen ist? Es schlägt noch, solange Musik abgespielt, gesungen, aufgeführt werden kann. Und ein Messias, der mehr vermag als dieser Täufer – ist weit und breit nicht in Sicht.
Leonard Cohen: „Thanks for the Dance“ (Columbia) erscheint am 22. November.