Serdar Somuncu verabschiedet sich von der Bühne: „Ey, ich hab’ keinen Bock mehr“
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Der Kabarettist Serdar Somuncu spricht im Theater Konstanz während einer Pressekonferenz (Archivbild).
© Quelle: Felix Kästle/dpa
Der Kabarettist Serdar Somuncu hat seinen Abschied von der Bühne bekannt gegeben. „Ich habe – einfach gesagt – keinen Bock mehr“, erklärte der Künstler im Interview mit der Tageszeitung „Welt“.
„Ich habe genug Geld verdient und alles erlebt. Es gibt keinen Reiz mehr, kein Risiko, das ich noch eingehen könnte – und eigentlich auch kein Ziel mehr“, fügte Somuncu hinzu. Ihn „nerven“ die Umstände, die aktuell für öffentliche Personen herrschten. „Ich habe keine Lust mehr, auf eine Bühne zu gehen, während im Publikum Leute sitzen, die alles mitschreiben und sofort auf einer Scheiß-Social-Plattform posten, wenn sie Erregungspotenzial erkennen. Danach habe ich dann fünf Wochen Ärger – nur weil ich genau den Job gemacht habe, den ich seit Jahrzehnten mache.“
„Nicht alle, die die Ukraine-Politik der Bundesregierung kritisieren, sind Rechte oder der AfD nah“
Somuncu habe sich dazu entschlossen, aufzuhören, obwohl „wir in einer Situation sind, in der es wirklich an guter Satire mangelt“, sagt er im Interview. Satire sei noch nie „so angepasst, so brav und so regierungskonform“ gewesen. Dabei habe Deutschland eine „Scheißregierung“. Fest macht der Kabarettist dies vor allem an den Grünen. Die Bundesregierung habe mit Annalena Baerbock eine Außenministerin, „die sich durch die Weltgeschichte stottert und überall Porzellan zerbricht“. Ihre Partei würde Somuncu nicht wählen, da er wisse, „wie schnell sie ihre vermeintlichen Werte über Bord werfen“, erklärte er mit Blick auf die Zustimmung der Grünen zu Waffenlieferungen an die Ukraine. „Nicht alle, die die Ukraine-Politik der Bundesregierung kritisieren, sind Rechte oder der AfD nah, sondern es gibt einen Großteil in dieser Bevölkerung, der das, was sie gerade macht, nicht gut, sogar gefährlich findet“, meint der Künstler.
Für die Erregung in sozialen Netzwerken macht Somuncu eine „Sittenverrohung“ in der Gesellschaft verantwortlich. Es sei „neu“, dass „Auseinandersetzungen, die man früher sinnbildlich auf dem Schulhof geklärt hat“, nun in aller Öffentlichkeit ausgetragen würden. Grenzüberschreitungen würden als „legitimes Mittel zum Zweck gelten, die eigenen Anliegen durchzusetzen“. Schauplatz dieser Überschreitungen seien dann oftmals soziale Medien.
Somuncu kritisiert Künstlerinnen und Künstler
Kritik äußert Somuncu jedoch auch an Künstlerinnen und Künstlern: „Gerade wir darstellenden Künstler haben uns in den letzten Jahren ein bisschen im ‚Naturalismus‘ verloren.“ Man habe sich zu sehr der Realität angenähert, sei „der Sehnsucht gefolgt, immer echter und persönlicher zu werden, damit man uns versteht“. Doch dabei hätten Künstlerinnen und Künstler vergessen, dass sie eigentlich nur Figuren seien. „Manche Künstler haben die Trennungsschärfe verloren zwischen künstlerischer Arbeit und ihrem Selbst.“ Zudem empfinde er den Kulturbetrieb an vielen Stellen als „langweilig“.
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Die Partei schickte Serdar Somuncu 2017 als Spitzenkandidaten in die Bundestagswahl.
© Quelle: imago/Emmanuele Contini
Die Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität falle besonders im Internet schwer, so der Kabarettist. Im Theater gehe man noch durch einen Eingang und wisse dann, dass der Kunstschaffende auf der Bühne eine Fiktion sei. „Im Internet ist das ein bisschen schwieriger zu unterscheiden. Facebook, Twitter und Instagram sind aber auch Bühnen.“ Dort jedoch sei das Publikum anders, kritisiert Somuncu. „Da gibt es Leute, die gar keinen Bock auf mich haben und die nur einen Anlass suchen, um mich irgendwie dumm anzumachen oder irgendeines Fehltritts zu beschuldigen.“ Dieses Publikum sei seiner Meinung nach „asozialer“ geworden. „Manchmal habe ich den Eindruck, wir leben in einer Gesellschaft, die sich ständig gegenseitig ausspioniert und denunziert.“
„Und am Ende stehst du da und sagst: ‚Ey, ich hab’ keinen Bock mehr‘“
Als Beispiel nennt Somuncu seinen Podcast, den er gemeinsam mit seinem Kabarettistenkollegen Florian Schroeder betreibt. In der ersten Folge habe er ein Beispiel für Cancel-Culture liefern wollen und gut zwei Minuten lang „richtig krasses Zeug“ geredet. Er habe darauf gewettet, dass irgendjemand diesen Ausschnitt nehmen und per Twitter ohne Kontext verbreiten würde. „Und genau das ist passiert“, so der Künstler.
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Im nächsten Schritt sei dann sein Arbeitgeber Radio Eins in der Diskussion markiert worden, woraufhin es „nach jeder kleinen Kontroverse“ ein Gespräch mit der Redaktion gebe und die Aufforderung an ihn, sich zu entschuldigen. „Und am Ende stehst du da und sagst: ‚Ey, ich hab’ keinen Bock mehr.‘ Und so ist es bei mir gerade.“
Serdar Somuncu ist ein deutscher Kabarettist türkischer Herkunft. Deutschlandweit bekannt wurde er mit seiner Lesung von Ausschnitten aus Adolf Hitlers Programmschrift „Mein Kampf“, mit der er die faschistische Ideologie analysieren wollte. Später nahm er sich in seinen Auftritten des Themas der Hassprediger an. Im Bundestagswahlkampf 2017 trat der Kabarettist als Spitzenkandidat der Partei Die Partei an. Seine anstehende Tournee „Das Vierte Reich“, die im September startet, soll seine letzte sein.
RND/sic