Eine Bibliothek zum Staunen – und ein Ruhepol im Herzen von Paris
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Blick in den zentralen Lesesaal der französischen Nationalbibliothek.
© Quelle: picture alliance / abaca
Paris. Sobald es 10 Uhr ist und sich die Tür geöffnet hat, eilen die Fleißigen herein, suchen sich einen Platz an einem der Holztische mit den grünen und blauen Lämpchen, klappen ihre Laptops auf und machen sich an die Arbeit. Ein großer, ovaler Rundraum umgibt sie. In den meterhohen Bögen an den Wänden stehen Regale mit Büchern, welche diskret beleuchtet werden. Durch die Rosettenfenster über ihnen und durch die bläuliche Glasdecke fällt das Morgenlicht. Wie schaffen es die Besucherinnen und Besucher, sich in einem so überwältigenden Raum auf ihre Schriften zu konzentrieren? Der „Ovale Saal“ lädt vielmehr zum Staunen ein. Frisch renoviert, ist er als zentraler Lesesaal der französischen Nationalbibliothek frei zugänglich.
Diese dient als riesiges Archiv und verfügt insgesamt über 40 Millionen Werke, darunter neben Büchern auch Karten, Briefmarken, musikalische Partituren, Fotografien, Plakate, Zeitungen und Filme. Die Aufbewahrung von jeweils einem Exemplar eines jeden Werkes ist in Frankreich gesetzlich vorgeschrieben. Doch es sind so viele, dass ein einziger Standort nicht ausreicht. Das war der Grund für den Bau der großflächigen Bibliothek François Mitterrand im Jahr 1994, als dieser noch Präsident war. Seitdem gibt es insgesamt vier Bibliotheksgelände in und um Paris sowie ein weiteres in Avignon. Das prächtigste ist das Gebäude Richelieu im Herzen der französischen Hauptstadt, oberhalb des Palais Royal. Im Jahr 1643 kaufte der Kardinal Mazarin, der Pate des späteren Sonnenkönigs Ludwig XIV., dieses Stadtpalais, das im Laufe der Jahre erweitert und ausgebaut wurde. 1721 wurde hier die Bibliothek des Königs eingerichtet.
Ein Ruhepol im Herzen von Paris
Um die historischen Gemäuer den aktuellen Anforderungen anzupassen, wurden sie umfassend renoviert. Eine modern geschwungene Treppe am Eingang führt die Besucherinnen und Besucher nun in die verschiedenen Bereiche. Zehn Jahre, von 2012 bis Ende 2022, dauerten die Umbauarbeiten, während das Gebäude stets geöffnet blieb, um auch die darin befindlichen Werke zugänglich zu lassen. „Wir verfügen hier über die größte Sammlung an Videospielen Frankreichs und über eine der reichhaltigsten von Fotografien“, zählt Louis Jaubertie, stellvertretender Chef des Richelieu-Projekts an der französischen Nationalbibliothek, auf. Mehr als 20.000 gebundene Werke werden zudem an diesem Standort aufbewahrt, darunter nicht nur klassische Literatur, sondern auch Wörterbücher und Lexika. Außerdem befinden sich hier frei zugänglich 9000 französische und internationale Comics für Kinder und Erwachsene, von frühen Werken aus den 1830er-Jahren bis zum letzten „Asterix-Band“.
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Der Garten der Nationalbibliothek mit einer Fläche von 1900 Quadratmetern.
© Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Regelmäßig finden Lesungen und Führungen unter anderem für Jugendliche statt. Im Eingangsbereich stehen Sessel in quietschbunten Farben, die einen Kontrast zum altehrwürdigen Erscheinungsbild der Einrichtung bilden. „Jede Person, die den Standort Richelieu betritt, soll sich dort am richtigen Ort und willkommen fühlen“, sagt Anne-Élisabeth Buxtorf, Leiterin des Publikumsempfangs. „Die Rolle einer Nationalbibliothek besteht darin, für alle Bürgerinnen und Bürger nützlich und zugänglich zu sein, die Kinder eingeschlossen.“ Seit der Renovierung gibt es ein Café, eine Buchhandlung und einen Garten mit einer Fläche von 1900 Quadratmetern. Mitten in diesem eng bebauten Viertel von Paris ist so ein Ruhepol eine Seltenheit; und er ist nicht sehr bekannt, obwohl er bereits in der Mitte de 17. Jahrhunderts angelegt wurde.
Ein Thron, auf dem Napoleon saß
Zu den Schätzen der Bibliothek gehören außerdem Objekte, die hier im neuen Museum ausgestellt werden: antike Vasen, Münzen, Statuen, historische Bühnenkostüme, aber auch wertvolle Originale, etwa der Oper „Don Giovanni“ von Wolfgang Amadeus Mozart, das Manuskript des „Glöckners von Notre-Dame“ von Victor Hugo oder des Standardwerks „Das andere Geschlecht“ der Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir. Oder auch ein Tragethron aus Holz aus dem 12. Jahrhundert, auf dem Napoleon Bonaparte bereits Platz nahm.
Die Galerien, in denen die Objekte stehen, sind auch für sich genommen eine Schau. Das Staunen, das im „Ovalen Saal“ im Erdgeschoss begann, endet für die Besucherinnen und Besucher erst, wenn sie alle Geschosse gesehen haben.