Ein Abend für Bob Dylan
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In den Welten Bob Dylans: Szene mit Hagen Oechel (vorne) und Valentin Schroeteler (rechts).
© Quelle: Isabel Machado Rios
Hannover. „Dies ist der Anfang meiner Geschichte ...“, hebt die wunderbare Carolin Haupt wieder und wieder an, da ist der Abend in Cumberland fast zuende. In etlichen Versionen beginnt sie ihre Geschichte, sie, als lyrisches Ich von Bob Dylan, also als ganz verschiedene. Und dann schweigt sie, und ihre Mitspieler tun es auch, minutenlang. Schwiegen und Irritation in den Sitzreihen, hier ein nervöses Hüsteln, dort ein unsicheres Klatschen. Das muss man erst einmal aushalten können, wenn sich die Kunst dem Publikum verweigert.
Schauspieler Jonas Steglich hat sich in seiner ersten Regiearbeit, „Dylan: A Changin’“, einem Chamäleon angenähert, dem Musiker und Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan, einer Person, die sich erzählend jeder Erzählung ihres Lebens verweigert, einer Protest-Ikone, die noch gegen diese Vereinnahmung protestierte, indem sie sich entzog. Möglich ist nur eine thematische Annäherung. Glaube und Liebe, Hoffnung und ihre Aufgabe sind die großen Themen, die in erzählerischen Kreisen über diesem schillernden Abend liegen.
Getragen wird er von einem Quartett famos singender Schauspieler – neben Haupt noch Hagen Oechel, Valentin Schroeteler und Sebastian Weiss – und einer dreiköpfigen Band: Christian Decker, Tim Golla und Christoph Keding. Kostüme (Hanna Peter) und Bühne (Peta Schickart) verorten sie in einer morbid-archaischen Westernwelt. Die Klänge bürsten Dylans Folk- und Rocksong modern gegen den Strich, fiebrige Elektronik klingt ebenso an wie HipHop und Sprechgesang. „Like a Rolling Stone“ kommt in einer wuchtigen Punk-Version daher; da greift manch älterer Zuschauer dankbar zum bereitgestellten Gehörschutz. Manche Songs, etwa „All along the Watchtower“, sind nur an den Texten zu identifizieren.
Wanderprediger und andere Hurensöhne treten auf, frisch Verliebte und miteinander Fertige. Aus den Kulissen grüßen derweil Sitting Bull und Captain America. Textlich schöpften Steglich und seine Dramaturgin Sarah Lorenz Autoren von Umberto Eco bis Clemens Meyer ab, was ihnen passend erschien. Eine schlüssige Erzählung entsteht so zwangsläufig nicht, aber ein faszinierender Blick in die Gedankenwelten Dylans und seine Sicht auf ein gebrochenes Amerika Ein Scherbenhaufen als Panoptikum. Dies ist kein wohlfeiler, gutbürgerlicher Liederabend, wie man ihn aus der Ära Schulz kennt. Dies ist eine vielfach verspiegelte, so kluge wie unterhaltsame Annäherung an ein auch gesellschaftliches Phänomen, wie sie die Intendanz Lars-Ole Walburgs auszeichnet.
„The Times they are a-changin’“, singen sie ganz zum Schluss, ein stampfender Marsch, vielleicht in eine neue Zeit, vielleicht auch in eine alte und wahrscheinlich in eine Dimension jenseits aller Zeit. Man nennt sie: Kunst.
Mehr zur Inszenierung finden Sie hier.
Vor der Premiere sprachen wir mit Regisseur Jonas Steglich. Das Interview finden Sie hier.
Von Stefan Gohlisch