„Hätte emotionale Unterstützung gebraucht“: Luisa pflegte schon als Kind ihre schwer kranke Mutter
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Wenn Kinder und Jugendliche ihre Eltern oder nahe Angehörige pflegen müssen, mündet das nur allzu oft in Überforderung und Erschöpfung. (Symbolbild)
© Quelle: Tom Weller/dpa (Symbolbild)
Luisa Hoffmann*, Sie sind schon seit Ihrer Kindheit in die Pflege ihrer kranken Mutter eingebunden. Wie kam es dazu?
Ich bin in meine Situation als junge Pflegende hineingeboren worden, denn meine Mutter hat seit über 30 Jahren Multiple Sklerose. Da gehörte es für mich als Einzelkind früh zum Normalzustand, in die Pflege meiner Mutter mit eingebunden zu sein. Zudem war mein Vater komplett berufstätig und daher auch nicht viel da. Ich habe im Haushalt alles gemacht – kochen, bügeln, einkaufen, Wäsche, Abendbrot für meine Mutter und mich. Später, als es meiner Mutter schlechter ging, kam dann auch noch das Pflegerische dazu – etwa die Unterstützung beim Toilettengang. Heute hat meine Mutter den Pflegegrad 5 – es gibt keinen höheren Grad. Sie ist also körperlich schwerstbehindert und wird mittlerweile von Familie, Freunden und einem Pflegedienst betreut.
Haben Sie sich jemandem anvertraut?
Ich habe mich niemanden wirklich anvertraut. Es hatte damals sowieso niemand Verständnis für meine Situation. Nur als Beispiel: Meine Lehrer wussten eigentlich, dass meine Mutter sehr krank ist, aber wenn ich im Unterricht zusammengebrochen bin und geweint habe, hat mich nachher keiner von ihnen zur Seite genommen und nachgefragt. Meine guten Freunde hatten zwar Verständnis, waren aber mit anderen Dingen beschäftigt. Ich habe sie auch nur selten mit nach Hause genommen. Das wollte ich nicht.
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Es fehlt an Leichtigkeit und Unbeschwertheit
Welche Hilfestellung hätten Sie sich gewünscht?
Damals hätte ich vor allem emotionale Unterstützung gebraucht. Einen Menschen, der mir zuhört, mich wahrnimmt und mich sieht.
Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie sich in einer besonderen Situation befinden?
Man ist sich als Kind, das pflegt, noch gar nicht der körperlichen und vor allem emotionalen Belastung bewusst. Es gehört einfach dazu. In der Grundschule habe ich nur gemerkt, dass ich nicht so bin wie die anderen Kinder. Dass ich nicht mit so einer Leichtigkeit und Unbeschwertheit durchs Leben gehe, sondern immer sehr vernünftig bin. Ich wollte auch nie Probleme machen, denn meine Eltern hatten ja schon genug. Richtig begriffen habe ich die frühere Belastung erst, als ich nach dem Abitur von zu Hause auszog und mich plötzlich total befreit fühlte. Meine Eltern haben mich darin bestärkt, auszuziehen.
Was ging damals in Ihnen vor, und wie wirkt sich das Erlebte auf Ihre heutige Situation aus?
Auf einmal merkte ich, dass ich ein Recht auf ein eigenes Leben habe und mich nicht dauernd der Pflegesituation unterordnen muss. Wahrscheinlich habe ich auch deshalb bewusst den räumlichen Abstand gesucht und wohne heute zweieinhalb Stunden von meinen Eltern entfernt. Wobei ich natürlich jederzeit schnell bei ihnen sein kann. Ich habe auch nach wie vor sehr engen telefonischen Kontakt. Außerdem sind die Gedanken im Kopf natürlich nie ganz weg. Aber ich genieße meine neue Freiheit, treffe Leute und hole vieles nach, was ich verpasst habe.
Mittlerweile mache ich eine Ausbildung zur Pflegefachkraft. Durch meinen Hintergrund und mein Aufwachsen habe ich eine hohe Sozialkompetenz und Selbstorganisation entwickelt. Das sind meine absoluten Stärken, die mir in diesem Beruf sehr helfen.
Sie sind im Beirat von ‚echt-unersetzlich‘ tätig, um die Situation von Young Carers (deutsch: Minderjährige, die Angehörige pflegen) zu verbessern. Was empfehlen Sie anderen Betroffenen?
Mein Rat ist, den Mund aufzumachen und um Unterstützung zu bitten. Denn zu erkennen, dass man Hilfe braucht, ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es nicht gut ist, alles mit sich selbst auszumachen und in sich hineinzufressen. Stattdessen sollten die Young Carer sich Angehörige, Vertrauenslehrer, Sozialarbeiter zum Beispiel in Beratungsstellen wie ‚echt unersetzlich‘ oder einen Menschen suchen, dem sie sich öffnen und zu dem sie sagen können: „Mir geht‘s nicht gut.“
Vor allem aber muss es ein größeres Bewusstsein bei den Erwachsenen geben – in Kitas, Schulen, Sportvereinen. Denn weil Kinder und Jugendliche ihre Situation als Pflegende oft noch gar nicht erfassen können, müssen die Erwachsenen dafür sensibilisiert werden, nicht wegzusehen, sondern genau hinzuschauen und zu helfen.
Wie kann man Young Carers am besten erreichen?
In die Schulen zu gehen, finde ich wichtig, und eine breite Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam zu machen. „Echt unersetzlich“ wirbt mit Radiospots auf bestimmten Sendern, die von Jugendlichen gehört werden oder auf Instagram. Aber es ist und bleibt schwer, diese Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Da sind die Erwachsenen gefragt, wachsamer zu sein.
*Der Name ist der Redaktion bekannt, wurde aber anonymisiert