Können Warn-Apps verlässlich vor Überschwemmungen warnen?
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Im Ahrtal waren 2021 bei dem Jahrhunderthochwasser mehr als 130 Menschen ums Leben gekommen.
© Quelle: Boris Roessler/dpa
Die schweren Unwetter und Überschwemmungen der Region Emilia-Romagna haben ganz Italien erschüttert. Mindestens 14 Menschen kamen ums Leben, die Schäden belaufen sich schätzungsweise auf einige Milliarden Euro. Die Situation in Italien dürfte bei Menschen in Deutschland schmerzhafte Erinnerungen an die Flutkatastrophe im Ahrtal auslösen, bei der 2021 mindestens 134 Menschen starben.
Diese fatalen Katastrophen werfen Fragen auf: Hätten Menschen angesichts der großen Anzahl an verfügbaren Warn-Apps nicht frühzeitig vor der drohenden Gefahr gewarnt werden können? Das Handy ist beispielsweise für die allermeisten Menschen inzwischen ein ständiger Wegbegleiter – und Warn-Apps sind daher in der Theorie eine einfache Möglichkeit, sie vor drohenden Notfällen zu warnen. Doch in der Praxis erweist sich das oft als schwierig.
Kritik an Warn-Apps: kein Alarm im Katastrophenfall, zu viele irrelevante Warnungen
Zu den bekanntesten Warn-Apps in Deutschland zählen Nina und Katwarn, die miteinander kooperieren: Katwarn-Warnungen fließen also in Nina ein. Katwarn war die erste Katastrophen-Warn-App in Deutschland und wurde 2011 vom Fraunhofer-Institut Fokus im Auftrag der öffentlichen Versicherer entwickelt. Warnungen stammen unter anderem von Bund und Ländern sowie Behörden und Organisationen der Landkreise und Städte. Da die App international vernetzt ist, können Nutzerinnen und Nutzer auch im Ausland Warnhinweise zum Aufenthaltsort erhalten.
Nina, kurz für Notfall-Informations- und Nachrichten-App, ist ein Angebot des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Die App bündelt unter anderem Warnmeldungen des Deutschen Wetterdienstes, Meldungen von Katwarn sowie Hochwassermeldungen der Bundesländer. Per GPS sendet sie standortbezogene Warnungen an Nutzerinnen und Nutzer.
Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal erntete Nina Kritik, weil die App Medienberichten zufolge während der Flut im Gebiet Ahrweiler nicht gewarnt habe. Miriam Haritz, Abteilungsleiterin für Krisenmanagement beim BBK, sagte im Februar 2022 in einem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe in Mainz jedoch, dass Nina grundsätzlich funktioniert habe – aber keine Warnmeldung des Kreises Ahrweiler und Katwarn erhalten habe, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtete.
Expertinnen und Experten sehen bei Warn-Apps wie Nina und Katwarn aber auch das Problem, dass sie Nutzerinnen und Nutzern mitunter zu viele irrelevante Warnungen senden. Unwetter- und Sturmwarnungen erreichen zum Beispiel oftmals auch Menschen in Gebieten, die davon gar nicht betroffen sind. Die Gefahr ist dabei, dass Menschen vor lauter Warnungen abstumpfen können, sagte die Psychologin Andrea Kiesel von der Uni Freiburg im Dezember im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland und betonte: „Irgendwann ignorieren sie die Warnungen nur noch, weil sie keine Relevanz für sie haben.“
Der Risikoforscher Ortwin Renn nennt das das „Crying-Wolf-Syndrom“: Wenn Unwetter und Hochwasser angekündigt werden, aber im Wohnort nicht auftreten, glauben Menschen den Warnungen nicht mehr. Doch dass die Warnungen nicht immer ortsgenau und präzise sind, ist nur bedingt den Apps geschuldet. „Das Problem ist, dass viele Vorhersagen nicht lokal genau sind“, sagt der ehemalige Direktor am Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS).
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Schneller warnen bei Katastrophen: Was ist Cell Broadcast?
Mit der Cell-Broadcast-Technologie soll in Deutschland ein neues Warnsystem für den Katastrophenfall eingeführt werden. Heute startet Cell Broadcast bundesweit. Aber wie funktioniert das und was muss man beachten? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
App zeigt Wasserstand an – doch „viele Menschen wissen nicht, welcher Pegel noch normal ist“
Während Apps wie Nina und Katwarn vor mehreren Arten von Notfällen und Katastrophen warnen, spezialisieren sich einige Apps auch gezielt auf Hochwasserwarnungen – der Dienst Meine Pegel zum Beispiel. Die App des länderübergreifenden Hochwasserportals, das von allen 16 Bundesländern betrieben wird, zeigt den gewünschten, für den Wohnort relevanten Wasserpegel an und benachrichtigt Nutzerinnen und Nutzer, wenn bestimmte Wasserstände über- oder unterschritten werden. Der Dienst weist aber darauf hin, dass Benachrichtigungen etwa 15 bis 45 Minuten – in Einzelfällen auch später – nach der Grenzwertüberschreitung auf Smartphones eintreffen können. Er empfiehlt daher, einen Überschreitungsgrenzwert etwas niedriger anzusetzen, damit die Benachrichtigung frühzeitig erfolgt.
Das Problem daran ist jedoch: „Viele Menschen wissen nicht, welcher Wasserpegel noch normal ist – und welcher schon gefährlich ist. Solche Apps setzen aber dieses Wissen voraus“, sagt Renn. Der Risikoforscher hält es für wichtig, dass Apps möglichst benutzerfreundlich und einfach gehalten sind. Denn ansonsten laufe man Gefahr, dass die Daten falsch interpretiert werden.
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Ortsgenaue Vorhersage erweist sich als schwierig – doch Warn-Apps sind trotzdem sinnvoll
Auch Google will mit seinem Hochwasservorhersage-Dienst Floodhub dazu beitragen, dass mehr Menschen vor möglichen Hochwassern gewarnt werden. Die Web-App startete jüngst auch in Deutschland und nutzt öffentlich zugängliche Datenquellen wie Wettervorhersagen und Satellitenbilder. Außerdem soll die künstliche Intelligenz der Plattform unter anderem die Wassermenge in einem Fluss prognostizieren. Menschen sollen laut Google auf Floodhub bis zu sieben Tage im Voraus vor einem möglichen Hochwasser in ihrer Region gewarnt werden.
Doch wirklich verlässlich kann bislang noch kein Vorhersagedienst so weit im Voraus Menschen in ihrem Wohnort warnen. „Heutzutage kann man zwar viel besser vorhersagen, dass ein Unwetter kommt und eine Hochwassergefahr besteht“, sagt Renn, „aber wo es passiert, ist eine ganz andere Frage: Gerade bei Überschwemmungen ist es meist unklar, wo das Wasser übertritt.“
Grundsätzlich haben Warn-Apps laut Renn also das Problem, dass sie nicht immer präzise und ortsgenau warnen können. Doch das heiße nicht, dass solche Warn-Apps und Vorhersage-Tools nicht sinnvoll sind – denn allein die Warnung, dass Überschwemmungen möglich oder wahrscheinlich sind, könne Menschen auf eine möglichen Gefahr vorbereiten. „Allerdings müssen Menschen auch darüber informiert werden, dass nicht alle Warnungen zielgenau sind – aber sie trotzdem ernst genommen werden sollten, um für mögliche Gefahren gewappnet zu sein“, so Renn.
Es braucht mehr als Warn-Apps, um auf den Katastrophenfall vorbereitet zu sein. „Wichtig wäre, dass sich Menschen in Gegenden, in denen es zu Naturkatastrophen kommen kann, gemeinsam vorbereiten, Communitys bilden und sich bei Notfällen gegenseitig unterstützen. Das ist viel effektiver, als nur individuelle Warnungen über Apps zu erhalten“, sagt der Risikoforscher. Das ist vor allem auch vor dem Hintergrund wichtig, dass es bei Katastrophen zu Stromausfall kommen kann – und Mobilfunknetze beschädigt werden können. Dann nützt auch das Handy nicht mehr viel.