NP-Interview

„Türkei demokratischer als Deutschland“

Politiker am Maschsee und am Bosporus: Mustafa Erkan.

Politiker am Maschsee und am Bosporus: Mustafa Erkan.

Herr Erkan, als SPD-Landtagsabgeordneter haben Sie im März 2017 die Situation in der Türkei beklagt. Sie sagten: "Gerade jetzt dürfen wir unsere Kritik an der Entwicklung in der Türkei nicht einstellen. Der Schutz der Menschenrechte ist für uns nicht verhandelbar." Heute arbeiten Sie für den türki­- schen Staat. Wie passt das zusammen?
Mich besorgt die Entwicklung nach wie vor. Die Türkei muss seit 40 Jahren gegen die PKK im Land, seit fast zwei Jahren gegen eine in der Türkei organisierte Terror-Organisation, die Gülen-Bewegung, kämpfen. Der Putschversuch dieser Terrororganisation war ein Angriff auf die Demokratie in der Türkei. Mir macht nach wie vor Sorge, dass solche Leute in der Türkei noch leben und vielleicht noch im Untergrund arbeiten.

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Vor einem Jahr klang das anders, da haben Sie eine Bedrohung der Türkei durch die PKK oder die Gülen-Bewegung überhaupt nicht erwähnt. Auf die Frage, ob das Land auf dem Weg in eine Diktatur sei, haben Sie gesagt: "Die Geschehnisse zeugen nicht von einer starken Demokratie." Damit haben Sie damals die Regierung Präsident Erdogans gemeint.
Nein, die habe ich damit ganz und gar nicht gemeint. Damit habe ich gemeint, dass der Angriff auf die Demokratie durch den Putsch-Versuch zu verurteilen ist.

Aber der Putsch war Mitte 2016, darum ging es in unserem Gespräch gar nicht.
Wir haben über die Entwicklungen in der Türkei gesprochen. Ich sage nach wie vor, wir dürfen die Kritik an den Terror-Organisationen in der Türkei nicht einstellen. Da erwarte ich mehr Verständnis von unseren westlichen Partnern. Ich bin übrigens sicher: Nicht die Türkei hat sich verändert, das Bemühen um Verständnis auch in Deutschland ist heute ein anderes. Von den deutschen Behörden würde ich mir ein schärferes Vorgehen wünschen, da ist vieles auf die leichte Schulter genommen worden. Für uns gibt es keine Unterschiede zwischen der PKK und dem Islamischen Staat.

Auf Ihrer Visitenkarte des türkischen Außenministers steht "Berater des Ministers". Was tun Sie denn in dieser Funktion?
Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, war hier zum Beispiel fünf Jahre Landtagsabgeordneter und fünf Jahre stellvertretender Bürgermeister in meiner Geburtsstadt Neustadt. Ich weiß, wie beide Länder ticken, ich sehe mich als Brückenbauer, möchte dazu beitragen, dass wir uns wieder auf unsere gute Freundschaft besinnen, die gelitten hat. Das Gute einer Brücke ist, sie muss sich nicht für eine Seite entscheiden, sie wird auf beiden Seiten von wichtigen Pfeilern getragen.

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Und das heißt konkret?
Ich begleite den Minister auf seinen Auslandsreisen. Ich bin in Deutschland unterwegs, treffe unsere türkischen Generalkonsuln, treffe deutsche Politiker und Minister. Ich bin viel in Berlin.

Wenn Sie die Demokratie in Deutschland und der Türkei vergleichen, ist das die gleiche Art von Demokratie?
Deutschland neigt manchmal dazu, seine Demokratie für die beste in der Welt zu erklären. Und wir möchten manchmal diese Demokratie, wie wir sie in Deutschland leben, auf alle anderen Länder übertragen. Das ist aber nicht möglich, das haben wir im Irak und in Afghanistan gesehen. Die Türkei ist ein Rechtsstaat, sie steht auf den gleichen Grundwerten wie Deutschland. Ich finde, Staatspräsident Erdogan hat die Türkei demokratischer gemacht, der Präsident wird zum Beispiel – anders als in Deutschland – direkt vom Volk gewählt. Die AKP hat auch das Wahlrecht für Auslandstürken eingeführt. Die Türkei ist – in bestimmten Fragen – demokratischer als Deutschland.

Wie beurteilen Sie die Pressefreiheit in der Türkei? Journalisten sitzen im Gefängnis, weit mehr als der bekannte und inzwischen entlassene Deniz Yücel.
Es gibt Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. Kein Journalist sitzt in Haft, weil er Journalist ist oder mit einem zu spitzen Bleistift schreibt, sondern weil er zum Beispiel terroristische Organisationen unterstützt. In jedem Einzelfall entscheidet die unabhängige türkische Justiz.
Das deutsche Außenministerium warnt Reisende vor dem Risiko willkürlicher Verhaftungen. Zitat: "Mit derartigen Festnahmen ist in allen Landesteilen ... zu rechnen."
Mich ärgert, dass unsere deutschen Freunde so denken und uns in diesen schwierigen Zeiten nicht ihre Solidarität aussprechen. Ich kenne keinen Menschen in der Türkei, der willkürlich verhaftet wurde.

Wie sieht denn die Türkei ihre Rolle in der Welt?
Geostrategisch hat die Türkei eine ganz besondere Bedeutung, sowohl Richtung Europa als auch in den Nahen Osten, in die Arabische Liga. Wir müssen die Türkei nicht nur als Nato-Partner, sondern auch als europäischen Partner betrachten. Ich erhoffe mir von unseren europäischen und gerade von unseren deutschen Freunden mehr Verständnis und Unterstützung. Die Türkei kämpft nicht nur im Land, sondern auch an ihren Grenzen gegen den Terrorismus.  Deutschland und Europa verlangen, dass wir dafür sorgen, dass die Flüchtlinge nicht in Europa ankommen. Die Türkei hält Wort, Deutschland in vielen Punkten nicht – etwa bei der vereinbarten Verbesserung der Leopard-2-Panzer.

Die in Syrien eingesetzt werden.
Diese Grenzsicherung ist ein Dienst für Europa und die Nato. Wir machen das nicht nur für uns, wir machen das für alle unsere Partner. Unsere Partner müssen dafür sorgen, dass wir das auch können.

Noch eine Frage zur Integration. Vor einem Jahr haben Sie als SPD-Landtagsabgeordneter gesagt, die Türken in Deutschland müssten sich bei der Integration mehr anstrengen. Sehen Sie das immer noch so?
Ja, wer sich entscheidet, in einem Land zu leben, muss sich dort integrieren. Das ist auch mein Appell an unsere Freunde aus Italien, Griechenland oder dem ehemaligen Jugoslawien. Aber: Es darf auch keine Ausgrenzung geben. Die Debatte, wie wir sie gerade über Kopftücher im Kindergarten in Nordrhein-Westfalen erleben, das ist kein Zeichen für die Menschen, dass sie hier willkommen sind. Das zeugt von Misstrauen.

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Verlangt der Koran, dass kleine Mädchen Kopftuch tragen?
Nein, das ist die Entscheidung der Familie. Es ist doch auch kein zwingender Grund, Säuglinge zu taufen, weil das in der Bibel steht. Es ist Doppelmoral, muslimischen Kindern dann das Kopftuch zu verbieten. Taufe und Kopftuch sind beides religiöse Akte.

Von Dirk Altwig

NP

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