Zeitenwende am Beckenrand: Wie geht’s weiter mit unseren Schwimmbädern?
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Plantschen zwischen Spaß und Ernst: Jedes fünfte Grundschulkind kann nicht schwimmen – manchmal auch, weil in Schwimmbädern der Unterricht ausfiel.
© Quelle: Emily Wabitsch/dpa/Symbolbild
Bad Nenndorf. Die ersten Freibäder öffneten Anfang Mai ihre Pforten. Viele Familien besuchten die Anlagen in ihrer Region, ausgerüstet mit Badelatschen und Handtuch, um sich an warmen Frühlingstagen eine Abkühlung zu genehmigen. Dabei sorgte ein Novum in manchen Bädern für Diskussionen: Vereinzelt war es erstmals nicht nur Männern gestattet, sich „oben ohne“ ins Becken zu begeben. Die Debatte, die sich darum entfachte, ließ eine andere Meldung in den Hintergrund rücken: Jedes fünfte Kind im Grundschulalter kann nicht schwimmen.
„Dass sich die Zahl der Nichtschwimmer unter den Grundschulkindern seit 2017 verdoppelt hat, ist zu einem Großteil den flächendeckenden Bäderschließungen während der Lockdowns und weiterer Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie geschuldet“, erklärt die Präsidentin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), Ute Vogt, gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
„Schon vor Corona konnten 60 Prozent der Zehnjährigen nicht sicher schwimmen“
Doch schon vor Corona seien 60 Prozent der Zehnjährigen keine sicheren Schwimmer gewesen, was Vogt auf einen Mangel an Schwimmunterricht zurückführt. „Den Schulen fehlt oft der Zugang zu einem Bad, und es fehlt oft an ausreichend qualifiziertem Personal.“
Diese Mythen übers Schwimmen stimmen wirklich
Ob im Schwimmbad oder in offenen Gewässern – wer sich an heißen Sommertagen abkühlen will, der sollte über diese Mythen Bescheid wissen.
© Quelle: RND
Nach der Pandemie erschwerte dann die Energiekrise den Schwimmunterricht der Kinder. Viele Bäder mussten zeitweise oder ganz schließen, andere senkten die Wassertemperaturen, um Energie zu sparen. „Die Abhängigkeit der Bäder vom Erdgas hat sich im vergangenen Winter negativ auf die Schwimmausbildung ausgewirkt“, bestätigt Vogt.
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Besorgt wegen mangelnden Schwimmunterrichts: Ute Vogt, seit 2021 Präsidentin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG).
© Quelle: Stefan Puchner/dpa
DLRG-Präsidentin fordert Energiewende und Unterstützung für Kommunen
Die DLRG-Präsidentin fordert ein Umdenken in der Versorgung der öffentlichen Badeeinrichtung: „Um für die Zukunft gewappnet zu sein, müssen die vorhandenen Bäder zudem auf eine klimaneutrale Energieversorgung umgerüstet werden.“ Dafür bedürfe es der Unterstützung des Bundes, denn die Kommunen könnten das nicht allein übernehmen.
Das ist jedoch nicht die einzige Erwartung, die sie an die Politik stellt: „Wir fordern seit Jahren, dass Bund, Länder und Kommunen zusammenkommen, um den Bedarf an Wasserflächen für das Schwimmenlernen bundesweit zu ermitteln und dann systematisch zu decken.“ Bestehende Lücken auf der Landkarte müssten geschlossen und das Entstehen neuer Lücken im Schwimmbadnetz vermieden werden.
Die Abhängigkeit der Bäder vom Erdgas hat sich negativ auf die Schwimmausbildung ausgewirkt.
Ute Vogt,
Präsidentin der DLRG
„Die Kommunen brauchen eine stärkere finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern“, sagt die DLRG-Präsidentin. Denn selbst wo es Förderungen gäbe, seien Städte und Gemeinden oft mit ihrem Eigenanteil überfordert.
DLRG-Retter können nicht überall sein: „Es wird wieder Badetote geben“
So weit zu den politischen Erfordernissen, die Ute Vogt mit Nachdruck formuliert. Wie aber blickt sie auf die bevorstehende Badesaison? Eines sei gewiss: Die Retterinnen und Retter könnten nicht immer und überall zur Stelle sein. „Es wird wieder Badetote geben. Es hat sie bereits gegeben.“ Daher appelliert die Präsidentin an die Menschen, vorsichtig und umsichtig zu handeln, damit der unbeschwerte Badeausflug „kein böses Ende“ nimmt.
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Strandwacht in Rot: Im Jahr 2022 sind mindestens 355 Menschen ertrunken – 836 konnten von der DLRG gerettet werden.
© Quelle: Jonas Walzberg/dpa/Symbolbild
Badeunfälle: Sind geflüchtete Menschen gefährdeter?
In den vergangenen Jahren gab es Berichte, wonach Geflüchtete bei Badeunfällen eine Risikogruppe darstellen würden. Eine solche pauschale Beurteilung lehnt Vogt ab: „Die Statistik der DLRG über die Todesfälle durch Ertrinken gibt keine Auskunft darüber, ob geflüchtete Menschen häufiger ertrinken als andere.“
Es stehe jedoch fest, dass sie gefährdeter sind. „Denn in ihren Herkunftsländern ist es oft nicht üblich, schwimmen zu lernen.“ Daher sei der Anteil der Menschen, die in diesen Ländern schwimmen können, zumeist deutlich geringer.
Droht eine „Generation Nichtschwimmer“?
Nichtsdestotrotz blickt die DLRG-Chefin optimistisch in die Zukunft und will auch von einer „Generation Nichtschwimmer“ nichts wissen. „Es ist ein gutes Zeichen, dass wir nach zwei Jahren mit nur wenig Ausbildungsmöglichkeiten endlich wieder deutlich mehr Kindern das Schwimmen beibringen konnten.“
Doch noch sei man nicht wieder auf dem Ausbildungsniveau von vor der Pandemie. „Dass wir bei den Seepferdchen über dem Ergebnis von 2019 lagen, zeigt: Es ist ein Aufholprozess im Gang.“ Eine ganze „Generation der Nichtschwimmer“ fürchte sie nicht. „Doch schwimmen zu können ist längst keine Selbstverständlichkeit“, sagt Vogt und fügt hinzu: Schwimmenlernen müsse so selbstverständlich sein „wie das Lesen, Schreiben und Rechnen“. Doch vor dem Hintergrund der aktuellen Iglu-Studie, der zufolge jeder vierte Viertklässler nicht richtig lesen kann, muss man wohl festhalten: Was ist schon selbstverständlich?