Neustadt: Grundschulleiterin kritisiert Vorgehen im Corona-Lockdown

Wie funktioniert Grundschule im Januar 2021? Barbara Fischer und Julia Mahrhold, Leiterin und Konrektorin der Hans-Böckler-Schule, fällt dazu eine ganze Menge ein. „Es ist nach wie vor der schönste Beruf der Welt“, sagt Fischer. „Aber die Bedingungen und Vorgaben von außen machen uns die Arbeit schwer.“ Die Hans-Böckler-Schule ist eine der größten Grundschulen im Stadtgebiet, mit 251 Kindern in zwölf Klassen plus Schulkindergarten. Dass die bestellten Hygiene-Hilfsmittel, vor allem Masken und Spuckschutzwände, noch nicht eingetroffen sind, sei eher ein Randaspekt. „Aber es muss klar sein, dass wir das nicht erst Mitte März brauchen“, sagt Fischer. Die Kolleginnen hätten sich nun selbst mit Masken versorgt und behälfen sich zunächst ohne die Schutzwände, so gut es gehe. Eine Lüftungsanlage hat die Schule seit der großen energetischen Sanierung, auch CO2 -Messgeräte gibt es in den Klassenräumen. Doch: „Die Anlage ist zu laut im Unterricht“, sagt Fischer. Also gilt weiterhin: 20 Minuten Unterricht, fünf Minuten Lüften. Diskussionen um Kinderbetreuung: „Wenn es der Politik so wichtig ist, dass die Schulen offen bleiben, warum macht man es uns jetzt so schwer?“, fragt Fischer. „Wir stehen beim Impfen nicht weit vorn, und auch nicht bei der Kinderbetreuung.“ Manche Kolleginnen müssten mit den Kita-Leitungen diskutieren, damit ihre Kinder in die Notbetreuung aufgenommen würden. Der Ermessensspielraum, den die Landesregierung dort gelassen hat, liefere immer wieder Anlass zu kraftraubenden Diskussionen. Lesen Sie auch Offene Grundschulen in Zeiten der Pandemie: Das denken HAZ-Leser Corona in Neustadt: Grundschulstart mit halben Klassen Das gilt auch, nachdem Niedersachsen beim Betrieb der Grundschulen aus der bundesweiten Regelung ausgeschert ist. „Unsere Eltern sind gutwillig, aber auch extrem verunsichert“, sagt Fischer. Immer wieder kommen Nachfragen, wann nun welches Kind zur Schule kommen darf, soll oder muss. Jeweils die Hälfte jeder Klasse kommt abwechselnd zum Unterricht – außer die Eltern wünschen das nicht. „42 Kinder sind vom Unterricht abgemeldet“, sagt Fischer, „und es sind nicht nur diejenigen, bei denen wir sicher sind, dass das auch gut geht.“ Sprachbarrieren treten zutage: Die Schule vereint Kinder aus bürgerlichen Familien und solche aus schwierigerem Umfeld. Sprachbarrieren treten jetzt deutlicher zutage. „Wir haben hier etliche Kinder, die seit Mitte Dezember kein Deutsch mehr gesprochen haben“, sagt Konrektorin Mahrhold. Bevor sie und die Kolleginnen sich daran machen können, die Lerndefizite aufzuarbeiten, müssten sich viele Kinder erst mal wieder an den Tagesrhythmus gewöhnen. Die Unterrichtszeiten sind gestaffelt, damit nicht zu viele Kinder gleichzeitig Pause haben. „Wir sind hier ständig damit beschäftigt, Listen zu führen“, sagt Mahrhold. Nahezu jede Klassenlehrkraft habe inzwischen vier Gruppen von Kindern zu betreuen, nämlich die, die aktuell in die Schule kommen, die, die in der nächsten Woche wiederkommen, die, die nach Elternwillen jetzt abgemeldet sind, und die wenigen, die schon seit langer Zeit nicht zur Schule kommen, weil sie mit Risikopatienten im Haushalt leben. Zu den Abwesenden versuchen die Pädagogen, den Kontakt zu halten, sei es am Telefon, über Förderstunden mit Eins-zu-eins-Betreuung, oder auch über privat organisierte Videokonferenzen. Letzteres hänge von den Lehrern ab – „in der Schule haben wir keine Ausrüstung dafür“, sagt Fischer. Unterschiede machen sich bemerkbar: Auch wenn die Lehrkräfte am Limit arbeiteten: Die familiären Unterschiede zwischen den Kindern machten sich jetzt sehr bemerkbar. „Manche bekommen zu Hause gute Unterstützung, manche gar keine“, sagt Fischer. Die Schulsozialarbeiterin unterstütze derzeit Eltern dabei, für ihre Kinder Lernförderung zu beantragen. Gemeinsam mit den pädagogischen Mitarbeitern und den Förderschullehrkräften arbeite sie hart daran, dass auch Kinder mit Schwierigkeiten am Ball bleiben. Kinder sind sehr diszipliniert: Trotzdem könne man bei allen Bemühungen nicht ausschließen, dass Kinder verloren gehen, sagt Fischer bekümmert. Einige Familien würden vom Jugendamt betreut, manchen Kindern fehle es zu Hause an Platz und Ruhe zum Lernen. Und die Verwirrung um die Präsenzzeiten mache es Familien nicht leichter. „Andererseits haben wir aber auch Eltern, die die Kinder im Homeschooling mit Arbeit nur so zuschütten, weil sie Angst haben, dass sie den Anschluss verlieren“, sagt Fischer. Auch davon rät sie ab: „Es muss ausgewogen bleiben.“ Die Kinder selbst jedenfalls gingen mit der Situation bewundernswert diszipliniert um. „Man merkt ihnen an, dass sie sich freuen, wieder in die Schule zu kommen und hier ihre Freunde zu treffen“, sagt Mahrhold. Von Kathrin Götze