Isernhagen: Wie die Permakultur Kirchhorst ihre Landwirtschaft ausbauen will

Die Salatmischung ist an diesem Morgen ausverkauft. Gärtner Felix Zlatkovic muss eigens an seinem freien Tag ausrücken, um den Verkaufsschrank neu zu befüllen. Einen guten Korb voll mit einer bunten Mischung aus Kräutern, essbaren Blüten und Pflücksalat bringt er vom Feld. Rockstar nennen sie das hier – bis zu 65 Sorten sollen darin stecken. Slatkovic wäscht den Salat zweimal kurz, wiegt ihn ab und packt kleine und große verschließbare Plastiktüten voll. Dann bringt er das Produkt in den Kühlschrank direkt an der Straße. Eine kleine Tüte mit 200 Gramm kostet 3 Euro, eine große mit 400 Gramm 5 Euro. Die Bezahlung läuft über eine Vertrauenskasse. Es wird nicht lange dauern, bis Zlatkovic die nächste Ration ernten muss. Permakultur Kirchhorst: Von Hühnern, Pfauen und allerhand Gewächsen: Bei der Permakultur Kirchhorst (PeKK) am Kolberg funktioniert alles etwas anders nach zwei Prinzipien. Erstens geht nur in den Verkauf, was eben gerade reif ist, und zweitens geht alles ohne Zwischenhändler über die Theke – oder eben aus dem Kühlschrank. Ein Blick auf die beiden benachbarten Grundstücke an der Straße zeigt den offensichtlichen Unterschied: rechts das konventionelle, sorgsam umgepflügte Ackerland, links das etwas unorthodox anmutende Blumenmeer mit frei laufenden Hühnern, Pfauen sowie allerhand Gewächsen von Obstbäumen bis Tomatenpflanzen. Aber das ist nur die Oberfläche. PeKK arbeitet ohne Pestizide, künstlichen Dünger und Umpflügen. Alles soll so natürlich bleiben wie möglich, die Eingriffe des Menschen sollen sich auf ein Minimum beschränken. „Der Aufwand soll eigentlich nur die Ernte sein“, sagt Thomas Mazur. Der Unternehmensberater hat das Projekt zur alternativen Landwirtschaft gemeinsam mit Lehrer Lars Muff und Landwirt Reinhard Hemme vor ein paar Jahren ins Leben gerufen. Während Mazur durch den großen Garten führt, probiert er unentwegt alles, was ihm gerade auf Wuchshöhe zwischen die Finger kommt. Und zeigt: Hier ist alles essbar – ungewaschen. Das kommt gut an. „Das ist mehr als nur Bio“: Neue und biologische Formen der Landwirtschaft erfreuen sich größter Beliebtheit. Das zeigt auch der zwar noch niedrige, aber stetig steigende Anteil der Ökofläche in der niedersächsischen Landwirtschaft, die bei fast 5 Prozent liegt. Etwa 2100 Betriebe bauen biologisch an. Doch hier in Kirchhorst ist noch etwas anders. „Das ist mehr als nur Bio“, meint Birga Mazur-Rodak und spricht damit die Biodiversität auf dem Stück Land an. 500 verschiedene Produkte gibt es mittlerweile –und Tiere von Schweinen über Hühner bis zu Bienen. Das lockt nicht nur Kunden an, sondern ist Teil der Idee. Diverse Pflanzen und Tiere machen das System stabiler. Gärtner Zlatkovic vergleicht es mit einem guten Immunsystem. Lesen Sie mehr: Diese Landwirte bieten regionale Lebensmittel an – Direktvermarktung ab Hof PeKK beliefert inzwischen das Sterne-Restaurant Jante: Wie viele Kunden genau täglich zum Kühlschrank kommen, können Mazur und seine Frau Birga Mazur-Rodak zwar nicht beziffern. Wenn sie gelegentlich aus ihrem gegenüberliegenden Wohnhaus auf den Garten schauen, „dann wundern wir uns aber immer, wie viele kommen“. Und der leere Kühlschrank spricht dann am nächsten Morgen für sich. Inzwischen beliefert PeKK auch Sternerestaurants wie das Jante in Hannover. Mazur-Rodak fährt zudem zweimal wöchentlich nach Hannover und beliefert Kunden an sogenannten Drop Points (Abladepunkten). Hinzu kommt der sonnabends geöffnete hauseigene Hofladen in Isernhagen. Doch mehr Kunden brauchen mehr Produkte und die wiederum mehr Fläche. PeKK will sich deshalb nun vergrößern. Noch liegt die etwa 2,4 Hektar große Fläche in Teilen brach. Aber Mazur und seine Mitstreiter investieren. Auf 50.000 Euro beziffert er die bisherige Investitionssumme für die Landwirtschaft. 30 Tonnen Obst und Gemüse über das Jahr verteilt – das ist der Plan. Einen Schritt dorthin haben die Betreiber mit dem sogenannten Folientunnel, unter dem Tomaten wachsen, gerade fertiggestellt. Und damit sie auch in kälteren Monaten liefern können, bauen sie derzeit an einem Gewächshaus. Hinzu kommen Dutzende neue Masthühner. Lesen Sie mehr: Permakultur Kirchhorst – Landwirtschaft im natürlichen Kreislauf Die Macher haben viele Pläne – von einer App bis zu Ernterobotern: PeKK profitiert bisweilen aber nicht nur von den Investoren, sondern von seinen vielen Liebhabern. Einer etwa programmierte kürzlich die sogenannte Klecker-App. Diese Smartphone-Anwendung soll künftig den Vertrieb erleichtern, wenn er größer wird. Kunden geben dort an, was sie gerade brauchen, Zlatkovic erntet und packt es in den Kühlschrank. Und die technischen Ideen gehen noch weiter: Mazur berichtet von Drohnen und mit künstlicher Intelligenz gesteuerten Ernterobotern, passgenauem Säen, Ernten und Verkaufen. Das wirkt ob der derzeitigen Größe und Anmutung des Geländes noch utopisch. Aber Mazur winkt ab: Das sei schon ziemlich konkret. Denn ganz ohne Hintergedanken besteht die wohlgemeinte Vision von der neuen Landwirtschaft in Kirchhorst nicht. Es ist auch ein Investment mit Businessplan. Daraus macht der Unternehmensberater aber auch keinen Hehl. PeKK will im nächsten Jahr endlich profitabler werden – und womöglich expandieren. Gärtner Felix Zlatkovic ist allerdings derzeit der einzige Festangestellte, die Fläche begrenzt und das Anbaugebiet noch recht klein. Ganz Isernhagen wird PeKK damit nicht versorgen können. Mazurs Idee: Ein gesellschaftlicher Verbund aus vielen Permakulturen – etwa in Lehrte, Langenhagen und Garbsen. „In fünf Jahren könnten es vielleicht zehn sein“, meint Mazur. „Wir werden dafür belächelt“: Aber das Projekt hat auch Gegner auf den Plan gerufen. Mit der Region Hannover etwa als zuständiger Behörde gab es gar eine gerichtliche Auseinandersetzung, ob es sich bei diesem Projekt wirklich um Landwirtschaft handele. Mazur meint, in den Augen der Behörden sei das eine Art Bullerbü, eine Verschandelung der Kulturlandschaft im Gegensatz zur konventionellen Landwirtschaft. „Wir werden dafür belächelt.“ Der Streit ist inzwischen geklärt – und die Macher haben sich verpflichtet, das Projekt abzubauen, sollte es scheitern. Aber daran verschwendet Mazur derzeit vermutlich keinen Gedanken. Hier können Sie die Produkte kaufen: Im Kühlschrank an der Adresse Großhorst 24 (Anfahrt über die Straße Kollberg) in 30916 Isernhagen-Kirchhorst gibt es ständig frische Produkte. Zweimal in der Woche fährt Birga Mazur-Rodak mittlerweile auch nach Hannover zu sogenannten Drop Points: bei der Familie Hennig, Heidewinkel 5, 30659 Hannover, donnerstags um 14 Uhr, und am Café im Hafven, Kopernikusstraße 14, 30167 Hannover, freitags um 16.30 Uhr. Zudem hat der hauseigene Hofladen sonnabends von 10 bis 14 Uhr geöffnet. Für Sonnabend, 5. September, bietet PeKK auch eine Führung über das Gelände mit Voranmeldung an. Weitere aktuelle Informationen finden Sie dazu auf dem Instagram-Kanal und der Website der Permakultur Kirchhorst auf www.naturgemacht.org. Lesen Sie auch Diese Landwirte bieten regionale Lebensmittel an – Direktvermarktung ab Hof Permakultur Kirchhorst: Landwirtschaft im natürlichen Kreislauf Von Sebastian Stein