Hemmingen: Feuerwehr übt unter Atemschutz im Hochhaus Hahnenkamp

Dieses Luft einziehen und ausstoßen. Dieses geräuschvolle Atmen, fast schon ein Schnaufen. Es gehört nicht hierher, aber in dem kahlen Treppenhaus hallt es wider. Drei Feuerwehrleute üben unter Atemschutz. 15 Kilogramm trägt jeder auf dem Rücken, so viel wiegt die Atemluftflasche mit dem Lungenautomaten. Die enorme Anstrengung ist beim Atmen zu hören, schließlich geht es rauf bis ganz oben auf das größte Hemminger Hochhaus mit Wohnungen. Elf Stockwerke. Da die zentrale Trainingsstrecke in Ronnenberg wegen Corona geschlossen ist, prüft die Ortsfeuerwehr Hemmingen-Westerfeld in dem Gebäude an der Straße Hahnenkamp, ob sie noch bei Puste ist. Als ob es an diesem Donnerstagabend nicht schon reicht, in voller Schutzkleidung in das Hochhaus zu gehen, stehen vor dem Eingang auch noch zwei je 20 Kilogramm schwere Schlauchtragekörbe. Jeder der Ehrenamtlichen muss beide über zwei Stockwerke tragen. In der zweiten Etage angekommen, geht es erst einmal raus auf einen Balkon, um Schläuche über zwei Stockwerke hochzuziehen. Dann weiter. Halbzeit. Im sechsten Stockwerk hat jeder die Schlauchtragekörbe getragen und sie können an der Seite stehen bleiben. Nun noch fünf Etagen in voller Montur nach oben. Zwischendrin geht immer wieder das Licht aus. Dann fällt nur das Licht der Taschenlampen auf die Treppen. Es wird fast gar nicht gesprochen. Zehnte Etage. Immer möglichst gleichmäßig Luft holen. Hinter den Schutzmasken sind die Gesichter kaum zu sehen. Kann man Erschöpfung hören? Der Balkon im elften Stockwerk ist endlich erreicht. Vor den Feuerwehrleuten liegt das kleine Lichtermeer von Hemmingen-Westerfeld und im Hintergrund Hannover. „Der Ausblick hat sich doch gelohnt“, sagt einer. Verschnaufpause. Es sind milde sieben Grad, doch der Wind hier oben ist frisch, und es liegt Regen in der Luft. Die drei Feuerwehrleute atmen jetzt ruhiger. Dann geht es durchs Treppenhaus elf Stockwerke runter zurück auf die Straße. Doch die Übung ist noch lange nicht beendet. Auf einem Garagenhof muss jeder einen kompletten, 20 Meter langen Schlauch einrollen und wieder ausrollen, immer noch unter Atemschutz, immer noch in voller Schutzkleidung. Danach geht es mit der Krankentrage einmal um den Block, jetzt begleitet von einem hohen Piepen. Der Vorrat in einer Atemluftflasche geht langsam zu Ende, deswegen das akustische Signal. 1800 Liter sind in der Flasche. In jeder Minute verbraucht ein trainiertes Mitglied 50 Liter. Auf der Trage liegen zwei Saugschläuche, zusammen rund 30 Kilo schwer. Auf den rund 300 Metern geht das ganz schön in die Arme. Das spüren die Feuerwehrleute auch, als sie zum Schluss nach rund 30 Minuten auf dem Dach des Garagenhofes einen 20 Kilo schweren Kanister mit Schaummittel vom Boden auf einen 1,50 Meter hohen Vorsprung stellen müssen – und das zehnmal hintereinander. Und schließlich Erleichterung: Masken ab, frei atmen. Wie schön ist die Abendluft. Lena Donner und Philip Menze, sie waren mit Wolfgang Lohmann zusammen in der Gruppe, machen keinen Hehl daraus, dass es anstrengend ist, durch die Masken zu atmen, und dass sie durchgeschwitzt sind. „Ich merke, dass in der Pandemie die Übungsdienste fehlen“, sagt Menze. Ist die Trainingsstrecke in der Feuerwehrtechnischen Zentrale in Ronnenberg mit der Enge der Gitterboxen wie bei einem Hindernislauf nicht schlimmer? „Die Enge ist es nicht, die Wärme dort ist schlimm. Da haben wir heute immer mal wieder einen frischen Luftzug abbekommen.“ Das schrille Piepen – hat es nicht gestört? Lena Donner sagt: „Das blendet man aus, so konzentriert ist man bei der Sache.“ Gab es etwas, was besonders schwierig war? „Nein, es ist eine konstante Belastung“, sagt sie. Immerhin ist die Feuerwehr im Treppenhaus ungestört, weil es ein zweites gibt, von denen die Wohnungen abzweigen. Am Eingang gehen und kommen Mieter, als ob es das Normalste von der Welt ist, dass die Feuerwehr hier ebenfalls ein- und ausgeht. Ein jüngerer Mieter will offenbar kurz zum Auto und trägt nur ein T-Shirt, kurze Hose und Adiletten. Die Atemschutzgeräteträger neben ihm wirken riesig. Auf einem Fernsehbildschirm in einer Wohnung laufen die dünnen Models von „Germany's next Top Model“. Auch wenn alle zehn Feuerwehrleute schon einen gewöhnlichen Arbeitstag hinter sich haben, ist für einige noch nicht Schluss. Denn Kleidung und Geräte müssen zum Desinfizieren nach Ronnenberg gebracht werden. Ortsbrandmeister Thorsten Heitmann sagt: „Wir sind froh, dass wir in der Corona-Zeit eine Möglichkeit zum Training haben und dass die Bewohner so verständnisvoll sind, einmal im Monat die Feuerwehr im Haus zu Gast zu haben.“ Die Feuerwehr habe in dem Hochhaus früher einzelne Übungen gemacht und die Erfahrungen aus diesen Übungen einfließen lassen. Denn die Trainingsstrecke in Ronnenberg sei zwar noch bis zum Jahresende geöffnet gewesen, aber mit geringer Teilnehmerzahl. Das Hemminger Hochhaus sei ideal, damit die Feuerwehrleute auf ihre erforderliche Arbeitsleistung von 80 Kilojoule kommen. Das Konzept haben die sieben Atemschutzbeauftragten der Hemminger Stadtfeuerwehr erarbeitet. Rouven Biadatz ist einer von ihnen. „Den Testlauf haben wir selbst gemacht – bei 32 Grad Außentemperatur. Da läuft das Wasser nur so am Körper runter“, erinnert er sich. Mehr als 60 Mitglieder der Hemminger Stadtfeuerwehr konnten seitdem ihr jährliches Training dort absolvieren. Dass sie gesundheitlich dafür geeignet sind, ist bei vorherigen Untersuchungen ärztlich attestiert worden. Denn der reale Einsatz verlange noch viel mehr von den Ehrenamtlichen ab. Biadatz erläutert: „Der Stress ist enorm, denn der Einsatz kommt plötzlich und in der unbekannten Umgebung ist vielleicht null Sicht. Man kann nur tasten.“ Es sei auch ein Test für die Lunge. Da ist es wieder: dieses geräuschvolle Atmen. Im Treppenhaus ist es verklungen, im Kopf geht es noch den ganzen Abend weiter. Von Andreas Zimmer