Interview: IHK-Präsident Gerhard Oppermann lobt Politik für Corona-Hilfe

Gerhard Oppermann, der neue Präsident der IHK Hannover, lobt im Interview mit der NP die schnelle Reaktion der Politik auf die Corona-Krise. Fast jedes Unternehmen sei von den Folgen der Pandemie betroffen, sagt Oppermann, der im Hauptberuf Vize-Chef der Hannoverschen Volksbank ist. Er wünscht sich eine Ausweitung des Hilfspakets der Stadt auf die Region Hannover. Als Sie Anfang Februar zum Präsidenten der IHK Hannover gewählt wurden, waren die wichtigsten Themen Digitalisierung und Fachkräftemangel. Jetzt spricht alle Welt nur von Corona. Wie waren die ersten zwei Monate für Sie? Meine Erwartungshaltung war schon eine etwas andere. Aber tatsächlich muss man sagen, dass Themen wie Digitalisierung oder Bürokratie-Abbau auch aktuell eine enorme Rolle spielen. Wenn ich sehe, wie die Politik in dieser Krise auf allen Ebenen – Bund, Land und Kommune – schnell und unbürokratisch reagiert, das ist vorbildhaft. Die IHK Hannover hat rund 170.000 Mitgliedsunternehmen – wer ist von der Corona-Krise betroffen? Sehr viele, im Grunde genommen fast alle, entweder mittelbar oder unmittelbar. Als Unternehmer hat man entweder zu tun mit Mitarbeitern, die erkrankt sind, einer verschlechterten Auftragslage und Umsatzeinbrüchen, einer Schließung des Geschäfts oder aber Problemen mit den Lieferketten. Nur der Grad der Betroffenheit ist sehr unterschiedlich. Wen trifft es am härtesten? Als erstes hat es die Messebauer getroffen, weil schon früh viele Großveranstaltungen wie Messen und Kongresse abgesagt wurden, unter anderem die Hannover-Messe. Dann kamen die Gastronomie, das Hotelgewerbe, der Einzelhandel und alles was dahinter steht. Mittlerweile haben die Folgen fast die gesamte Wirtschaft erfasst, sowohl die Industrie als auch den Mittelstand und auch kleine Betriebe. Vor allem ist das aber nicht nur ein Unternehmerthema, es sind ja auch viele Arbeitnehmer betroffen, die jetzt in Kurzarbeit zu Hause sitzen. Wer kommt mit der Situation noch am besten zurecht? Alle, die im Onlinehandel stark sind, sind im Moment zumindest nicht benachteiligt. Auch der Lebensmitteleinzelhandel hat jetzt gut zu tun. Aber eins ist klar: Es wird keine Gewinner in dieser Krise geben. Die Hannover-Messe 2020 ist endgültig abgesagt worden. War das aus Ihrer Sicht denn wirklich notwendig? Der Messevorstand und die Verantwortlichen haben eine sehr weise Entscheidung getroffen. Solche Großveranstaltungen haben einen langen Vorlauf, normalerweise wären wir jetzt mitten in der heißen Vor-Messe-Phase – das wäre ja gar nicht gegangen. Wirtschaftlich ist die Entscheidung für den Standort und das Unternehmen nicht schön. Aber auch hier steht das gesundheitliche Wohl im Vordergrund. Keiner weiß, was im Juli ist. Ich halte es für wahrscheinlich, dass wir länger große Menschenansammlungen vermeiden werden, weil das Virus uns noch eine ganze Weile begleiten wird. Die IHK ist einer der ersten Ansprechpartner für die Betriebe. Was sind die häufigsten Fragen? Wie geht es weiter? Und was kann ich tun? Unsere Sonderseiten dazu im Internet werden intensiv abgerufen, allein das Infopaket zum Kurzarbeitergeld hatte in drei Tagen über 30.000 Zugriffe. Das Informationsbedürfnis ist sehr groß, egal ob das Fragen zum Kurzarbeitergeld sind oder wie man an Soforthilfe kommt. Besonders betroffen sind da Kleinstunternehmer und Soloselbstständige, die sind so etwas gar nicht gewohnt. Das ist eine ganz neue Erfahrung, die mit erheblicher Unsicherheit einhergeht. Man muss sich als Kleinunternehmer oder Soloselbstständiger jetzt durch jede Menge Anträge arbeiten – Hilfsanträge oder Kurzarbeit. Wo bekomme ich Hilfe, wenn mich das überfordert? Wir haben all diese Informationen auf unserer Internetseite gebündelt, wo bekomme ich finanzielle Hilfen, wie geht das mit dem Kurzarbeitergeld und so fort. Diese Informationen sind übersichtlich und gut verständlich aufbereitet. Auch die Anträge für die aktuellen Hilfsangebote sind nicht so kompliziert, wie das sonst oft üblich ist, sondern beschränken sich auf das Wesentliche und sind gut nachvollziehbar. Manche Kritiker sagen: Kredite helfen nur beschränkt, weil man das Geld ja wieder zurückzahlen muss. Das ist richtig. Das Land Niedersachsen hat da ein gutes Modell gefunden, die Kredite bis 50.000 Euro sind zwei Jahre tilgungsfrei, das ist exzellent gelöst. Aber es gibt ein Leben nach der Corona-Krise, und da muss die Existenzfähigkeit der Betriebe auch sichergestellt sein. Deswegen ist es gut, dass es reine Liquiditätshilfen gibt. Das große Problem ist die Zeitschiene: Keiner weiß, wie lange das alles dauert. Brauchen denn jetzt alle Unternehmen Kredite? Viele schon. Aber in der aktuellen Situation muss jeder Unternehmer auch schauen, welchen Beitrag kann er selbst leisten, welche Rücklagen sind da. Viele Mittelständler können eine gewisse Zeit auch noch aus eigener Kraft überstehen. Es kann nicht sein, dass man in so einer Notsituation nur nach Staatshilfen ruft. Da ist auch Eigeninitiative gefragt. Und es gibt es auch einige vorgeschädigte Unternehmen, die schon länger Probleme haben, unabhängig von Corona. Da ist es nicht hilfreich, wenn man in solchen Fällen noch Steuergelder hinein gibt. Das tägliche NP Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Hannover täglich gegen 13 Uhr im E-Mail-Postfach Der Bund, das Land Niedersachsen und die Stadt Hannover haben unterschiedlich ausgestaltete Rettungspakete aufgelegt. Reicht das als Hilfe für die Unternehmen? Ja, ich denke schon. Wir haben viele Hilfsangebote, zudem ein exzellentes Angebot zur Kurzarbeit. Das alles muss das System finanziell aushalten. Wir haben 170.000 Mitgliedsunternehmen allein bei der IHK Hannover. Wenn die alle eine Soforthilfe von 9000 Euro beantragen würden, wären wir schon bei 1,5 Milliarden Euro Belastung. Es ist eine Gratwanderung, die richtige Waage zu finden, zwischen dem, was notwendig ist, und dem, was die Haushalte aushalten können. Denn die Schulden hinterlassen wir dann unseren Kindern. Die Stadt Hannover hat selbst einen Rettungsschirm für heimische Firmen aufgespannt – ein ziemliches Tempo für eine Kommune? Es ist großartig, was die Stadtspitze gemacht hat, Kompliment. Hannover war da sehr, sehr schnell. Es gibt auch andere Städte, in denen ähnliche Maßnahmen derzeit diskutiert werden, aber die Landeshauptstadt ist da wirklich Vorreiter. Allerdings hat das aus meiner Sicht einen Haken: Die Förderung endet an den Stadtgrenzen. Es wäre schön, wenn es gelänge, zusammen mit der Region Hannover eine Regelung für das gesamte Regionsgebiet zu schaffen. Es wird irgendwann eine Zeit nach Corona geben. Was glauben Sie, wann beginnt die? Am liebsten morgen, aber das ist natürlich nur ein frommer Wunsch. Keiner weiß, wie lange das alles dauern wird. Klar ist: Bei allem wirtschaftlichen Interessen geht Gesundheit immer vor. Und so lange die Ansteckungsraten nicht nach unten gehen, bleiben die Maßnahmen in Kraft. Aber wie lange kann die Wirtschaft das eigentlich aushalten – und mit welchen Folgen für das Wirtschaftswachstum? Ich glaube, wir werden das ganze Jahr 2020 mit den Auswirkungen zu tun haben. Mit einem Wirtschaftswachstum dürfen wir nicht mehr rechnen. Ob am Ende ein Minus von drei oder fünf Prozent steht: Jede Form von Prognose ist im Moment unseriös. Wichtig ist, dass Unternehmen und Arbeitnehmer diese Krise überstehen und wir nicht noch sozialpolitische Konflikte bekommen. Wird die Welt nach Corona einfach so weitergehen wie bisher? Das denke ich nicht. Man wird wieder mehr über Nachhaltigkeit der Wirtschaft, aber auch über eine verbesserte Sicherung von Lieferketten, mehr Pflegepersonal und ähnliches sprechen. Das wird die Gesellschaft verändern. Bisher waren Pandemien Inhalt von Hollywood-Filmen – und jetzt sind wir mittendrin. Die aktuelle Lage in Hannover im Liveblog Das ist die aktuelle Zahl der Infizierten Diagnose Corona: So lebt es sich in Quarantäne #supportyourlocal Der Kampf der Gastronome Schulen dicht bis zu den Sommerferien? Lehrer müssen Noten geben MHH sucht Plasmaspender für Corona-Patienten Aufgelöster Gottesdienst: Strafanzeige gegen Mission Corona-Fälle im Eilenriedestift: „Kämpfen um unsere Bewohner“ Beim Lister Döner mit Walkie Talkie bestellen MHH-Ärzte appellieren: „Bleibt für uns Zuhause“ Lassen Bund und Länder die Studierenden im Stich? 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