Für ein besseres Leben in Europa, auf der Flucht vor Armut und Krieg setzen sie alles aufs Spiel - und verloren dabei ihr Leben. Bis zu 250 Menschen, darunter Frauen und Kleinkinder, kamen beim Kentern eines libyschen Fischerboots ums Leben. Der überladene Kahn war vor Tagen aus dem nordafrikanischen Bürgerkriegsland mit Ziel Europa aufgebrochen. Zwischen Malta und Lampedusa hielt er in der Nacht zu Mittwoch einem Sturm nicht stand.
Ein solches Drama ist nicht neu: Seit Jahren versucht Italien, die Massenflucht aus Afrika zu verhindern - zum einen, um unerwünschte Immigranten abzuwehren, zum anderen, um derartige Tragödien zu vermeiden. Die jüngsten Unruhen in Nordafrika lösten jedoch eine neue Flüchtlingswelle aus.
So strömten allein seit dem Sturz des tunesischen Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali im Januar etwa 22 000 Flüchtlinge auf die nur 20 Quadratkilometer große Felseninsel Lampedusa. Seit Beginn der blutigen Unruhen in Libyen stechen zunehmend auch von dort aus Boote gen Italien in See.
Bei den Opfern vom Mittwoch handelt es sich nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) um Afrikaner aus Eritrea und Somalia sowie aus Schwarzafrika und der Elfenbeinküste. Sie hatten Libyen vor zwei oder drei Tagen verlassen. Ihr nach Behördenangaben 13 Meter langes Fischerboot geriet - völlig überladen - zwischen Malta und Lampedusa in einen schweren Sturm mit hohem Seegang und kenterte. Die Berichte der Überlebenden über das nächtliche Drama sind erschütternd.
„Wir haben das italienische Schiff sich langsam nähern gesehen. Dann ist unser Schiff auseinandergebrochen, und wir sind ins Meer gefallen“, zitierten italienische Medien einen Überlebenden, der seine Frau und seinen dreijährigen Sohn in den Fluten verloren hat. Nur 51 Überlebende konnten bisher gerettet werden. Sie wurden nach Lampedusa gebracht, um dort medizinisch betreut zu werden. Nach Angaben der „International Organization for Migration“ (IOM) sind alle unterkühlt und stehen unter Schock.
Drei Schiffe, ein Flugzeug und ein Helikopter der italienischen Küstenwache suchten am Nachmittag verzweifelt nach weiteren Überlebenden. „Wir haben die ganze Zeit gehofft, dass vielleicht jemand hilfesuchend den Arm hebt, aber keiner hat sich gerührt“, erzählen die Piloten von Dutzenden im Meer treibenden Leichen. Auch kleine Körper von Kindern hätten sie gesichtet. An der Rettungsaktion etwa 40 Seemeilen von Lampedusa beteiligte sich auch ein maltesisches Flugzeug. Heftiger Nordwestwind und hoher Seegang mit drei Meter hohen Wellen erschwerten jedoch die Suchaktion.
„Diese neue Tragödie macht deutlich, dass eine bessere Koordination zwischen den im Mittelmeer präsenten Schiffen und Einsatzkräften der Nato notwendig ist, um mehr Menschenleben retten zu können“, erklärte die Sprecherin des UNHCR Italien, Laura Boldrini, am Mittwoch. Der Präsident des Italienischen Flüchtlingsrats (CIR), Savino Pezzotta drückte sich schärfer aus. „Ich frage mich, wie es möglich ist, dass diese Tragödie nicht vermieden werden konnte in einem von internationalen Flotten beherrschten und militarisierten Meer“, kritisierte Pezzotta.
Das nur 130 Kilometer von der tunesischen Küste entfernte Lampedusa ist seit langem für viele Verzweifelte das „Tor nach Europa“. Die Überfahrt übers Mittelmeer gilt als extrem gefährlich. Oft sind die Boote wenig seetauglich, fast immer sind sie völlig überladen. Viele der Afrikaner können nicht schwimmen. Ohne eine tatkräftige Hilfe aus Tripolis - wie Rom sie mit Tunesien vereinbart hat - droht die libysche Küste nun zum Sprungbrett für Verzweifelte zu werden. Weitere Tragödien scheinen damit vorprogrammiert.
dpa
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