Nach der Europawahl mit ihren Erschütterungen für CDU und SPD hat EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) dringend eine Fortsetzung der großen Koalition empfohlen. „Wir Europäer hoffen, dass diese Koalition noch zwei Jahre hält und dass sie auch die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 souverän und offensiv nutzen kann“, sagte Oettinger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
„Wir haben mit dieser Koalition, mit dieser Kanzlerin, mit Olaf Scholz und früher mit Sigmar Gabriel im Rat gute Erfahrungen gemacht.“ Außerdem gebe es eine Koalitionsvereinbarung mit der Überschrift „Neuer Aufbruch für Europa“. „Ich hoffe, dass diese Koalition noch Gelegenheit findet, nach der Wahl und bis zur Bundestagswahl im Herbst in zwei Jahren diesem Anspruch gerecht zu werden“, sagte Oettinger.
Die beliebte Frau Merkel
Der EU-Kommissar und frühere baden-württembergische Ministerpräsident warnte die CDU zudem vor einer großen Kabinettsumbildung. „Das wäre ein großer Fehler“, sagte Oettinger. „Ich werde davon nur abraten.“ Das Wahlergebnis liege weder an einzelnen Bundesministern noch an Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Sie ist die beliebteste Frau der deutschen Politik. Es wurde ja eher gefragt, warum sie im Wahlkampf nicht mehr macht. Die Kanzlerin hat also einen Bonus – und nichts anderes“, sagte Oettinger.
Das Drehbuch von 2014
Den Anspruch von EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten sieht Oettinger trotz der Verluste der Unionsparteien bei der Wahl gestärkt. „Es geht um einen klaren Trend, der spricht für die Spitzenkandidaten und konkret für Manfred Weber“, sagte Oettinger. Weber sei der Kandidat der stärksten Fraktion im Europäischen Parlament.
Er erwarte, dass der unterlegene sozialdemokratische Spitzenkandidat, Frans Timmermans, Weber den Posten überlasse, so wie dies vor fünf Jahren Timmermans Vorgänger Martin Schulz getan habe. Dieser habe damals Jean-Claude Juncker seine Unterstützung bei der Wahl zum Kommissionspräsidenten zugesagt. „Eigentlich ist das Drehbuch von 2014 das angemessene Vorbild für die nächsten Tage“, sagte Oettinger.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, der skeptisch gegenüber dem Spitzenkandidaten-Modell ist, sei durch die Wahl geschwächt worden, sagte Oettinger. Es sei bedauerlich, dass Macron, mit seiner Bewegung hinter dem rechtsnationalen Front National liege. „Aber es stärkt ihn natürlich nicht.“
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Von Daniela Vates/RND