Das sind schon gewaltige Chor- und Orchestermassen, wer die zu bändigen versteht, hat am Ende immer gewonnen: Mahlers Zweite Sinfonie bringt noch jedes Opernhaus zum Beben und eignet sich auch deshalb für das Abschiedskonzert von Ivan Repušić. 80 Minuten Hochspannung, am Ende stehende Ovationen und zehn Minuten Applaus für die „Auferstehungs-Sinfonie“.
Allerdings ist die Konzentration des Orchesters passagenweise nicht ganz auf der Höhe des Komponierten. Da gibt es diese heikle Stelle zwischen dem ersten und zweiten Satz – Gustav Mahler schreibt hier eine Pause von satten fünf Minuten vor. Das ist schon verdammt lang. Die reduziert Repušić auf gerade mal 25 Sekunden, da haben wohl einige Streicher auf Ruhezustand geschaltet und sind vom schnellen Einsatz vollkommen überrascht. Gar nichts geht mehr zusammen.
Böser Fehler, souveräne Reaktion. Mit einer eleganten Handbewegung macht Repušić gleichzeitig Reset und Neustart – und das sinfonische Programm läuft dann nach Plan ab. Die Klangbalance, die bei dieser Sinfonie so wichtig ist, wird wunderbar umgesetzt. Auch die Fernorchester sind sorgfältig abgestimmt – das ist dann schon bewegend, wenn sich unmerklich die Türen zum Parkett öffnen und weit entfernt irgendwo im Opernhaus die Trompeten zum Jüngsten Gericht rufen.
Mit der dramatischen Gestaltung und auch den Tempi bleibt Repušić im goldenen Mittelfeld, hier wird keine Erlösungshysterie à la Bernstein und Schuricht betrieben und auch keine strenge Versenkung ins Detail, sein Mahler liegt gesichert in der spätromantischen Tradition. Julie-Marie Sundal und Dorothea Maria Marx zeigen, dass entsprechende solistische Partien auch passgenau aus dem Ensemble der Staatsoper besetzt werden können.
Höhepunkt in Partitur und Konzert ist dann der abschließende Satz mit dem mächtigen Auferstehungschor – dabei geht Repušić über seine gebotene Nüchternheit der ersten vier Sätze hinaus, spannt weit den Bogen von Aufladung und Entspannung mit Klängen an der Hörbarkeitsgrenze (vierfaches Piano).
Hier zeigt sich das Staatsorchester in Bestform – unterstützt von einem ebenso disziplinierten wie durchschlagskräftigen Chor. Das Finale mit Glockengedröhn, Chorintensität („Sterben werd’ ich / um zu leben“) hat dann schon große Klasse und bringt die Akustik der Staatsoper an erregende Grenzen. Vor dem Applaus eine angemessene Erschütterungspause.
Von Henning Queren