„Das große Heft“ im Klecks Theater

„Hundesöhne“ schimpft die Oma ihre Enkel. In Kriegszeiten kommen zwei Zwillingsbrüder aus der großen Stadt auf einen Bauernhof. Hier, zwischen Eimern, Kesseln, Feuerholz und der buckligen Oma, die alle nur „Hexe“ nennen, müssen sie groß werden – eine Kindheit genießen die Protagonisten aus Ágota Kristófs „Das große Heft“ aber nicht. Regisseur Harald Schandry und sein gut aufgelegtes Ensemble haben aus der Romanvorlage von 1986 eine Bühnenfassung im Klecks Theater gemacht, die eine vielversprechende Spannung aufnimmt: Ein Theater für Jugendliche, über Kinder, die keine sein dürfen – seinem Premierenpublikum verlangt das erwachsene und konfrontative Stück Beharrlichkeit ab. Imme Beccard spielt die Oma, Elisabeth Frank und Laura Pohl meist die Brüder, aber auch eine Puppe kann einen Zwillingspart übernehmen, wenn andere Figuren auf den Bauernhof kommen – die Brüder werden als eine Figur verstanden, ein gefühlskalter Protagonist, den der gnadenlose Zeitgeist (auf den 2. Weltkrieg wird angespielt) zwingt, Geist und Körper aufs Überleben zu trimmen. Um sie herum explodieren Körper, wird vergewaltigt und deportiert, eingezäunt und ausgegrenzt, ihr leben dokumentieren die Zwillinge in der titelgebenden Kladde, aus der sie metafiktional das Geschehen vorlesen. Das Trio spielt emotionsbefreit und doch bedeutungsschwer, die erdfarben-graue Kulisse verleiht eine passende Grundtristesse. Dabei hätte es das Stück belassen können, doch es attackiert zusätzlich die Ohren: Unaufhörlich quietscht, klopft, klappert und klimpert Schandry im Hintergrund an Instrumenten, Blechen, Sägen und Pötten. Diese Geräuschcollage lenkt in der ersten Hälfte noch ab, danach wird sie zum zu vernachlässigenden Grundrauschen. Die Handlung aber bleibt haften, immer drastischer demonstrieren die Zwillinge und ihre Umwelt die eigene Unmenschlichkeit. Am Ende zeigt sich die ganze Ambition der Groteske: Nicht weniger als eine Menschheitsstudie möchte „Das große Heft“ sein. Vor dem letzten Applaus muss so mancher Premierengast tief ausatmen. Von Lilean Buhl

Der Roman von ’Agota Kristófs - „Das große Heft“ im Klecks Theater