Die ganze Bühne strahlt rosarot: die Straßenlaternen, die so verbogen sind, als stammten sie aus einem Dalí-Gemälde, die Tänzer und Tänzerinnen, der monströse Kronleuchter, an dem sich Pink in ihr erstes Lied turnt: „Get the Party Started“ – was sonst? Sie hängt Hals über Kopf, und die ganze HDI-Arena steht selbigen.
45.000 Menschen im ausverkauften Stadion. Pink, der etwas authentischere Superstar, ist endgültig in der allerersten Liga angekommen. Erst drei Frauen vor ihr haben die Arena gefüllt: Tina Turner, Madonna und Helene Fischer. Die widerborstige Alecia Beth Moore, so ihr Geburtsname, gehört in diese Reihe und ist doch ganz anders, die Haare zu kurz, die Stimmfarbe zu Punkrock, die Haltung zu hart-aber-herzlich, viel zu viel lebensfroher Dickkopf. Mainstream und Rebellion, immer schon, 20 Jahre vor Greta Thunberg.
Das merkt man schon beim nächsten Lied, „Beautiful Trauma“, das ihrem vorletzten Album und dieser Tour seinen Namen gab: Pink ist eine Frau mit Brüchen und mit Narben auf der Seele, die sie offensiv nach außen trägt. „My perfect Rock Bottom, my beautiful Trauma“, singt sie, ganz rosaroter Punker: meine perfekte Talsohle, mein schönes Trauma.
Pink ist hinreißend direkt
Die Liebe ist wie eine Krankheit („Just like a Pill“), die Welt voller böser Clowns – aber wenn man das „Funhouse“ schon abreißt, dann bitte mit Schwung. Und noch mit No Doubts „Just a Girl“ als rotzigem Anklang. Da dreht die Band auf wie bei einem Rockkonzert, Bässe und Schlagzeug wummern bis in die letzten Reihen. Und Pink fährt auf dem Laufband des Catwalks strahlend an den Fans vorne vorbei. Und Feuerwerk und Bandvorstellung. Acht Musiker und zehn Tänzer hat sie im sichtbaren Tross.
Eine Alleskönnerin, 39 Jahre alt, berufsjugendlich und hinreißend direkt. „Hustle“ widmet sie „allen, die euch je angepisst haben“, und tanzt, ganz Musicalnummer, den Jitterbug dazu. Zu „Secrets“ gibt sie einen sexuell aufgeladenen Pas de deux an den Strapaten. Feuerbälle zu – nunja – “Just like Fire“. Und bei „Try“ verwandelt sich die Bühne, die gerade noch Zirkuskuppel war, in ein lustvolle Fantasielandschaft voll geiler Faune und Zauberwesen.
Rosarote Welt bei Pink
Was für ein Gesamtkonzept, was für ein Charisma, was für eine Stimme. Zart, wenn es darauf ankommt und voller Soul, wenn sie zum Beispiel „River“ von Bishop Briggs covert. Das Programm ist ein Querschnitt ihres Schaffens, nur das ungeliebte Debütalbum „Can’t take me home“ spielt keine Rolle. Immerhin vier Songs vom neuesten Werk „Hurts 2B Human“ schaffen es in die Setlist. 37 Songs von ihr haben es in die deutschen Charts geschafft; da kann man als Künstlerin wählerisch sein. Und bekommt als Publikum doch immer geniale Popmusik.
Eine Übung in Gegenkultur mit viel Herz. Zwei gigantische Exemplare dienen als Projektionsfläche rechts und links der Bühne. Und man guckt direkt hinein, ins Innere einer Musikerin, die mit sich im Reinen ist. „Wir ändern uns nicht“, habe sie irgendwann ihrer Tochter gesagt, als die an sich zweifelte: „Wir helfen anderen Menschen, sich zu ändern.“
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Irgendwann singt Pink als zarte akustische Ballade „Time after Time“ von Cyndi Lauper, noch so eine ungezähmt Widerspenstige. Ein Vorbild. Pink steht auf den Schultern von Gigantinnen, und sie trägt die Verantwortung weiter. Wenn jetzt eine Megan Rapinoe als Fußball-Weltmeisterin ihrem Präsidenten die Stirn bietet, ist das Künstlerinnen wie diesen zu verdanken.
Mit den Zugaben „So what“ und „Glitter in the Air“ endet dieses phänomenale Konzert. Da ist sie noch einmal weit oben über das Publikum geflogen. Abgehoben und so bodenständig. Das Wetter hat doch gehalten – so what, egal: Die ganze Welt ist eh rosarot.
Von Stefan Gohlisch