Die Bühne ist in eine permanente Grundbenebelung getaucht. Die vier Musiker treten milchig, kaum sichtbar in den Hintergrund. Die Lichtblitze und Strahler hingegen kommen perfekt zur Geltung. Eindrucksvoll pointiert, aber nie effekthascherisch wird mit Farben und Formen gespielt. Die Show des 1989 gegründeten norwegischen Musikprojekts Apoptygma Berzerk um Sänger und Gründer Stephan Groth braucht nicht viel Schnickschnack.
Ihre Musik schafft das ganz alleine: die Eroberung der schwarzen Herzen – und Tanzlust. Wer sich am vergangenen Wochenende auf dem Gothic-Festival M’era Luna in Hildesheim vor den Bühnen oder im Hangar noch nicht ausreichend beschallt und ausgetanzt gefühlt hat, durfte, konnte und sollte das nun offenbar im Capitol tun.
Future-Pop
Der Sound nimmt Elemente von Techno, Trance, Elektro und Rock auf – Future-Pop. Mal klingen sie synthiepoppig wie Depeche Mode, mal bedienen sie sich harter EBM-Elemente, die dunkel und düster, aber dennoch nie bedrückend daherkommen.
Musik, die einnimmt – positiv. Und die live jede Faser des Körpers laut und eindringlich, mit bittersüßem Schmerz erreicht. Mit dem Opener „Weight of the World” und den Anfangszeilen „Pleased to meet you, we came to drop bombs on you”, geht Groth gleich zu Beginn am Bühnenrand ausdrucksstark auf Seelenfang.
Musikalische Bomben fallen an diesem Abend zahlreich. Alte und neue, harte und weiche Songs prasseln auf die 900 tanzwütigen Fans ein. Mal baut sich die Spannung beinahe unerträglich langsam auf, wenn sich immer mehr Spuren auf- und übereinander legen.
Bombenhagel
Mal fallen Apoptygma Berzerk gleich mit der Tür ins Haus und lassen die Beats, die Bässe, die einschneidenden Soundeffekte wie wilde Hunde auf das Publikum los. Ein musikalischer Bombenhagel.
In „Deep Red“, „Nonstop Violence“ oder „Kathy’s Song“ hört man eindrucksvoll, wie der elektronische Grundbeat, unterstützt durch Gitarre und Schlagzeug, an Kraft, Volumen und Härte aufnimmt. Die Fans jubeln, reißen die Hände in die Höhe, wiegen sich, springen oder tanzen im Takt der wummernden Bässe, die durch Mark und Bein gehen.
Volksfeststimmung
Ob „Nearer“ oder „Love is forever, love never dies“ – voll Inbrunst werden auch die langsameren Songs mitgesungen. Ein Hauch von dunkelrockigem, HIM-artigem Kitsch darf zwischen all dem dauertanzbaren Material eben auch nicht fehlen.
Und schließlich: Volksfeststimmung in Schwarz beim großen Klassiker „Shine On“ und Endzeitstimmung bei „Until the End of the World“ und „Starsign“. Der Nebel hat sich längst gelichtet, doch die Fans grölen und tanzen sich noch einmal ekstatisch zum Höhepunkt, bevor Groth mit Thomas Lüdke, dem Sänger der Vorband The Invincible Spirit das Publikum mit dem finalen „Backdraft“ langsam in die Realität zurückholt und sich schließlich verabschiedet. Einen Abschied sollte man halt immer tanzen, dann ist er gar nicht mehr so schwer.
Von Aline Westphal