Zwischen Ektase und Verzicht: Böllerverkauf in Hannover gestartet

Für den einen ist es das Highlight des Jahres, für den anderen einfach nur nervig: Raketen, Böller und Co. Am Samstag hat der offizielle Verkauf von Silvesterfeuerwerk auch in Hannover begonnen. Und früh standen schon die ersten Böllerfreunde an den Regalen. Doch bei so manchem fand dieses Jahr auch ein Umdenken statt. „Double Strike“, „Wild-Fire“, „Wunder-Wuzzi“: Raketen, Böller ganze Batterien mit Feuerwerk holt Danyel Buchholz aus dem großen Karton. Jedes Jahr bestückt er kurz vor Silvester die Regale des Kauflands am Busbahnhof mit den Artikeln, die nur für kurze Zeit im Handel sind. Seit etwa 15 Jahren ist das sein Job am Jahresende. „Seitdem es den Laden hier gibt“, sagt er. Das Angebot ist üppig, die Preisspanne groß – vom Miniknallfrosch bis zur 70-Euro-Batterie. In Versuchung, selbst etwas zu kaufen, gerät er dabei jedoch nie. „Privat böllere ich nicht. Wir haben Hunde“, sagt er schlicht. Dafür hilft er gerne den Kunden zum Böller-Glück. Wie Sebastian Neumann (41), der etwas unentschlossen zwischen einer Batterie und einer Packung Raketen schwankt. „Eigentlich kaufen wir nur noch Batterien. Die zündet man einmal an, dann kann man gucken und genießen“, erzählt der Familienvater, während Tochter Vanessa eine Packung Knicklichter in den Einkaufswagen legt. Seine wilden Zeiten liegen dabei bereits hinter ihm, beteuert der Langenhagener. Früher habe er vor allem laute Böller gekauft, heute eigentlich nur noch Feuerwerk fürs Auge. „Man wird ruhiger“, sagt er grinsend. Sein Limit hatte er ursprünglich auf 100 Euro gesetzt. Doch der Blick auf seinen gut gefüllten Einkaufswagen lässt die Sprengung dieser Grenze vermuten. „Ganz ohne Feuerwerk geht Silvester halt auch nicht“, findet er und zuckt die Achseln. „Ein bisschen Tradition muss schon sein.“ „Da kann man auch einen Geldschein anzünden“: Das sieht Hannah Hermann anders, die gerade nach einer Packung Knallbonbons greift. „Wir böllern dieses Jahr gar nicht – aus Umweltschutzgründen“, sagt die 19-Jährige. „Und weil es einfach viel zu teuer ist“, ruft ihr Freund Sven Künnecke vom Regal mit den Luftschlangen herüber. „Da kann man auch einen Geldschein anzünden“, findet Hermann. Sie glaubt, dass sich die sogenannte Tradition gerade wandelt. Nicht nur im Freundes- und Bekanntenkreis gehe die Knallerei zurück. Auch bei ihren Eltern beobachte sie das. „Die feiern mit Freunden auf einem Bauernhof und verbringen den Abend mit Brettspielen. Geböllert wird dort gar nicht.“ Der Trend – angestoßen nicht zuletzt durch die Fridays for Future-Bewegung – ist inzwischen bereits in einigen Supermärkten in Deutschland angekommen. Eine ganze Reihe von Einzelhändlern verzichtet in diesem Jahr erstmals auf das lukrative Geschäft mit Krachern und Raketen, um einen Beitrag zum Umweltschutz, sauberer Luft und Tierwohl zu leisten – darunter Rewe- und Edeka- sowie Baumärkte in Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein. Insgesamt ist der Anteil an „Verweigerern“ jedoch noch recht gering. Auch der Verband der pyrotechnischen Industrie erwartet für den Jahreswechsel 133 Millionen Euro Umsatz – ungefähr so viel wie im Vorjahr. In Hannover ist der Boykott ebenfalls noch nicht angekommen: Die meisten Märkte bieten Böller im streng reglementierten Zeitraum vom 28. bis 31 Dezember zum Verkauf an. Böller für 900 Euro: Darauf freut sich Dennis Wiedersich bereits seit Neujahr 2019. 15 Kisten „Bloody Mary“ – eine Batterie mit je 12 Schuss und laut Packung „25 Sekunden Brenndauer“ – hat er sich gerade aus dem Kaufland-Lager bringen lassen und verstaut sie jetzt im Einkaufswagen. „Für 3,99 Euro das Stück kann man da nicht meckern“, sagt er. Mit dabei sind seine Söhne Melwin (7) und Kevin-Dennis (18), die er offensichtlich mit seiner Leidenschaft schon angesteckt hat. „Silvester viel böllern – das liegt bei uns in der Familie“, so der Sohn. Der 18-Jährige hat bereits in den letzten Tagen im Internet Schnäppchen recherchiert und bestellt. Früh morgens startete am Samstag dann die Einkaufstour, um die „letzten“ Einkäufe zu erledigen. „Wenn wir fertig sind, haben wir so um die 900 Euro für Silvesterknaller ausgegeben“, sagt Vater Dennis. „Einmal im Jahr geht das. Für jeden Monat wäre mir das Hobby allerdings zu teuer.“ Kann man Böller für 900 Euro an einem Abend überhaupt verknallen? „Ja, klar. Man muss allerdings schon um 18 Uhr anfangen“, sagt Wiedersich und nickt erfahren. Falls trotzdem etwas überbleibt, wird es im Keller verstaut und für nächstes Jahr aufgehoben. Ob er dieses Jahr den auch mal über Umweltschutz an Silvester gedacht hat? „Die Verpackungen und Plastikhalterungen mache ich schon vorher zuhause ab, damit sie nicht auf den Straßen herumliegen.“ „Das Vergnügen ist nur kurz!“: Vor einem Discounter in der Innenstadt räumen Nel Rahders und Charly Braun gerade den Kombi mit einem Großeinkauf voll. Es geht zu einem mehrtägigen Seminar der Gewerkschaftsjugend nach Soltau, das mit einer Silvesterparty endet. Silvesterknaller haben die beiden nicht im Einkaufswagen. Eine bewusste Entscheidung? „Doch, ja“, sagt Braun. Bei den 25 jungen Teilnehmern (18 bis 28 Jahre) habe es keine lange Diskussion über das Thema gegeben. „Das sind alles politisch interessierte junge Leute, sie bräuchten keine Böller, sagten sie mir.“ Der Grund: Das Geld und die Umwelt. „Es kostet viel und das Vergnügen ist kurz, wenn es überhaupt eines ist“, so Braun. Wachsgießen statt Bleigießen – der Umwelt zuliebe: Marco Schomakers, der sein Fahrradanhänger mit dem Einkauf belädt, hat ähnliche Beweggründe. Dieses Silvester ist Premiere: „Wir werden das erste Mal gar nicht Böllern“, erklärt der 47-Jährige aus Hannover. Die Initiative ging dabei von seinen jugendlichen Kindern aus: „Die sind bei Fridays for Future aktiv und wollten nicht, das wir das der Umwelt antun.“ Aber auch aus anderen Gründen hält man sich im Hause Schomakers zurück: „Wir haben Kaninchen und Rennmäuse. Für die Tiere bedeutet der Lärmpegel an Silvester immer enormen Stress.“ Um der Tradition genüge zu tun, gibt es wahrscheinlich wieder Wachsgießen – als Alternative zum Bleigießen. „Auch Blei ist ja umwelttechnisch schwierig“, weiß Schomakers. Überhaupt werde der Jahreswechsel dieses Jahr schön entspannt: „Wir gehen mit Freunden in Goslar essen und stoßen dann später mit Sekt an.“ Je nach Standort könnte das sogar ein ziemlich leiser Jahreswechsel werden: In Goslars Altstadt ist Feuerwerk zum Schutz der historischen Gebäude generell tabu. Mehr zum Thema: Grüne Jugend fordert Böllerverbot für ganz Hannover Hat das Silvesterfeuerwerk in Hannover noch Zukunft? Von Simon Polreich

Silvester - Von Verzicht bis 900 Euro: Was die Hannoveraner fürs Feuerwerk ausgeben