Zukunftspakt für die Messe in Hannover: Arbeitnehmer gehen von Erfolg aus

Nach über 100 Verhandlungsstunden hatten Vorstand der Messe AG, Messe-Betriebsrat und IG Metall in der Nacht auf den 9. Dezember unter Vermittlung eines Schlichters ein Zukunftspaket verabschiedet, das die Zukunft der wirtschaftlich in Schieflage geratenen Messegesellschaft sichern soll. Im Gegenzug erhält die Messe AG eine Bürgschaft von gut 110 Millionen Euro für dringend benötigte Kredite und weitere Soforthilfen. Das Rettungspaket für die Messe sieht im Gegenzug Einsparungen in Höhe von rund 180 Millionen Euro über eine Laufzeit von sieben Jahren bis 2027 vor. Die werden unter anderem durch Arbeitsplatzabbau und Ausgliederung von Betriebsteilen erreicht. Im NP-Interview sagt Dirk Schulze, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Hannover und Mitglied im Aufsichtsrat der Messe AG, dass das Ergebnis dennoch „sozialverträglich und verkraftbar“ sei. Herr Schulze, nach knapp zwei Wochen Abstand und nachdem die politischen Gremien dem „Zukunftspaket“ zugestimmt haben: Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis? Es ist ein guter Kompromiss, aber wir können auch nicht jubeln, da Personal abgebaut wird. Meine Wahrnehmung ist, dass es zwischenzeitlich Spitz auf Knopf stand. Wenn wir den Sanierungsplan nicht auf den Weg gebracht hätten, dann wäre auch ein Insolvenzverfahren möglich gewesen. Mit der Folge, dass zum Jahresbeginn Kündigungen ausgesprochen worden wären. Was ist gut an diesem Kompromiss aus Ihrer Sicht? Ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass wir die Tarifsicherheit bis Ende 2035 festschreiben konnten, also mit einer 15-jährigen Laufzeit. Das heißt unter anderem Weiterzahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld und eine Tarifsteigerung in den nächsten Jahren. Daran kann keiner rütteln. Ein wesentlicher Faktor, um kurzfristig Kosten zu reduzieren, ist die Kurzarbeit in 2021, die staatlich noch bezuschusst wird. Von 2022 bis 2027 kommt dann die kollektive tarifliche Arbeitszeitreduzierung bei einer 30-Stunden-Woche mit einer Vier-Tage-Woche. Bezahlt bekommen die Mitarbeiter dann aber 33,5 Stunden. Und: Sollte es der Messe wirtschaftlich wieder besser gehen, ist eine Erhöhung der Arbeitszeit auf 37 Stunden auch vor 2028 möglich. Die Kröte, die Sie schlucken mussten, betrifft den Personalabbau. Ja, aber auch den konnten wir sozialverträglich regeln. Die Vereinbarung sieht vor, dass von den aktuell 738 Messe-Mitarbeitern in den nächsten sieben Jahren 213 Stellen abgebaut werden müssen. Wir landen dann bei 525 Beschäftigten. Geplant waren vom Vorstand der Abbau von 260 Stellen. Es gibt ein Freiwilligenprogramm mit Abfindungen, Angebote für rentennahe Jahrgänge. Dazu scheiden bis 2027 etwa 100 Arbeitnehmer aus Altersgründen aus, weil sie in Rente gehen. Für Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze entfallen, gibt es Qualifizierungsangebote, die mindestens sechs Monate dauern, wodurch ihnen die Möglichkeit eröffnet wird, in anderen Bereichen bei der Messe arbeiten zu können. Und: 2021 und 2022 sind betriebsbedingte Kündigungen generell ausgeschlossen. Wenn 2023 die Beschäftigtenzahl erreicht ist, mit der abzüglich der Altersabgänge bis 2027 dann die Zielzahl 525 geschafft ist, gilt für alle wieder ein Kündigungsschutz bis Ende 2030. Den haben wir von 2024 somit um sechs Jahre verlängert. Die Ausgliederung von Messe-Betriebsteilen wie Gastronomie und Teile des Facility-Managements, darunter die Gärtnerei, konnten Sie nicht verhindern. Die Messe AG will sich davon trennen, das stimmt. Wir haben aber verhindert, dass den Mitarbeitern sofort gekündigt wird. Bis Ende 2022 sind betriebsbedingte Kündigungen nicht möglich, wie eben ausgeführt. Wir haben also eine Zeitverzögerung von zwei Jahren, in der wir eine Lösung für die betroffenen Mitarbeiter finden können, etwa durch die schon angesprochene Qualifizierung. Eventuell besteht auch die Möglichkeit, dass der neue Anbieter die Angestellten übernimmt. Das wäre wünschenswert und müsste vom Vorstand verhandelt werden. Installiert wurde im Zukunftskonzept auch ein Lenkungsausschuss. Was müssen wir uns darunter vorstellen? Darin sind sechs Personen, die das Umsetzen der verabredeten Regelungen begleiten, beobachten und beraten. Wenn zum Beispiel Veränderungsbedarfe eintreten, weil die Messe wieder ein volles Geschäft entwickelt, dann wäre das ein Fall für den Lenkungsausschuss. Zwei Vertreter kommen vom Messe-Vorstand, dann gibt es dort noch einen Vertreter von Land oder Stadt. Zudem ist der Ausschuss mit zwei Mitgliedern des Messe-Betriebsrates und von mir besetzt. Ich hoffe auf Einvernehmlichkeit bei der künftigen Arbeit. Im Streitfall müssten wir oder der Arbeitgeber die Schlichtungsstelle anrufen, deren Vorsitz Tobias Walkling hat, der Vorsitzende Richter am Landesarbeitsgericht Hannover. Die Anteilseigner der Messe, das Land Niedersachsen und die Stadt Hannover, haben jedes Jahr eine Dividende aus der Messegesellschaft gezogen. Mindestens bis 2030 müssen sie darauf nun verzichten, lautet eine weitere Übereinkunft. War das schwer zu verhandeln? Nein, denn während der sechsjährigen Laufzeit der Bürgschaft dürfen die Anteilseigner generell keine Dividende aus dem Unternehmen ziehen. Die Verlängerung bis 2030 war ein Vorschlag von Finanzminister Hilbers. Den haben wir gerne angenommen. Abschlussfrage: Sie haben einen sogenannten Besserungsschein mit hinein verhandelt in die Vereinbarung. Wann geht’s denn wieder aufwärts bei der Messe AG? Das kann ich heute natürlich schwer prognostizieren. Uns war es aber wichtig, dass die Mitarbeiter, die jetzt verzichten, dafür auch belohnt werden, wenn die Messe AG wieder erfolgreich ist. Der Schein kommt aber auch erst am Ende der Sanierungszeit zur Auszahlung, wenn der Jahresgewinn 2026 und 2027 besser als zehn Millionen Euro ist. 25 Prozent gehen dann an die Mitarbeiter, die Stand 1. Januar 2021 bei der Messe beschäftigt sind. Mitglieder der IG Metall bekommen das 1,5-fache der Gewinnausschüttung. Lesen Sie auch Hannover: Rettungsplan für Messe AG ausgehandelt Hannover: Messe erwartet 100 Millionen Euro Verlust - Insolvenz droht Von Von Andreas Voigt