Warum sinkt der Inzidenzwert in der Region Hannover so langsam?

Der Trend geht in die richtige Richtung. Fast überall in Niedersachsen sinken die Corona-Infektionszahlen, allerdings in ganz unterschiedlichem Tempo. Während sich immer mehr Landkreise und Städte mit großen Schritten der kritischen 50er-Inzidenzmarke annähern oder sogar schon darunter liegen, kommt die Region Hannover vergleichsweise langsam voran. Was läuft hier anders als in anderen Landesteilen? Die Region ist überzeugt, dass neben den anhaltenden Problemen in Alten- und Pflegeheimen auch die Sonderstellung als Top-Logistikstandort eine Rolle spielt. Den Inzidenzwert für ganz Niedersachsen gab das Landesgesundheitsamt am Freitagmorgen mit 79,7 an. 37 der 45 Landkreise liegen mittlerweile unter der 100er-, 13 sogar unter der 50er-Marke. Die Region Hannover hingegen rangiert mit 130,3 (Stand Freitag, 9 Uhr) weiterhin in der Gruppe mit den höchsten Sieben-Tages-Inzidenzen. Nur Cloppenburg (140,6), Peine (145,4), Nienburg (215,8) und Uelzen (218,6) meldeten in den vergangenen sieben Tagen noch mehr Neuinfektionen pro 10.000 Einwohner. Fast jeder fünfte Infizierte lebt oder arbeitet in einem Pflegeheim: Anders als etwa im Landkreis Gifhorn, wo der Wert zwischenzeitlich auf über 250 hochschnellte, dann aber zügig auf mittlerweile 98 gesunken ist, halten sich die Zahlen von Landeshauptstadt und Umlandgemeinden seit Wochen auf vergleichsweise hohem Niveau. Warum hat die Region die Kurve nach unten so richtig noch nicht bekommen? Fakt ist: Die Region schafft es weiterhin nicht, das Virus aus den Alten- und Pflegeheimen herauszuhalten. Am Freitag waren laut Gesundheitsamt 417 Bewohner sowie 183 Mitarbeiter infiziert. Bei insgesamt 3204 positiv getesteten Menschen heißt das: Fast jeder fünfte Infizierte wohnt oder arbeitet in einer Pflegeeinrichtung – trotz strikter Hygienekonzepte und einem automatischem Besuchsverbot, sobald Covid-19-Erkrankungen auftreten. „Tatsächlich ist es aber auch so, dass es nie ganz zu vermeiden ist, dass die Viren von außen in die Heime hineingetragen werden, etwa durch Angehörige und Personal“, sagt Regionssprecher Christoph Borschel. Da Bewohner in Pflegeheimen meist pflegebedürftig sind, könnten Isolationskonzepte „niemals eine hundertprozentige Sicherheit“ geben. Die Infektionskurve folge in der Regel einem Verlauf, bei dem der Rückgang der Neuinfektionen pro Tag bestenfalls so stark ist wie der vorherige Anstieg. „Meistens fällt der Rückgang der täglichen Neuinfektionen jedoch geringer aus, insbesondere wenn einzelne Infektionsschwerpunkte wie Alten- und Pflegeeinrichtungen dazu kommen,“ erklärt Borschel. Logistiker als Infektionstreiber? Auch andere Landkreise hatten und haben mit Ausbrüchen in den Heimen zu kämpfen. Laut Borschel komme der Region als „Top-10-Logistikstandort“ jedoch eine Sonderrolle zu. „Alle zentralen Hauptlogistikstandorte in Deutschland sind im Verhältnis zum regionalen Infektionsgeschehen ihres jeweiligen Umlands immer stärker betroffen als andere Gegenden“, heißt es auf NP-Nachfrage. „Das wirkt sich auch in der Region Hannover aus und schlägt sich in Infektionsclustern nieder, die dann ein nachgelagertes Infektionsaufkommen in den betreffenden Familien nach sich ziehen.“ Der letzte größere Corona-Ausbruch in der Branche ist allerdings schon einige Wochen her. Im Sortierzentrum von Amazon in Langenhagen hatten sich im Dezember rund 140 Mitarbeiter infiziert. Mehr als 160 Infizierte waren es im Mai bei UPS in Langenhagen. Zuletzt ist es dagegen ruhig geworden in und um die großen Logistikzentren. Amazon betonte am Freitag gegenüber der NP, dass seit Dezember in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt alle Mitarbeiter vor Ort getestet werden. „Weiterhin dürfen nur Personen mit einem negativen Test im Gebäude arbeiten. Mitarbeiter müssen bei vollem Gehalt zu Hause bleiben, bis das Testergebnis eintrifft, und sie werden bei voller Lohnfortzahlung bleiben, falls sie weiterhin in Selbstquarantäne zu Hause bleiben müssen“, so eine Sprecherin des Unternehmens. Bei der letzten Testung hätten etwa ein Prozent der Mitarbeiter ein positives Ergebnis gehabt, allesamt asymptomatische Fälle. Es handele sich zudem nicht um neue, ansteckende Fälle, sondern um „Virusreste“ von zurückliegenden Infektionen. Lesen Sie auch Corona bei Amazon in Garbsen: Sind überfüllte Shuttle-Busse ein Infektionsherd? Was macht Corona mit der Seele? MHH startet zweite Studie Corona in Hannover und Niedersachsen: Die aktuelle Zahl der Infizierten, Stand heute, 29.01.2021 Amazon verbessert Shuttle-Angebot: Auch auf die Kritik an überfüllten Shuttlebussen vom Stadtbahn-Haltepunkt zum Firmengelände hat man reagiert. Drei Busse von Üstra-Reisen fahren zu den Schichtwechseln um 4.30 Uhr, 12.30 Uhr und 20.30 Uhr jeweils zweimal das Zentrum an. Inklusive der regulären Buslinie 126 sind das sieben Abfahrten. Und doch beobachten Augenzeugen immer noch Szenen, in denen sich Arbeiter ohne Abstand vor den ankommenden Busse drängeln. „Wie die Heringe stehen die da dicht zusammen“, beobachte eine NP-Leserin aus Garbsen erst vor wenigen Tagen. „Das Problem sind aber nicht die Buskapazitäten. Es ist das Verhalten der Fahrgäste“, betont Üstra-Sprecher Udo Iwannek. „Alle wollen mit dem ersten Bus fahren, obwohl der nächste kurz danach kommt.“ Amazon selbst sagt, die Anzahl der Passagiere werden mittlerweile durch mitfahrende Security kontrolliert. Diese könne aus rechtlichen Gründen den Mindestabstand aber erst im Bus und nicht schon auf dem Bahnhof sicherstellen. Auch weitere Logistiker stellen gegenüber der NP klar, dass sie keine Infektionstreiber sind. Bei DHL in Anderten werden Mitarbeiter laut Sprecher Jens-Uwe Hogardt „regelmäßig getestet“, Maskenpflicht und Hygieneregeln strikt eingehalten. In den Zustellstützpunkten, beispielsweise am Weidendamm, hat man ein „Zwei-Wellen-Verfahren“ eingeführt. Die Mitarbeiter kommen zeitlich gestaffelt in Schichten an. „Damit es nicht zu voll wird“, so Hogardt. Von André Pichiri