Vor dem Hauptbahnhof: Hannover bekommt ein Blinden-Stadtmodell

„Ein tolles Weihnachtsgeschenk für Hannover“, fand Bürgermeister Thomas Hermann. Dabei blickte er stolz auf die quadratische Platte mit ihren grünen, detailreichen Erhebungen. Erhebungen, die sichtbar den Stadtkern der Landeshauptstadt zeigen – und einen wichtigen Zweck erfüllen sollen. Denn: Am Freitagmorgen wurde auf dem Ernst-August-Platz der Rohentwurf für ein Blinden-Stadtmodell vorgestellt, das Hannover in Zukunft sehbehinderten Menschen näher bringen soll. „Wir wollen damit einen Beitrag zu einer lebenswerten Innenstadt leisten, die für alle Bewohner und Besucher gleichermaßen erlebbar ist“, sagte Wolf-Rüdiger Reinicke, Vorsitzender des auftraggebenden Fördervereins „Blinden-Stadtmodell“, ein Zusammenschluss von Mitgliedern der Lion-Clubs Hannover-Eilenriede und Hannover-Wilhelm Busch. Reinicke weiter: „Mit seinem zentralen Standort am erweiterten Bahnhofsvorplatz sollen sowohl Menschen mit und ohne Behinderungen, insbesondere aber blinde und sehbehinderte Menschen, sich schnell in der Innenstadt orientieren können.“ 3D-Modell bekommt Informationen in Blindenschrift: Noch besteht der Entwurf aus Styropor, feine Details wie Bäume und Straßenzüge sowie Infotexte in Blindenschrift folgen erst im nachfolgenden Wachsmodell, bevor die 3D-Illustration final in Bronze gegossen wird. Dennoch ist die Innenstadt schon jetzt unverkenn- und ertastbar. „Hier ist mein Arbeitszimmer“, freute sich Bürgermeister Hermann und streifte mit seinem Zeigefinger über ein kleines Fenster in der Nachbildung des Neuen Rathauses. Jedes Gebäude wurde in den letzten zwölf Wochen im Maßstab 1:780 mit Fenstern, Türen und Co. vom Künstler Felix Brörken von der Bildhauer-Werkstatt Broerken bei Soest in Nordrhein-Westfahlen geschnitzt. Etwa 180 Illustrationen habe die Firma, die auf die Fertigung von Blinden-Stadtmodellen spezialisiert ist, europaweit bereits umgesetzt, so der Künstler. Dennoch gab es bei dem Hannover-Entwurf eine besondere Herausforderung: „Die Fläche“, so Brörken. Denn mit der Größe von 1,60 Meter mal 1,60 Meter ist das Modell „eines der größten, die wir bislang erarbeitet haben“. Projekt wird über Spenden finanziert und kostet 70.000 Euro: Eine Arbeit, die auch kostet und „ohne die zahlreichen Spenden nicht möglich wäre“, so Reinicke. Neben privaten Sponsoren, beteiligten sich auch die Landeshauptstadt, die Bürgerstiftung, die Rut- und Klaus-Bahlsen-Stiftung sowie die Dirk Rossmann GmbH an den Gesamtkosten in Höhe von 70.000 Euro. Noch sei aber nicht alles bezahlt, so Reinicke: „Wir freuen uns weiter über Zuwendungen.“ Auch Hiltrud Arora hatte im Zuge der Trauerfeier ihres kürzlich verstorbenen Ehemannes Madan Arora zu Spenden aufgerufen. Dieser war Initiator und Wegbereiter des Projekts und setzte sich etwa 20 Jahren für die Blindenhilfe ein. Das inklusive Hannover-Modell sei eine Herzensangelegenheit gewesen, so die Witwe: „Wir sind sehr gerührt von der starken Anteilnahme so vieler Menschen und danken allen, die mit kleinen und großen Zuwendungen dazu beigetragen haben.“ „Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur inklusiven Stadt“: Am Ende soll das fertige Stadtmodell auf einem 80 Zentimeter hohen Natursteinsockel stehen, der durch einen Unterschnitt auch für Rollstuhlfahrer barrierefrei sein soll. „Das Projekt hat einen hohen Stellenwert für Menschen mit Behinderungen und ist ein großer Gewinn für die Stadt“, sagte Andrea Hammann, die als städtische Beauftragte für Menschen mit Behinderungen das Projekt federführend mit entwickelte. Auch aus „touristischen Gesichtspunkten“, ergänzt Hermann. Die geplante Einweihung und Übergabe an die Landeshauptstadt ist für den 1. Juni 2021 geplant. Oberbürgermeister Belit Onay, gleichzeitig Schirmherr des Projekts, bedankte sich in Abwesenheit für das Engagement. Das Blinden-Stadtmodell sei „ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer inklusiven Stadt.“ Lesen Sie auch Solidarität mit Künstlern: Béi Chéz Heinz veröffentlicht Pin-up-Kalender Trotz Corona: So können Sie Kultur verschenken Außer-Haus-Verkauf: in Hannover: Tropeano, Lodderbast und Eliniko Freundeskreis Hannover: Ninia LaGrande bekommt Stadtkulturpreis Corona-Krise: Behinderte Menschen leiden oft stärker in der Pandemie Region Hannover: Inklusionsverein prangert Aussortieren von Kindern an Von Jens Strube