TiHo Hannover: Kegelrobben töten andere Robben und Schweinswale

Schottland hatte ein Problem. Immer wieder wurden tote Seehunde und Kegelrobben aufgefunden, deren Körper offenbar von Schiffsschrauben zerfetzt worden waren. Experten machten Tests mit verschiedenen Modellen, und eines davon schien prädestiniert, als Robbenkiller in Frage zu kommen. Die Regierung erließ eine spezielle Schutzverordnung, die künftig den Einsatz dieser Propellerart untersagte. Was damals niemand wusste: Die Schifffahrt war zumindest weitgehend unschuldig. Der wahre Mörder befand sich im Tierreich. Es waren Kegelrobben, die andere Meeressäuger und sogar Artgenossen angriffen, weil sie sich auf ihrem Speisezettel befanden. Erst Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern der Tierärztlichen Hochschule (TiHo Hannover) brachten dies 2015 ans Tageslicht. „Die schottische Regierung entschuldigte sich für ihre Fehleinschätzung“, erinnert sich Dr. Abbo van Neer, der damals diesen ersten Bericht mit seinen Kollegen publizierte. Niemand hatte das für möglich gehalten: Zuvor hatte niemand ein solches Verhalten der Kegelrobben für möglich gehalten. Doch 2013 war erstmals beobachtet worden, wie eine Kegelrobbe einen Seehund erbeutete und von ihm fraß. „Ich war anfangs auch skeptisch“, so van Neer. Doch dann habe er selbst auf Helgoland beobachten können, wie diese Tiere andere Robben fingen, töteten und von ihrem Fett fraßen. „Stück für Stück, 90 Minuten lang.“ Seitdem beschäftigt er sich mit seinem Team vom TiHo-Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) mit Sitz im Küstenörtchen Büsum mit diesem Phänomen. Sechs Jahre lang studierten die Forscher das Jagd- und Fressverhalten der Kegelrobben. Teilergebnisse ihres nun abgeschlossenen Projekts veröffentlichten sie Anfang der Woche in der Fachzeitschrift Scientific Report. Ungewöhnlicher Kannibalismus: Neben Robben- untersuchten die Forscher auch Schweinswalkadaver, die ebenfalls dem Appetit von Kegelrobben zum Opfer fielen. Verwunderlich aber ist der beobachtete Kannibalismus. „Das Tiere Angehörige ihrer eigenen Art töten, kommt eher in Form eines Infantizids vor“, sagt van Neer. Also dem Töten von Nachkommen der eigenen Art, etwa um Konkurrenten auszuschalten. Dabei gehe es aber nicht ums Fressen. „Diese Form des Kannibalismus ist unter Säugetieren eher eine Ausnahmeerscheinung.“ Ungewöhnlich aber ist auch das eigentliche Fressverhalten. Denn die Kegelrobben begnügen sich mit einem relativ kleinen Teil der Beute, vor allem mit dem Fett. Den Rest lassen sie liegen. Möglicherweise, weil sie sich, an kleinere Fische gewöhnt, eigentlich satt gefressen hatten. „Vielleicht einfach deshalb, weil ihr Energiebedarf gedeckt war“, meint van Neer. „Ein Gramm Robbenfett entspricht energietechnisch etwa 100 Gramm Dorschfett.“ Für die Forscher sind die liegengelassenen Überreste ein großer Vorteil. So konnte van Neer die Kadaver direkt anschließend vom Strand bergen und untersuchen. „So wusste ich genau, was mit dem Tier vorher passiert war. Diese Kadaver dienten mir als Grundlage, um die von Kegelrobben erzeugten Wundmuster zu charakterisieren.“ Babyboom auf Helgoland: In der Tat ähneln diese Wundmuster den Verletzungen durch Schiffspropeller stark. Erst die methodische Studie konnte den Irrtum widerlegen. Die Nahrungsgewohnheiten der Kegelrobben sind dabei allerdings nicht die Ursache für ihre wachsende Population. Im vergangenen Jahr gab es mit 119 Babys einen neuen Geburtenrekord auf Helgoland. Eine Gefahr für das ökologische Gleichgewicht stelle das aber nicht dar, betont van Neer. „Die Kegelrobben waren im südlichen Bereich der Nordsee durch den Menschen nahezu ausgerottet worden“, sagt er. Jetzt würden sich die Bestände langsam erholen. „Es wird spannend, zu beobachten, wie sie sich entwickeln.“ Lesen Sie auch Kegelrobben auf Helgoland: Geburtenrekord bei Robbenbabys Kegelrobben schwimmen zu neuen Rekordzahlen Schiffslärm: Hannovers TiHo-Forscher machen mit bei Unterwasser-Projekt Von Andreas Krasselt