Straßenstreit in Hannover: Und was wird aus Zur Hindenburgschleuse?

Die Hindenburgstraße in Hannovers Zooviertel steht vor der Umbenennung. Der Bezirksrat Mitte hat beschlossen, dass die Straße künftig nach dem 1943 im KZ Sobibor ermordeten jüdischen Mädchen Lotte-Lore Loebenstein heißen soll. Zwar werden noch einmal die Anwohner zu dem neuen Namen befragt. Dass die Mehrheit im Bezirksrat jedoch an der Loebensteinstraße festhalten wird, darf als sicher gelten. Von Hannovers Straßenschildern wird der Name Hindenburg dennoch wohl nicht ganz verschwinden. Denn im Schatten der hitzigen Debatte im Zooviertel ist fast aus dem Blickfeld geraten, dass in Hannover eine zweite Straße nach dem früheren Generalfeldmarschall benannt ist, der als Reichspräsident Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte. In Anderten hat es im Bezirksrat bisher noch keinen Beschluss zur Zukunft der Straße „Zur Hindenburgschleuse“ gegeben, obwohl eine vom Rat eingesetzte Kommission schon 2015 die Umbenennung auch dieser Straße empfohlen hatte. Das Gremium kam zu dem Schluss, dass Hindenburg aktiv das NS-Regime unterstützt habe. Zur Hindenburgschleuse: Bezirksrat hat wichtigere Dinge zu tun: „Für uns ist die Umbenennung kein Thema. Wir haben wirklich wichtigere Dinge, mit denen wir uns beschäftigen müssen“, sagt Klaus Dickneite, Bezirksbürgermeister von Misburg-Anderten. Der SPD-Mann respektiert zwar die Entscheidung des Bezirksrats Mitte zur Hindenburgstraße. Allerdings frage er sich auch, ob man damit Hindenburg „wirklich gerecht“ werde. Schließlich habe sich dieser ja „lange geweigert, Hitler zum Reichskanzler zu machen“. Die Straße „Zur Hindenburgstraße“ ist allerdings nur ein Beispiel von vielen, bei denen die Empfehlungen der Namenskommission von den Bezirksräten nicht umgesetzt wurden. 18 Straßen hatte diese zur Umbenennung vorgeschlagen. Neue Namen haben davon bisher erst der Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz am Landtag (seit 2015 Hannah-Arendt-Platz), die Sohnreystraße in der Südstadt (seit 2016 Lola-Fischel-Straße), der Miegelweg in Badenstedt (seit 2016 Igelweg) und der Wickopweg in der Nordstadt bekommen. Dieser wurde 2020 in Doris-Krammling-Jöhrens-Weg umbenannt. Der Franziusweg, der in Herrenhausen und der Nordstadt liegt, darf weiter so heißen. Er ist seit 2018 allerdings nach einem Onkel des NS-belasteten früheren Hochschuldirektors Otto Franzius benannt, dem Wasserbauingenieur Ludwig Franzius. Das Verfahren für die Umbenennung wurde – neben der Hindenburgstraße – auch für die General-Wever-Straße in Bothfeld eingeleitet. Straßenumbenennungen in mehreren Bezirken gescheitert: Für den Bezirk Buchholz-Kleefeld hatte die Kommission mit dem Sauerbruchweg, dem Uhlenhuthweg, dem Frenssenufer und dem Konrad-Lorenz-Platz gleich vier Straßen zur Umbenennung vorgeschlagen. Im Herbst 2020 scheiterte dort allerdings der Versuch, das Verfahren dafür einzuleiten. Grüne und Linke wollten zunächst das Frenssenufer umbenennen. Die SPD schlug vor, die Umbenennung von allen vier Straßen auf den Weg zu bringen. Allerdings unter der Vorgabe, dass erst einmal die Empfehlungen der Kommission auf den neuesten Stand gebracht werden solle. Zu Sauerbruch etwa gebe es „neue Forschungserkenntnisse“, die berücksichtigt werden müssten. Zudem sollten Informationsveranstaltungen für die Anlieger stattfinden, so die Forderung der SPD. Auf ausreichend Zustimmung stieß jedoch keiner der beiden Anträge. „Damit ist das Thema erst einmal erledigt. Es gibt zurzeit keine Mehrheit im Bezirksrat, das anzugehen“, sagte Bezirksbürgermeisterin Johanna Starke (SPD) der NP. Der Bezirksrat Buchholz-Kleefeld hat sich immerhin mit dem Thema befasst. In Misburg-Anderten ist das nicht in Sicht. Dort stünden laut Empfehlung der Namenskommission auch die Julius-Brecht-Straße und die Pfitznerstraße zur Umbenennung an. Für den Bezirk Vahrenwald-List hatte diese außerdem die Umbenennung der Fritz-Beindorff-Allee und des Porschewegs empfohlen. Die Grünen wollten das auch durchsetzen. Ihr Vorstoß fand jedoch keine Mehrheit. In Döhren-Wülfel sollten laut Kommission der Pontenhof und der Marahrensweg umbenannt werden. Auch dort scheiterten die Grünen mit einem Vorstoß dazu. „Benennung von Straßen ist eine wichtige Sache“: Bei Michael Fürst, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hannover und Mitglied in der Namenskommission, sorgt vor allem die Haltung in Misburg-Anderten für Empörung. Er habe „kein Verständnis“ dafür, dass sich der Bezirksrat nicht einmal mit dem Thema befassen wolle. „Die Benennung von Straßen ist sehr wohl eine wichtige Sache. Und wenn das ein Bezirksbürgermeister nicht erkennen will, dann ist er für mich fehl am Platze“, ärgert sich Fürst. Immerhin habe bei vielen mittlerweile „Bewegung im Denken“ stattgefunden, auch, wenn bisher nur der geringere Teil der vorgeschlagenen Straßen umbenannt wurde. Die Kommission müsse „nicht zwingend in jedem Fall Recht haben“, sagt Fürst. Allerdings habe diese sehr gründlich und gewissenhaft gearbeitet und sich bereits in vielen kritischen Fällen gegen eine Umbenennung entschieden. Der Beirat war 2013 ohne Gegenstimmen vom Rat eingesetzt worden und hatte sich in 24 Sitzungen mit der möglichen NS-Verstrickung von fast 600 Namensgebern von Straßen in Hannover auseinandergesetzt. Kurios: Während der Bezirksrat Misburg-Anderten die Umbenennung der Straßen nicht angehen will, weil es wichtigere Themen gebe, hat dieser im Dezember 2019 mit knapper 9:7-Mehrheit beschlossen, dass die Stadt Hannover die Schleuse in offiziellen Schriftstücken „bevorzugt“ Schleuse Anderten nennen solle und nicht Hindenburgschleuse. Begründung: Der Name des ehemaligen Reichspräsidenten Hindenburg sei „historisch belastet“. Lesen Sie auch Straßenumbenennung: Hindenburg in Hannover bald Geschichte Hindenburgstraße in Hannover: Anwohner stimmen wieder über Umbenennung ab Vor 100 Jahren begann der Bau der Hindenburgschleuse in Hannover Hindenburg-Schleuse in Hannover demnächst Vergangenheit? Von Christian Bohnenkamp