So gespenstisch war der NPD-Aufmarsch in Hannover

Die kleine Greta und ihre Verwandten waren die ersten, die vom braunen Spuk betroffen waren. Die Familie des Mädchens feierte gerade die Taufe im Kale Restaurant am Bismarckbahnhof, als sich nur wenige Meter entfernt die rund 120 Neonazis zum NPD-Aufmarsch mit ihren schwarz-weiß-roten Flaggen des Deutschen Reichs versammelten. Die Polizei hatte den Dietrich-Kittner-Platz komplett abgeriegelt, nur vor dem Lokal war keine Sperre. Betroffen und entsetzt schaute die Familie von der Terasse auf die Szenerie. „Das ist unangenehm und sehr schwer, den Kindern zu erklären. In der Kirche haben wir noch von Zusammenhalt geredet, da hat das schon ein bitteres Aroma“, sagte Jan Starkebaum, einer der Gäste und wie es der Zufall so will auch noch ein Moderator des NDR. Die Neonazis schicken ihre Führer: Gegen seine namentlich genannten Kollegen wie dem Journalisten Julian Feldmann richtete sich der Aufmarsch der Neonazis, welchen die Polizeidirektion noch verhindern wollte. Die Rechtsextremen forderten „Gerechtigkeit“ für Karl M., einem inzwischen verstorbenen NS-Kriegsverbrecher, der von Feldmann interviewt worden war. Unter den grimmig dreinblickenden Nazis waren auch die hohen Tiere der Szene. Etwa der selbst ernannte „Volkslehrer“ Nikolai Nerling, der unaufhörlich für seinen Youtube-Kanal filmte. Oder Stanley Röske, einer der Führer des rechtsterroristischen Netzwerks Combat 18. Und natürlich auch Thorsten Heise, der Bundesvize der NPD. Südstadter wehren sich: Die Polizei hatte dem 50-jährigen Eichsfelder, der auf seinem Grundstück ein SS-Denkmal haben soll, mit einem Redeverbot belegt. Ausgerechnet vor den Kameras jener Presse, gegen die er gerne austeilt, klagte er darüber. Er fühle sich ungerechnet behandelt. Seine Aussage „Der Revolver ist geladen“ in Richtung Feldmann habe sich nur auf dessen schlechte Ernährung bezogen. Eine Methode, mit denen Neonazis Drohungen aussprechen ohne sich strafbar zu machen. In den Straßen der Südstadt bereiteten die Anwohner den Neonazis einen lauten und bunten Empfang. Mit allem, was sich im Haushalt findet ließ, klimperten sie, um die Marschmusik der Rechten zu übertönen. An den Fenstern und Zäunen hingen Regenbogenfahnen oder Plakate wie „Nazis essen heimlich Döner“. Einige hatten ihre Musikanlagen aufgedreht, die Fenster geöffnet und spielten den Ärzte-Song „Schrei nach Liebe“ oder „10 kleine Nazischweine“. Gespenstische Stimmung am Maschsee: Einer kleinen Zahl von Gegendemonstranten gelang es hier noch, die Sperren der Polizei zu durchbrechen. Einige setzen sich auf die Straßen und verhinderten so, dass der NPD-Zug weiterziehen konnte. Es gab Rangeleien mit den Beamten, die Polizei nahm vier Personen vorübergehend in Gewahrsam. Einem Gegendemonstranten gelang es eine Fahne der Neonazis zu entreißen. Hier ermittelt die Polizei noch. Gespenstisch dann die Stimmung am Maschsee: Kein Jogger, kein verliebtes Paar beim Flanieren, kein Spaziergänger mit dem Hund. Stattdessen hunderte Polizisten in voller Montur, umherfahrende Wasserwerfer, die Nazis mit ihren Trommlern vorneweg. Am Himmel dröhnte der Polizeihubschrauber, auf dem See selbst riegelte die Wasserschutzpolizei alles ab. Denn es hat angeblich von Gegendemonstranten Pläne gegeben, mit Booten in die Nähe des NPD-Aufmarschs zu gelangen. NPD-Redner droht den Journalisten: Am alten Sendesaal des NDR stoppte der NPD-Aufmarsch. Das mit dem Grundgesetz-Artikel zur Pressefreiheit plakatierte Landesfunkhaus war großflächig abgesperrt. Also sprachen die Neonazis zur Sendesaal-Baustelle, feierten es als „grandiosen Sieg“ heute demonstrieren zu dürfen. Sven Skoda, Chef der Partei „Die Rechte“, beleidigte Feldmann und forderte „Weg mit ihm“. Journalisten bezeichnete er als „Brunnenvergifter“ und „Schädlinge“, Begriffe aus dem NS-Jargon. Am Schluss seiner Rede drohte er dann in Richtung der Presse: „Wir haben Namen und Adressen und vergessen nicht. Gott mag Gnade kennen, wir nicht.“ Feldmann prüft Anzeige gegen Skoda: Diese Worte hörte auch Andrea Röpke, einer der betroffenen Journalisten, nur wenige Meter von Skoda entfernt. „Es macht wütend, dass er so unverhohlen hier seine Drohungen aussprechen kann.“ Noch vor Ort prüfte die Polizei, ob sie gegen Skoda ermitteln wird. Der Neonazi durfte aber weiterlaufen. Feldmann selbst war am Samstag nicht in Hannover. Er will sich die Beiträge der Kollegen noch ansehen und dann selbst prüfen, ob er Strafanzeige gegen Skoda wegen Beleidigung stellt. Sein Handy habe während des NPD-Aufmarschs kaum still gestanden. „Ich habe viel Zuspruch bekommen. Das habe ich alles wahrgenommen und es freut mich natürlich“, sagt er. „Dauert Minuten, bis die Polizei eingreift“: Neben Röpke begleiteten auch die betroffenen Journalisten André Aden und David Janzen die Neonazis. Aden sagte, dass es für ihn eine Demo wie jede andere war. Janzen und sein Team gerieten noch am Bismarckbahnhof in eine Rangelei mit den Rechten. „Neonazis bedrängen uns, greifen in die Kamera und verschmieren das Objektiv. Und es dauert Minuten, bis die Polizei eingreift“, kritisierte Janzen bei Twitter. Auf den letzten Metern blieb alles friedlich. „Durch konsequentes Einschreiten ist ein Aufeinandertreffen der beiden Lager weitestgehend verhindert worden“, sagte Polizeivizepräsident Jörg Müller. Der Aegi war für die 120 Neonazis komplett mit Polizei-Transportern, Sperren und Wasserwerfern abgeriegelt. Überall aber hörte man die Gegendemonstranten rufen: „Nazis raus aus Hannover.“ Und dann ging es für die NPD-Anhänger auch in die U-Bahn, mit dem Sonderzug zum Hauptbahnhof und dann schnell wieder raus aus der Stadt. Von Sascha Priesemann

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