Pflegekonferenz Hannover: Intensivpersonal bricht unter Covid-Druck zusammen

Beschert uns Corona den akuten Pflegekräfteschwund? Das befürchten Teilnehmer der Pflegekonferenz der Region Hannover, die am Mittwoch per Online-Schaltung stattfand. Besonders belastet sind dabei Pflegekräfte auf Covid-Intensivstationen. Der psychische Druck ist dort inzwischen so hoch, dass viele Mitarbeiter an einen Berufswechsel denken. Der Pflegedirektor vom Klinikum Neustadt, Martin Langsdorf, nimmt eine alarmierende Entwicklung wahr: Bei Pflegekräften und Ärzten ist der Druck inzwischen so groß, dass viele in Zukunft „unter starken psychischen Belastungen leiden werden, die wir auffangen müssen.“ Bereits jetzt versuche man mit Hilfsangeboten diese Entwicklung abzufedern. Einige Mitarbeiter werden aber auf Teilzeit umschwenken – „und ein Teil wird dem Beruf auch den Rücken zukehren“, befürchtet Langsdorf. „Mein Fokus liegt auf den nächsten Monaten: Wenn die Fallzahlen deutlich sinken und wir bis Herbst viele Impfungen haben, dass wir die Leute so auffangen, dass sie in dem Beruf bleiben wollen.“ „Hälfte der Kollegen sind inzwischen erkrankt“: Den größten psychischen Druck für die Mitarbeiter machen Ängste aus: Zum einen die Angst, die Covid-Erkrankung mit nach Hause zu den zum Teil zu pflegenden Angehörigen mitzunehmen. „Mir sagten Mitarbeiter, sie könnten nicht am Covid-Patienten arbeiten, weil die Angst zu groß ist, das Virus mit nach Hause zu nehmen.“ Das treffe die Intensivstationen, wo der Pflegemangel bereits besonders gravierend ist und nicht einfach so ausgeglichen werden kann, doppelt hart. Zum anderen gebe es auf den Intensivstationen fulminante Verläufe von Patienten, die auf dem Weg der Besserung waren und dann doch starben. „Dass die Verläufe innerhalb von 48 Stunden steil bergab gehen, waren wir bislang so auch nicht gewohnt. Und auch Angehörige, die den Erkrankten ja nicht besuchen dürfen, verstehen das nicht“, so der Pflegedirektor. Diese Erfahrungen schüttele weder ein Arzt noch eine Pflegekraft einfach so ab. „Da müssen wir die Leute auffangen.“ Intensiv-Pflegekraft Sandra Arndt bestätigte diesen Eindruck: „Die psychische Belastung ist riesengroß: Wir verlieren viele Patienten, weil sie keine Kontakte zu ihren engsten Angehörigen bekommen und dadurch ihren Lebensmut verlieren“, schilderte sie hörbar bewegt. Zudem sei auch die Arbeitsbelastung exorbitant gestiegen: „An der Covid-Intensivstation unseres Hauses sind etwa die Hälfte der Kollegen an Covid erkrankt. Das kann man schwerlich auffangen. Wir können nicht mehr.“ „Wir haben einfach nicht mehr genug Pflegekräfte“: Dass die Einrichtungen und Krankenhäuser dies allein stemmen könnten, glaubt Dagmar Vogt-Janssen nicht. Die Bereichsleiterin des Kommunalen Seniorenservice der Landeshauptstadt forderte mehr Unterstützung des Systems von den Kassen im Sinne der Gesundheitsförderung. „Wir wissen ja noch gar nicht, was da auf uns zurollt.“ Klar sei aber, dass es bereits bundesweit Abwanderungen aufgrund des psychischen „Corona-Drucks“ gebe. „Eine vierte Welle werden wir so ohne Weiteres nicht mehr stemmen können. Wir haben einfach nicht mehr genug Pflegekräfte.“ Auch einen gesellschaftlichen Rückhalt vermisst Langsdorf inzwischen. „Ein Beispiel: Wir wurden zu Beginn der Pandemie mit Pizza am Klinikum Neustadt überschüttet. Diese Art der Wertschätzung ist mittlerweile fast auf Null runtergefahren.“ Lesen Sie auch Divi-Präsident Marx: „Wir müssen die Flucht aus dem Pflegeberuf unbedingt stoppen“ Ansteckende Corona-Mutationen: Kommen die Intensivstationen jetzt in Bedrängnis? Das gesamte System sei massiv unter Druck, die Kosten explodieren, sagte Sebastian Thomas vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). „Dennoch: Die psychische Belastung ist aber einfach durch strukturelle Mängel verursacht: Pflegekräfte tragen jetzt schon Situationen mit, die nicht tragbar sind – nicht nur in Krankenhäusern.“ Man sei deshalb über jeden froh, der diesen Job machen will. „Mein dringender Wunsch ist, dass nach der Krise nicht irgendetwas wichtiger ist und wir beim nächsten Aufschlag wieder überrascht sind, dass Pflegekräfte fehlen.“ Von Simon Polreich