Die deutschen Sicherheitsbehörden kennen ihn nur unter dem Namen „Der Alte“. Kein Name, kein Bild. Der Chef der litauischen Mafia schickt Räuberbanden nach Westeuropa, um Juweliere auszuplündern. Mit Ewaldas S. (26) sitzt nun ein Mann vor dem Landgericht, der zur mittleren Führungsebene der Mafia gehören soll. Er wurde mit internationalem Haftbefehl in Litauen festgenommen.
Überfall in Neustadt ging schief
Zum Prozessauftakt am Donnerstag schwieg der Angeklagte. Er soll die Räuber instruiert haben, welche Juweliere sie überfallen und was sie stehlen sollen. Was Letzteres betrifft, ist der Überfall auf Juwelier Bielert in Neustadt am 23. Januar 2017 in jeder Hinsicht schief gelaufen. Zunächst raubten die Täter die falschen Uhren (der Wert der Beute betrug mehr als 30 000 Euro). Die Tissot- und Cantina-Uhren waren den Mafia-Chefs nicht hochwertig genug. Und dann wurden die vier Räuber auch noch geschnappt und zu langen Haftstrafen verurteilt.
Nun könnte sich Richterin Renata Bürgel auf die Zeugenaussagen der verurteilten Straftäter stützen. Doch das gestaltet sich schwierig. Jurgis D. (29) verweigerte die Aussage. Das dürfe er als verurteilter Straftäter nicht, belehrte ihn die Richterin. Doch der Verbrecher mauerte weiter. Die Richterin sprach von Beugehaft. Doch wieso sollte das einen Straftäter schrecken, der noch bis 2033 Gefängnis sitzt?
Litauische Mafia überfallt immer dieselben Juweliere
Der wichtigere Zeuge ist ohnehin Remigigius T. (22). Er hatte Ewaldas S. in seinen Aussagen schwer belastet. Er stellte ihn als denjenigen dar, der vor Ort den Raubüberfall organisierte. So habe er Juwelier Bielert ausgewählt, habe den Räubern Schreckschusspistole und Reizgas in die Hand gedrückt. Von ihm wissen Polizei und Justiz auch, dass die litauische Mafia immer dieselben Juweliere überfällt. „Weil man sich dort auskennt.“ Das Neustädter Geschäft wurde 2016 und 2017 dreimal überfallen. Seitdem gibt es dort strenge Sicherheitsvorkehrungen.
Doch im Landgericht sagte der Zeuge am Donnerstag immer wieder: „Ich kann mich nicht erinnern.“ In der stundenlangen Aussage räumte er ein, dass er den Angeklagten kurz vor dem Überfall kennengelernt habe. Man habe über die Tat und die Ausführung gesprochen. „Wer war der Chef?“, wollte die Richterin wissen. „So einen Chef gab es nicht“, antwortete der Zeuge.
„Sie sind wie eine Mafiabande“
Hat er Angst um seine Familie in Litauen? In einer früheren Aussage sprach der Zeuge davon. Im Landgericht meinte er, dass er den Angeklagten belastet habe, um eine geringere Strafe zu erhalten. Ein verurteilter Räuber wollte in einem früheren Prozess zu den Drahtziehern der Überfälle nichts sagen, nur dies: „Das sind Litauer. Sie sind wie eine Mafiabande.“
Von Thomas Nagel