Kriminalstatistik: Corona bremst auch in Hannover die Verbrecher aus

Die Region Hannover ist offenbar wieder ein wenig sicherer geworden. Die Zahl der Straftaten ist im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr gesunken – um 2452 auf nun 103.849 Delikte. Das ist ein Minus von 2,31 Prozent und der niedrigste Stand seit 1990. Das geht aus der am Freitag veröffentlichten Kriminalstatistik der Polizeidirektion Hannover hervor. „Ein positives Rekordjahr“, so Polizeipräsident Volker Kluwe. „Ein imposantes Ergebnis.“ Werte indes, die weitgehend dem Landestrend entsprechen, wie er aus der Anfang der Woche veröffentlichten Landesstatistik hervorgeht. Was nicht überraschend ist. Mehr als ein Fünftel der landesweit insgesamt 497.158 Straftaten werden in der Region registriert. Erstaunlich ist, dass dieser historische Tiefstand erreicht wurde, obwohl es zunächst im ersten Quartal 2020 einen Anstieg gegeben hatte. Die Polizei führt dies auf den Corona-Effekt zurück, der das öffentliche Leben weitgehend zurückgeschraubt hatte. Die veränderten Lebensgewohnheiten boten zumindest in den meisten Bereichen geringere Möglichkeiten, Straftaten zu begehen. Es sind halt doch die Gelegenheiten, die Diebe machen. Weshalb Kluwe auch mahnte: „Die Zahlen sind nicht unmittelbar vergleichbar mit den Zahlen der Vorjahre.“ Häusliche Gewalt in der Region konstant hoch: Für den Bereich der häuslichen Gewalttaten gilt allerdings eher das Gegenteil. Hier war aufgrund der Pandemiemaßnahmen von Experten eine Zunahme vorausgesagt worden, die landesweit auch eintrat. Hier war ein Plus von rund sieben Prozent auf 21.509 Fälle registriert worden. Im Bereich der Polizeidirektion Hannover gab es dagegen eine Abnahme, wenn auch nur um sieben auf 4408 Fälle. Zwar keine Steigerung, aber ein immer noch hohes Niveau, so Polizeipräsident Volker Kluwe. Zumal ein großer Teil der häuslichen Gewalt im sogenannten Dunkelfeld stattfinde und somit gar nicht angezeigt werde. Die Zahlen zu diesem Deliktbereich sind also mit gebotener Vorsicht zu betrachten. Allerdings hatte es in Hannover bereits 2019 eine enorme Steigerung um rund 200 Taten gegeben. „Das übrige Land hat jetzt ei bisschen nachgeholt“, erklärte Kluwe. Die meisten Straftaten in diesem Bereich würden im Stadtgebiet registriert. „Ich kann mir vorstellen, dass die Sozialkontrolle in ländlichen Gebieten ausgeprägter ist“, erklärte der Polizeipräsident. Einbruch bei den Einbrüchen: Den größten, vermutlich coronabedingten Einbruch gab es bei den Einbrüchen. Bei Homeoffice und Urlaub in den eigenen vier Wänden hatten es die Diebe schwer, geeignete Objekte zu finden. Schon im Vorjahr war ein Rekordtief erreicht worden, was die Fahnder auf insgesamt verbesserte Sicherheitstechnik und erhöhte Polizeipräsenz zurückführen. 2020 ging die Zahl aber noch einmal um 445 auf nur noch 1354 Fälle zurück – weniger als die Hälfte der Fallzahlen von 2016. Auch beim Diebstahl aus beziehungsweise von Kraftfahrzeugen gab es einen deutlichen Rückgang von 2138 auf 2028 sowie 518 auf 421 Taten. Unbewachte Räumlichkeiten zogen dagegen Täter an: Mit einem Plus von 61,52 Prozent (617 Fälle) legten die Einbrüche in Keller- und Bodenräume kräftig auf 1620 Fälle zu. Auch bei den bekannt gewordenen Betrugsfällen gab es einen Rückgang, allerdings nur, weil es pandemiebedingt weniger Schwarzfahrer in den öffentlichen Verkehrsmitteln gab. Hier wurden mit 7292 fast 1000 Fälle weniger erfasst. Der Betrug mit geklauten EC-Karten hat dagegen um rund 250 auf 1420 Fälle zugelegt. Neu hinzu kam das Phänomen des Corona-Betrugs: Durch unberechtigt beantragte Soforthilfen schnellte im Feld des Subventionsbetrugs die Anzahl der Fälle von 2 auf 301. Verlagerung ins Internet: Da sich viele kriminelle Aktivitäten ins Internet verlagerten, nahmen die Fälle von Cyberkriminalität um 15,86 Prozent auf 4967 Fälle zu. Das liegt laut Polizei jedoch im Zehnjahresvergleich noch immer auf einem durchschnittlichen Niveau. Den größten Anteil nahm dabei der Waren- und Kreditbetrug mit 2569 Fällen (2019: 2323) ein. „Das ist kein Wunder“, betonte Kluwe. „Wenn die Geschäfte geschlossen haben, versucht man im Internet zu bestellen. Das nutzen Straftäter aus.“ Alle anderen Fälle, bei denen das Internet als Tatmittel genutzt wurde, legten um 434 Straftaten zu, bei denen es sich aber hauptsächlich um die Beantragung von Corona-Soforthilfen handelte, die bereits im Deliktbereich Subventionsbetrug auftauchen. Auch wenn es sich bei Coronaverstößen in aller Regel um Ordnungswidrigkeiten handelt, die von der Kriminalstatistik nicht erfasst werden, hatten die Polizeibeamten in Hannover damit 2020 alle Hände voll zu tun. Bei knapp 4500 Ereignissen seien entsprechende Verfahren eingeleitet worden, berichtete Polizeivizepräsident Jörg Müller am Freitag anlässlich der Vorstellung der Statistik. Damit seien aber keine Einzelfälle gemeint. Bei Ereignissen würden auch ganze Gruppen erfasst. „Wir haben also insgesamt deutlich mehr als 4500 Verstöße festgestellt.“ Das meiste davon seien Verstöße gegen die Maskenpflicht gewesen. Aber auch körpernahe Dienstleistungen, wie etwa Friseure oder Nagelstudios, die noch geöffnet hatten, hätten eine Rolle gespielt. Allerdings wurden auch 35 Straftaten im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz festgestellt, wie etwa das Verletzen einer Quarantäneanordnung. „In einem Fall etwa hatte jemand, der eigentlich in Quarantäne war, mehrfach das Haus verlassen“, schilderte Müller. „Das ist uns von einer Nachbarin gemeldet worden, die meinte, das könne ja nicht sein.“ Auch Polizisten stecken sich an. Die ersten Coronafälle bei der Polizei habe es Ende Februar 2020 gegeben, so Müller. Bis Ende des Jahres hätten sich 49 der rund 3700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörde mit dem Virus infiziert. „Aktuell sind sechs positiv getestet.“ Corona verschaffte den Beamten aber auch bei der Überwachung angemeldeter Demonstrationen zusätzlich Arbeit. Statt der durchschnittlich 700 Protestveranstaltungen habe es im vergangenen Jahr 900 gegeben, betonte Müller. 175 davon hätten in Zusammenhang mit Corona gestanden. 70 seien direkt der Querdenker-Bewegung zuzuordnen gewesen, bei 28 habe es sich um Gegendemonstrationen gehandelt. Besorgniserregend ist der weitere Anstieg der Sexualstraftaten, auch wenn dies laut Polizeipräsident Kluwe auch mit der verstärkten Ermittlungsarbeit zusammenhängt. So spiegelten sich in der hohen Zahl von 1203 Fällen (plus 6,84 Prozent) insbesondere auch bundesweit geführter Verfahren und Aktivitäten des Bundeskriminalamtes – auch in Verbindung mit internationalen Stellen. Kindesmissbrauch und Pornografie: Im Vergleich zu 2016 mit 587 Fällen hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Das liegt zum Teil am Anstieg der Verbreitung pornografischer Schriften, aber auch an den wieder ansteigenden Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs auf 175 Fälle. 2019 waren es noch 136 gewesen, 2018 allerdings sogar 181. In beiden Bereichen spielt jedoch die unreflektierte Verbreitung von Nacktbildern durch Kinder und Jugendliche über die sozialen Medien eine bedeutende Rolle. Beides zusammen erklärt noch nicht die Verdoppelung der Gesamtzahl der Sexualstraftaten seit 2016, die vor allem durch eine geänderte Gesetzeslage aber auch durch die „me-too“-Kampagne verursacht worden sein dürfte. Einen leichten Anstieg gab es bei Mord und Totschlag: Mit zehn Morden (2019: fünf) und 34 Totschlagsdelikten liegen die Zahlen zwar über dem Vorjahr, aber noch unter den Jahren 2016 bis 2018. Bei knapp einem Drittel der Taten wurde ein Messer als Tatwaffe verwendet. Allerdings führten nicht alle Angriffe zum Erfolg. Von den 44 Taten wurden nur elf vollendet: Fünfmal wurden die Taten als Totschlag gewertet und viermal als Mord. Zwei Fälle waren Tötung auf Verlangen. Mehr Angriffe mit Messer: Messerattacken nehmen insgesamt zu. 2020 zählten die Ermittler insgesamt 557 entsprechende Angriffe, 463 waren es im Vorjahr gewesen. Eine Steigerung um 20,3 Prozent. 87,25 Prozent der 455 erfassten Tatverdächtigen waren Männer, in einem knappen Drittel der Fälle spielte Alkohol eine Rolle. 219 der Angreifer hatten keine deutsche Staatsangehörigkeit, über einen möglichen Migrationshintergrund der übrigen Tatverdächtigen gibt die Statistik keine Auskunft. Dieser wird nicht erfasst. Einen weiteren Corona-Effekt sieht die Polizei bei den einfachen Körperverletzungen. Auch hier machten sich offenbar die Ausfälle von Fußballspielen und Großveranstaltungen wie dem Maschsee- und Schützenfest, aber auch die Schließung der Diskotheken positiv bemerkbar. Die einfachen Körperverletzungen gingen um 560 Fälle (knapp fünf Prozent) zurück. Allerdings nahmen die Fälle gefährlicher Körperverletzung leicht zu. Insgesamt gab es in diesem Bereich mit 10733 Taten 440 weniger als im Vorjahr. Straßenraub in der City: Drastisch zugenommen hat der Straßenraub um 134 auf 378 Fälle (plus 54,92 Prozent). Schwerpunkt der Taten lag in der Innenstadt Hannovers. Die Drogenkriminalität ist mit 8148 Delikten weitgehend auf dem Vorjahresniveau (8195) geblieben. Allerdings hat sich ein Trend zu Kokain entwickelt. In Verbindung mit dieser Droge registrierten die Fahnder mit 1432 Fällen eine Zunahme um 25,39 Prozent. Zugenommen hat auch die Gewalt gegen Polizeibeamte. 788-mal wurden Ermittler im Dienst Opfer von Straftaten, 56 Fälle mehr als im Vorjahr. Dabei handelte es sich mit 717 Fällen meist um Widerstand und tätlichen Angriff. Allerdings wurden nur 24 von ihnen dabei verletzt, 29 weniger als 2019. Leichte Entspannung gab es auch bei den Angriffen auf Rettungskräfte. Hier gab es 2020 41 Fälle gegenüber 62 im Vorjahr. Mit 580 gab es die meisten Angriffe auf Polizeibeamte im Stadtgebiet. Die Polizei hofft, dass der Einsatz von Bodycams in naher Zukunft auch in solchen Situationen deeskalierend oder zumindest abschreckend wirken könnte. Aktuell seien 145 davon im Einsatz, berichtete Polizeivizepräsident Jörg Müller. 70 davon im Bereich der Polizeiinspektion Hannover, 19 in Burgdorf, 30 in Garbsen und weiter 26 bei der Polizeiinspektion Besondere Dienste. Einen deutlichen Rückgang gab es bei der Jugendkriminalität von 6200 in 2019 auf nun 5600 Fälle, die Anzahl der minderjährigen Tatverdächtigen sank von 4575 auf 4199. Auch hier sieht die Polizei einen Corona-Effekt, weil bei dieser Tätergruppe mit einem Minus von 22 Prozent vor allem die Diebstähle zurückgingen. Was mit der Schließung des Einzelhandels zusammenhängen dürfte. 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