Hetze und Bedrohungen: So sieht es in den Rathäusern der Region aus

Seit Jahren werden Politiker in Deutschland beleidigt, bedroht und angegriffen. Aktuell sind 36 Bundespolitiker einer hohen Gefährdung ausgesetzt, zehn von ihnen stehen deshalb ständig unter besonderem Schutz des Bundeskriminalamts. Aber auch auf kommunaler Ebene sind Politiker immer öfter Hass und Hetze ausgesetzt. Jüngstes Beispiel dieser Entwicklung war zum Jahreswechsel der Rücktritt des Estorfer Bürgermeisters Arnd Focke (NP berichtete). Der SPD-Mann hatte sein Amt nach massiven Beleidigungen und Morddrohungen aus der rechten Szene niedergelegt. Gewalt in Rathäusern und Beleidigungen von Bürgermeistern, Ratsmitgliedern und städtischen Mitarbeitern – wie oft passiert das in der Region Hannover? Das wollte die Neue Presse herausfinden und hat dazu alle 21 kommunalen Verwaltungen in der Region angeschrieben und nach ihren Erfahrungen gefragt. Vier Rathäuser ließen die Anfrage unbeantwortet, in vier weiteren Kommunen ( Gehrden, Isernhagen, Lehrte und Ronnenberg ) sind keine Fälle von Gewalt bekannt. „Verrohung darf nicht länger hingenommen werden“: Marc Lahmann (CDU), Bürgermeister von Barsinghausen, liegt das Thema deutlich am Herzen: „Die Verrohung in der Gesellschaft darf nicht länger hingenommen werden“, sagt der CDU-Mann entschieden. Im Zuge der Flüchtlingskrise seien Fälle von Gewaltdrohungen im Rathaus angestiegen, so Lahmann: „Früher waren es zwei Beleidigungen im Jahr, heute sind es deutlich mehr – sowohl direkt als auch per Email.“ Vor allem im Bürgerbüro und in der Kfz-Zulassungsstelle hätten verbale Übergriffe stark zugenommen. Lahmann: „Körperliche Angriffe auf Mitarbeiter hatten wir bislang noch nicht, aber Bedrohungen, wenn Mitarbeiter das Büro verlassen haben.“ Zum Schutz der Mitarbeiter werde es im Bürgerbüro nun bauliche Veränderungen geben. Obwohl alle Mitarbeiter dazu angehalten seien, jeden Vorfall zu melden, geht der Bürgermeister von einer hohen Dunkelziffer aus. „Vielleicht weil einige Opfer sich denken, dass eine Anzeige sowieso zu nichts führen wird. Der Fall von Renate Künast gibt ihnen leider recht“, so Lahmann. Er ist erleichtert, dass „nun die große Politik die alltäglichen Übergriffe in Rathäusern“ endlich im Fokus hat. Lahmann appelliert: „Wir müssen unsere Mitarbeiter schützen, jeder muss mit einem sicheren Gefühl zur Arbeit gehen können. Aus anfänglich drohnenden Worten können irgendwann Taten werden.“ Lesen Sie auch Gewalt auch im Rathaus Laatzen: Auch im Rathaus in Laatzen gibt es Gewalt. „Seit zwei Jahren werden die Angriffe konkret erfasst“, sagt Stadtsprecherin Nele Beck. Allein im Jahr 2018 wurden acht Angriffe, davon ein körperlicher mit einer verletzten Person, registriert. Ein Anstieg wird in Laatzen zwar nicht beobachtet, man wisse aber nicht, ob tatsächlich alle Vorfälle gemeldet werden, sagt Beck. Regelmäßig werden die Mitarbeiter im Umgang mit schwierigen Bürgern geschult, einzelne Abteilungen sind zudem mit Alarmknöpfen ausgestattet. Die Stadt Burgdorf verzeichnet einen Trend zu mehr Gewalt und Verrohung, „Immer öfter werden Mitarbeiter verbal bedroht, in Einzelfällen entstehen dadurch konkrete Bedrohungslagen“, heißt es. Grundsätzlich werde jede Straftat angezeigt, Mitarbeiter regelmäßig geschult. „Daneben wird derzeit in der Verwaltung flächendeckend ein Alarmierungssystem aufgebaut“, so Stadtsprecherin Alexandra Veith. Drei- bis viermal im Monat kommt es in der Verwaltung von Neustadt am Rübenberge zu Vorfällen, die Tendenz sei leicht steigend, sagt Sprecherin Kathrin Kühling. „Mal wird beleidigt, weil Kunden zu lange warten müssen oder mit Entscheidungen nicht einverstanden sind, andere weigern sich, Büros zu verlassen. Vereinzelt kommt es dann vor, dass die Polizei gerufen werden muss“, so die Sprecherin weiter. „Ton wird rauer, insbesondere in den sozialen Medien“: Im Pattenser Rathaus gibt es bislang zwar keine Übergriffe auf Mitarbeiter oder Mandatsträger. „Was wir jedoch deutlich verspüren, ist dass der Ton rauer wird, insbesondere in den sozialen Medien. Dort mangelt es ab und zu an Respekt und sozialer Kompetenz“, sagt Sprecherin Andrea Steding. Aktuell lasse vor allem die Diskussionskultur zur Abschaffung oder Beibehaltung der Straßenausbaubeiträge zu wünschen übrig, so die Sprecherin weiter: „Viel schlimmer sind allerdings Parolen aus der rechten Ecke im öffentlichen Raum, etwa in Form von Graffitis, die sich gegen unsere stabile und vielfältige Stadtgesellschaft richten.“ Auch in der Gemeinde Wedemark gibt es „eine zunehmende Verrohung im Verhalten eines Teils unserer Kunden gegenüber einzelner Mitarbeiter“, sagt Stadtsprecher Ewald Nagel: „Konkrete Bedrohungen oder Angriffe mussten wir glücklicherweise noch nicht feststellen.“ Ähnlich hört sich das in Garbsen an, auch hier sei der Ton in den letzten Jahren insgesamt ruppiger und unfreundlicher geworden, sagt ein Sprecher: „Das gilt nicht nur im Internet, sondern auch von Angesicht zu Angesicht. Der Anstieg der Fälle ist aber nicht überproportional.“ Immer wieder Anfeindungen in Sehnde: In Sehnde erleben Mitarbeiter der Stadtverwaltung sowie Kommunalpolitiker immer wieder Anfeindungen – in direkter Auseinandersetzung und immer öfter auch in den sozialen Medien. „Alle politischen Parteien sind dabei zur Zielscheibe geworden. Es vergeht keine Woche ohne neue Vorfälle“, so Bürgermeister Olaf Kruse (SPD). Erst vor wenigen Wochen manipulierten Unbekannte am Privatwagen einer Ratsfrau die Ventile der Autoreifen. Die Ermittlungen dazu dauern an. Und auch Bürgermeister Kruse wurde bereits mehrfach in den sozialen Netzwerken angefeindet – stets anonym. „Wir verzeichnen leider auch gegenüber unseren Einsatzkräften der freiwilligen Feuerwehr eine zunehmende Aggressivität von Verkehrsteilnehmern, vor allem dann, wenn Straßen gesperrt sind“, so Kruse. Seit wann nehmen die Fälle von Gewalt zu? „Aus unserer Sicht hat eine Zunahme im Zusammenhang mit der Nutzung der sozialen Medien stattgefunden“, sagt der Bürgermeister. Auch Detlef Schallhorn, Bürgermeister in Seelze, gibt dem Internet die Schuld an dieser Entwicklung: „Der Umgangston wird insgesamt durchaus rauer und das ist sehr schade, zumal wir alle versuchen, gute Arbeit zu leisten. An diesen verrohenden Sitten ist sicher das Internet mit schuldig.“ Das spiegele sich auch in den Rückmeldungen verschiedener Abteilungen wider. Erst vor knapp einem Monat habe ein Kunde im Bürgerbüro „aus lauter Frust einen Tisch im Wartebereich kaputt getreten“. Stark zugenommen hätten auch Diskussionen, die bei Mitarbeitern oft ein „unangenehmes Gefühl hinterlassen“, vor allem an Freitagnachmittagen sowie samstags. Die Stadt Seelze prüft daher, an diesen Tagen einen Ordnungsdienst einzusetzen. Auch in den Schulsekretariaten komme es vereinzelt zu Bedrohungen, sowohl von Schülern als auch von aufgebrachten Eltern. „Insgesamt schätzte ich die Situation in Seelze aber noch relativ ruhig im Vergleich zu anderen Städten und Gemeinden ein“, sagt Schallhorn. „Problematisches Verhalten von Besuchern“: Im Rathaus in Springe gibt es „vereinzelt ein problematisches Verhalten von Besuchern“. Meist komme es im Kontext mit ordnungsbehördlichen Maßnahmen oder in der Leistungsverwaltung zu Streitigkeiten, sagt Sprecherin Sina Riedel. Die Vorfälle seien zwar eher selten, würden tendenziell aber zunehmen. Riedel: „Ein Startpunkt, wann es damit losging, lässt sich nicht sagen. Eine zunehmend aggressive Haltung ist ein gesellschaftliches Phänomen, dessen Aufwachsen kaum noch konkret nachvollziehbar oder datierbar ist.“ Grundsätzlich verfolgt die Stadt Springe bei Aggressivität und Übergriffen eine Null-Toleranz-Strategie. Riedel: „Wir reagieren schon bei den ersten Beobachtungen, machen von unserem Hausrecht Gebrauch, erstatten, wenn es die Tat hergibt, auch Strafanzeige.“ Keine konkreten Bedrohungen, aber eine Kommunikation, insbesondere in den sozialen Netzwerken, die rauer, unsachlicher und persönlich angreifender geworden ist, lautet das Fazit im Rathaus von Wunstorf. „Noch vor zwei Jahren war es nicht so schlimm wie heute, die Hemmschwelle für Beleidigungen und persönliche Angriffe ist gesunken“, sagt Sprecher Alexander Stockum. Vor einem Jahr sei eine Person einfach durch das Vorzimmer in das Büro des Bürgermeisters gestürmt, um ihn zur Rede zu stellen. Stockum: „Zum Glück ging der Fall glimpflich aus, er hat allerdings auch aufgezeigt, dass ganz plötzlich aus dem Nichts etwas passieren kann, worauf ein offenes Rathaus sich schlichtweg nicht vorbereiten kann.“ Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die ehrenamtlichen politischen Akteure zu schützen und öffentlichen Beleidigungen entgegenzutreten, so Stockum: „Sie stellen schließlich den Grundpfeiler unserer parlamentarischen Demokratie auf kommunaler Ebene dar.“ „Autosau“ und „Umweltschwein“: Im Rathaus Hemmingen heißt es, „dass die Sprache insbesondere in den sozialen Medien aggressiver wird“. Ulff Konze, Vorsitzender der CDU-Fraktion, ist seit 2001 Mitglied im Rat der Stadt. „Seitdem habe ich ein Dutzend Beleidigungen erfahren, insbesondere im Zusammenhang mit der B3-Umgehung“, so Konze. Er sei als „Autosau“ und „Umweltschwein“ beschimpft worden. Gleich zweimal bewarfen Unbekannte sein Auto mit Schokokuchen. Als Konze mit der CDU gegen eine geplante Hallenbad-Sanierung stimmte, wurden die Bedrohungen schärfer: „Lass das Du Schwein, sonst passiert was.“ Ulff Konze wollte sich davon aber nicht einschüchtern lassen, doch es ist ihm bewusst: „Solche Angriffe treffen ehrenamtlich Engagierte besonders hart, weil sie ihre Freizeit für dieses Engagement opfern.“ Es müsse ein deutliches Zeichen gegen diese „Verhöhnung demokratischer Institutionen“ gesetzt werden. Konze: „Sonst fängt unsere Demokratie irgendwann an zu bröckeln, wenn sich keiner mehr, aus Angst vor Angriffen, engagieren will. Von Britta Lüers

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