Hass auf Kommunalpolitiker: „Man erzeugt Wut, um Identität herzustellen“

Der Sozialpsychologe Andreas Zick leitet das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Der renommierte Wissenschaftler ist auch selbst im Visier der Hassbürger und erhält Morddrohungen. Wo ist der Hass gegen Vertreter des Staates einzuordnen? Sind das Rechtsradikale oder einfach nur wütende Menschen? Es gibt Wütende, die keine klare Ideologie vertreten, sondern mit den Wölfen heulen. Es gibt Einzelne, die ihren Zorn, ihre Frustration oder den Ekel gegen Gruppen äußern, weil sie meinen, das wäre jetzt legitim. Wenn es gegen die Vertreterinnen und Vertreter des Staates geht, dann ist das allerdings in der Regel eine organisierte und orchestrierte Wut, die von Gruppen getragen ist. „Wutbürger“ ist zur Grundlage der Identifikation mit politischen Gruppen geworden, gerade da, wo gezielte und klare politische Programme fehlen. Man ist vereint in Wut und erzeugt Wut, um Identität herzustellen. Selbstwertgefühl durch Abwertung anderer: Der Journalist Hasnain Kazim berichtet von Drohungen wie „Ich werde dafür sorgen, dass du artgerecht entsorgt wirst". Was mag in Menschen vorgehen, die solche Dinge schreiben? Es ist schwer, an solche Menschen zu kommen, denn in der Regel wissen sie, dass sie Normen verletzen. Es gibt Gruppen, die mitmachen und dann erstaunt sind, wenn man sie mit ihren Hassbotschaften konfrontiert. Renate Künast hat das ja getan mit ihrer Tür-zu-Tür-Aktion, wo sie Menschen, die ihr Hassbotschaften gesendet haben, aufgesucht hat. Die Mehrheit handelt, auch wenn ihr das nicht bewusst ist, als Gruppenmitglieder. Sie schicken den Hass gegen die Feinde der Gruppe los. Fühlen sich zugehörig, haben für einen Moment Selbstwert durch die Abwertung der anderen, meinen, sie würden die Welt beeinflussen und sie bekommen viel Unterstützung durch die Gruppe, also Likes und Follower. Je mehr sie von dieser Bestätigung abhängen, desto enger vernetzen sie sich und bilden Netzgruppen, die sich für die Mitglieder real anfühlen. Steckt hinter jeder Morddrohung auch eine Mordabsicht? Gewaltakte haben in der Regel eine Vorphase, wo sich aus Ideologien und Feindbildern Gewaltabsichten, -billigungen und -bereitschaften ergeben. Daher ist ja unsere Beobachtung der steigenden Zusammenhänge von Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Gewaltbilligung in der Mitte so beunruhigend. In unseren Studien zeigen sich Verschiebungen von Normen, die Gewalt erleichtern. Wenn 36 Prozent in der Mitte meinen, wir könnten es uns im nationalen Interesse nicht mehr leisten, die gleichen Rechte von allen zu gewährleisten, ist das bei manchen mit einer höheren Aggressions- und Gewaltakzeptanz verbunden. Überbietungswettbewerb der Feindbilder im Internet: Woher kommt so plötzlich die Wut, die Aggression und die Gewalt? Wir forschen seit vielen Jahren über Extremismus, Menschenfeindlichkeit und Radikalisierungen. Für uns kommt es nicht plötzlich. Die Wucht wird plötzlich sichtbar und Hasskampagnen sind heute schneller mobilisierbar. Schon in den 1990er Jahren hatten wir tausende von Websites rechtsextremer Gruppen, denen wenige Seiten einer Zivilgesellschaft gegenüberstanden. Wir vergessen, dass Pegida eine Facebook-Gruppe war. Rechtsextreme und so genannte neurechte Gruppen, die ihre Propaganda von Volksaustausch, Überfremdung und Widerstand gegen Eliten im Netz platzierten, motivierten rechte Bewegungen und diese motivierten rechtspopulistische Gruppen. Das Internet hat sich langsam zu einem bewegungsförmigen Netz entwickelt, in dem nicht nur Hass und Ideologien ausgetauscht werden, sondern auch die Rollen aufgeteilt werden und ein Überbietungswettbewerb der Feindbilder kursiert. Es gibt dort alles, was Gruppen brauchen, um Hasskampagnen auf der Stelle loszutreten. Vergewaltigungsdrohungen richten sich vor allem gegenüber Frauen (Schröder-Köpf, Dunya Halali) – was sind das für Männer, die solche Drohungen ausstoßen? Solche Vergewaltigungsmythen sind tief in die Gesellschaft eingegraben. Wir finden sie auch bei häuslicher und sexueller Gewalt. Rechtsextreme und in Teilen aggressive und gewaltbereite rechtspopulistische Täter haben ein männliches, sexistisches und traditionelles Frauenbild. Insbesondere Frauen in Spitzenpositionen werden zum Ziel, weil ihnen gegenüber auch in nicht gewalttätigen Gruppen sexistische Vorurteile und Stereotype bestehen – und die Täter sich auf sie berufen können. Linksextremismus und Rechtsextremismus nicht vergleichbar: Sind Morddrohungen ein rechtes Problem oder machen das auch links eingestellte Bürger? Es ist höchst problematisch, Linksextremismus mit Rechtsextremismus zu vergleichen, auch wenn die psychologische Dynamik dahinter bei Einzelnen vergleichbar ist. Linke Gewalt erscheint geballt bei Protestaktionen oder sogenannten Widerstandstaten an spezifischen Orten und oft in Auseinandersetzung mit der Polizei. Sie wird nicht durch menschenfeindliche und rassistische Ideologien legitimiert. Das macht die einzelne Gewalttat nicht besser, aber die Wurzeln und Ziele sind anders. Sie bekommen selbst Morddrohungen. Wer bedroht Sie? Sie kommen aus rechtsextremen Gruppen und zum Teil kommen Rechtspopulisten nahe dran. Eigentlich rede ich darüber nicht, weil Angreifer auch Öffentlichkeit suchen und wissen möchten, ob sie treffen. Ich lasse mich beraten, zum Teil werden Nachrichten gesammelt, bevor ich sie sehe. Zivilcourage und Ziviltugend gefragt: Wie kann sich die Zivilgesellschaft vor Hass und Hetze wehren? Brauchen wir einen „Aufstand der Anständigen“? Eine pauschale Gruppe wie „die Anständigen“ führt zu neuen Konflikten. Auch Populisten und Rechtsextreme haben Bilder vom anständigen Deutschen. Wir brauchen einfache Dinge, die die Demokratie stark gemacht haben. Zivilcourage ist Ziviltugend. Wir brauchen demokratische Räume, in denen die Regeln klar sind. Wir brauchen Schutz. Wir brauchen auch in der Forschung ganz konkret Unterstützung, um weiter die Mechanismen des Hasses zu erforschen. Die Verlässlichkeit der Demokratie ist nicht gottgegeben und hat sich durch Kompromisse mit dem Rechtspopulismus verschoben. Ich wünsche keinen Aufstand, sondern eine konsequente Einhaltung von Grund- und Menschenrechten. Lesen Sie auch: Hannovers OB Belit Onay im Visier von Hass und Hetze Von Petra Rückerl

NP-Interview - „Man erzeugt Wut, um Identität herzustellen“