Hannovers neue SPD-Spitze über Schostok, Vertrauen und Wahlen

.Die SPD kann noch Wahlen gewinnen. Das hat gerade das Ergebnis in Hamburg gezeigt. Wie wichtig ist das als Signal für Hannover? Ahmetovic: Nicht nur in Hamburg, sondern auch in Mainz, Wiesbaden und Kiel haben wir bewiesen, dass die SPD Wahlen gewinnen kann und weiterhin eine innovative und soziale Großstadtpartei ist. Denn das sind alles Großstädte, in denen Sozialdemokraten seit Jahren erfolgreich regieren. Trotz des Bundestrends haben die Sozialdemokraten dort gezeigt, dass sie mit klaren Themen und Zukunftsvorstellungen siegen können. Die Hamburger SPD hat gerade in den letzten Wochen vor der Wahl in beeindruckender Weise aufgeholt. Innerhalb von drei Monaten haben sie durch Geschlossenheit, klare Inhalte, einen engagierten Wahlkampf sowie eine fehlerfreie Kampagne ein hervorragendes Ergebnis erzielt. Ich bin sehr froh darüber und gerade auch für Hannover gibt uns das Rückenwind. Alle, die glauben, dass die Sozialdemokratie in Hannover abgemeldet sei, werden wir in der kommenden Zeit vom Gegenteil überzeugen. Hat die Hamburger SPD von den Ereignissen in Thüringen profitiert? Ahmetovic: Die Hamburger Sozialdemokraten haben vor allem die verdiente Anerkennung für ihre gute Regierungsarbeit bekommen. Die Themen waren klar und die Menschen in Hamburg wussten, wofür die SPD steht: Für Zusammenhalt, für innovative Wirtschaft und nachhaltige Mobilität sowie für bezahlbares Wohnen und gerechte Bildung. Zudem haben sie sich in Hamburg einiges getraut und zum Beispiel auch auf viele junge Köpfe gesetzt. Auffällig war, dass der Spitzenkandidat auf maximale Distanz zur Bundespartei gegangen ist. Motto: Lasst mich mal machen – ich kriege das auch alleine hin. Strauch: Es gab Menschen, die davon nicht überrascht waren, andere wiederum fanden es gut, dass Peter Tschentscher als amtierender erster Bürgermeister gezeigt hat, dass er auch ohne Bundesprominenz stark ist. In der Geschichte der Hamburger Wahlkämpfe war das immer wieder zu beobachten: Man stellt gerne landespolitische Themen in den Vordergrund. Daher ist die Handhabung nicht neu und keine Distanzierung zu unserem Bundesvorstand. Nur noch zweitstärkste Kraft hinter den Grünen? Wenn wir die Ergebnisse von der Europa- und vor allem OB-Wahl zu Grunde legen, müssten Sie befürchten, bei der Kommunalwahl 2021 in Hannover nur noch zweitstärkste Kraft hinter den Grünen zu sein. Haben Sie einen Plan, wie Sie das verhindern wollen? Ahmetovic: Die Hamburger SPD hat bei der Europawahl im vergangenen Jahr 19 Prozent erzielt und jetzt die Wahl deutlich mit 39 Prozent gewonnen. Daran sehen wir: Alles ist offen – gerade auch für uns als SPD hier vor Ort. Aber die Hamburger SPD hatte in der Zwischenzeit keine OB-Wahl, in der es der SPD-Spitzenkandidat nicht mal in die Stichwahl schaffte. Ahmetovic: Bei der Kommunalwahl 2021 wählen wir in Hannover in erster Linie keinen Kopf, sondern eine Partei. Und die SPD Hannover macht eine richtig gute Arbeit. Wie gewinnen Sie Zuspruch aktuell? Strauch: Wir sind eine Kümmerer-Partei und gehen auf die Menschen zu. Und wir zeigen klare Haltung: Mit dem DGB und dem Bündnis „Bunt statt braun“ haben wir gerade die große Kundgebung vor der Marktkirche organisiert. Über 3000 Menschen sind in kurzer Zeit zusammengekommen, um der Opfer des rechten Anschlags in Hanau zu gedenken, um gegen Rassismus und für Vielfalt einzustehen. Wir bringen uns aktiv in unsere Stadt ein. Ahmetovic: Genau das – der Kampf gegen den Faschismus – steckt in unserer sozialdemokratischen DNA. Das ist eines unserer großen Herzensthemen. Vor zehn Jahren wäre es kaum vorstellbar gewesen, dass eine unserer Hauptaufgaben die Verteidigung der Demokratie sein wird. Spätestens seit Halle und Hanau steht für uns fest: Wir dürfen nicht erst auf die Straße gehen, wenn etwas passiert ist, sondern müssen unsere Demokratie aktiv schützen. Am 15. September ist der Internationale Tag der Demokratie. Das ist ein sehr guter Anlass, um mit einem breiten gesellschaftlichen Bündnis ein Fest für unsere Demokratie im Herzen Hannovers zu organisieren. An dieser Stelle kann Hannover Vorreiterin werden. Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt: Wird alles nicht helfen, wenn sich diese Menschen dann auf dem Wohnungsmarkt ausgegrenzt fühlen oder wenn sie arm sind. Ahmetovic: Um genau das zu verhindern, brauchen wir eine starke Sozialdemokratie. Sie ist die Brückenbauerin zwischen den verschiedenen Interessen unserer heutigen Zeit und dafür treten wir in Hannover ein. Wir werden weiteren bezahlbaren Wohnraum schaffen und dabei die Energiewende und den Klimaschutz sozialverträglich voranbringen. Das ist ein Beispiel, wie wir verhindern wollen, dass weitere Menschen in die Armut rutschen. Denn durch Armut steigt die Gefahr der Verdrossenheit und Radikalisierung. Strauch: Ebenso müssen wir deutlich in die Bildung investieren, denn eine gute Bildung ist letztlich der Schlüssel zum sozialen Aufstieg und ein guter Schutz gegen rechtsextremistische Abwege. Warum ist die SPD in der OB-Wahl so krachend gescheitert?? Ahmetovic: Die OB-Wahl war eine Zäsur, und das Ergebnis hatte für uns eine klare Botschaft: Die Mehrheit der Menschen hat uns nicht mehr ihr Vertrauen geschenkt. Aber woran liegt das? Ausschließlich an der Rathausaffäre oder daran, dass die SPD 73 Jahre lang den OB stellte und viele sich gewünscht haben, nach 73 Jahren müsse ein Wechsel her? Ahmetovic: Ohne die Ereignisse im Rathaus hätte es keine vorgezogene OB-Wahl gegeben. Klar ist: Wenn man ein Leben lang hart arbeitet und dann in der Zeitung von unrechtmäßigen Zulagen liest, löst das ein Ungerechtigkeitsgefühl aus. Und so verlieren Bürgerinnen und Bürger letztendlich das Vertrauen. Dieses Vertrauen wollen wir aber zurückgewinnen – durch viele direkte Begegnungen und gute politische Arbeit. Wir, Ulrike und ich, halten uns an das, was wir versprechen. Und wir versprechen nur, was wir auch halten können. Glaubwürdigkeit spielt für uns, in dem was wir tun, eine außerordentlich große Rolle. Die Rolle von Stefan Schostok: Stefan Schostok ist noch heute davon überzeugt, dass er nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat und ihn zwei Mitarbeiter hintergangen haben. Ahmetovic: Dazu können wir nichts sagen. Das laufende juristische Verfahren wird für Klarheit sorgen. Was würde passieren bei einem Freispruch? Kann Schostok dann zurückkehren in die Politik? Ahmetovic: Lassen Sie uns den Ausgang des Prozesses abwarten. Unabhängig vom möglichen Ausgang des Prozesses – wie ist das Verhältnis der SPD zu Stefan Schostok? Ahmetovic: Stefan Schostok ist Mitglied der SPD. Diese Partei lebt Solidarität seit über 150 Jahren und wird nicht vergessen, dass er 2013 die Oberbürgermeisterwahl mit großem Zuspruch gewonnen hat. Wie bewerten Sie das Ergebnis zur neuen Dezernatsverteilung? Strauch: Wir haben hart miteinander verhandelt und sind stolz auf das Ergebnis, das auch auf Kompromissen beruht. Die Sitzungen dauerten lange, waren an-strengend und führten zu einem gu-ten Ergebnis für Hannover. Das Ampelbündnis war angetan von dem Ergebnis – die CDU allerdings überhaupt nicht. Strauch: Mich empört, dass die CDU das Mitvorschlagsrecht für das Sozialdezernat nicht annehmen wollte, weil es ihnen zu klein sei. Das ist aus meiner Sicht eine falsche Wahrnehmung. Gerade die CDU hatte mit Thomas Walter einen hervorragenden Sozialdezernenten gestellt. Er hat große Fußstapfen hinterlassen, die CDU hätte versuchen können, sie gut zu füllen. Dezernenten werden gesucht: Drei Dezernenten werden gesucht – für Soziales, Personal und Bauen. Gibt es ein Dezernat, das Sie am liebsten mit einem Vorschlag ihrer Wahl besetzen würden? Ahmetovic: Bauen ist für uns als SPD das Thema der Zukunft, um Hannover zu gestalten. Nach zehn Tagen im Amt als Doppelspitze haben wir unser 100-Tage-Programm präsentiert. Hierbei steht der Wohnungsbau ganz oben auf der Agenda. Wir wollen die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum gerade auch für mittlere und untere Einkommen mit dem Klimaschutz und der Energiewende verbinden. Jeder Erzieher, jede Bahnmitarbeiterin oder jeder Angestellte muss sich das Leben in Hannover leisten können – bezahlbarer Wohnraum ist dabei ein wichtiges Element. Wenn wir im Ampel-Bündnis die Profilbeschreibung für dieses Dezernat erstellen – und die soll sich anders als die Ausschreibungen der vorherigen Jahre sehen lassen – beginnt die Suche nach den klügsten Köpfen für Hannover. Parteizugehörigkeit spielt dabei keine Rolle. Sie betonen, es komme auf die Qualifikation an. Wenn Sie das als Maßstab nehmen – wie kommt der OB weg? Strauch: Er ist menschlich sehr in Ordnung. Er hat eine sehr feine Art des Umgangs, und ihn zu treffen macht Freude. Ahmetovic: Wir arbeiten konstruktiv zusammen, begleiten sein Wirken aber stets auch kritisch. Als Beispiel ist die autofreie Innenstadt zu nennen. Da haben wir eine abweichende Position zum Oberbürgermeister, diese werden wir auch klar vertreten. Forderung nach autofreier City: Aber Onay ist trotz seiner konsequenten Forderung nach einer autofreien City gewählt worden. Strauch: Stimmt. Aber wir als SPD sehen das kritisch und werden einen alternativen Vorschlag präsentieren. Wir setzen auf innovativere Lösungen – an erster Stelle steht der Ausbau des ÖPNV. Ahmetovic: Vielleicht ist es etwas typisch Grünes: Auf der einen Seite Klimaneutralität fordern, dann aber nicht sagen, was die Meilensteine auf dem Weg dazu sind. Das werden wir als SPD anders machen. Eine autofreie City bis 2030 ist aus unserer Sicht nicht zu realisieren, dafür plädieren wir aber für eine deutlich autoärmere Innenstadt: Indem wir den ÖPNV-Takt verbessern und die Kapazitäten erhöhen. Dazu soll das Radfahren attraktiver werden, indem wir für bessere Fahrradwege sorgen. Wenn wir aber über Klimaschutz sprechen, fokussiert sich die Debatte zur sehr auf den Verkehr. Dieser macht um die 16 Prozent aus. Mehr als 30 Prozent kommen jedoch vom Wohnen. Wir haben noch über 10.000 Ölheizungen in Hannover. Da müssen wir ran. Bestandswohnungen energetisch sanieren und auf Erneuerbare Energien im Wohnungsbau setzen. Das muss ebenfalls ein Schwerpunkt städtischer Energie- und Klimapolitik sein. Vorteil von Doppelspitzen? Sie ergänzen sich in ihren Beiträgen. Ist das der Vorteil von Doppelspitzen? Strauch: Ich empfinde es als großen Gewinn, dass wir uns als SPD-Doppelspitze gefunden haben. Je länger wir zusammenarbeiten, desto sicherer bin ich, dass diese Kombination die richtige personelle Antwort auf die bevorstehenden Herausforderungen ist. Hannover ist die Stadt von Parteichefs wie Herbert Schmalstieg, Stephan Weil oder Gerhard Schröder. Da hat niemandem der weibliche Part gefehlt. Ahmetovic: Die Zeiten haben sich geändert. Strauch: Hannover ist eine Großstadt mit vielen Anforderungen. Ich wüsste nicht, wie eine einzige Person das abdecken könnte. Wir sind von unterschiedlichem Temperament. Adis sprudelt vor Ideen und steckt voller Dynamik. Ich bin die Ruhige, die Stimme der Älteren und der Frauen. Wir ergänzen uns sehr gut. Ahmetovic: Wir erreichen unterschiedliche Hannoveranerinnen und Hannoveraner und gehen auf sie zu. Wir wollen Brückenbauer sein – immer mit viel Freude und guter Laune. Von Vera König

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