Hannover: Spagat zwischen Gottvertrauen und Verantwortung in den Kirchen

So richtig voll sind die christlichen Kirchen in Deutschland ja eigentlich immer nur zu Weihnachten – und nun macht Corona auch diesen spirituellen Großevents einen Strich durch die Rechnung. Gottesdienste oder Gesundheit, diese Frage hat die Paul-Gerhardt-Gemeinde in Badenstedt für sich klar beantwortet – und lässt alle Gottesdienste bis 10. Januar ausfallen. Inklusive der beiden Open-Air-Gottesdienste zu Heiligabend, die schon seit dem Sommer als Corona-Alternative geplant worden waren. Wirklich alle? „Jein“, beantwortet Pastor Manuel Kronast (48) die Frage, ob das wirklich so endgültig sei. Denn statt der zwei Veranstaltungen an Weihnachten mit vielen Menschen, Predigten und Gesang gibt es nun einen Weihnachtsgottesdienst ohne Gesang, ohne Predigten – und mit nur wenig Menschen. Es wird der längste sein, der hier je gefeiert wurde. „Tankstelle der Zuversicht“ nennen die Macher ihn. Wer nicht kommt, kann als digitale Alternative aufgezeichnete Gottesdienste als Podcast am 24. herunterladen. Wer aber auf analoge Kirche am Heiligen Abend nicht verzichten mag, dem stehen die Tore zum Gotteshaus offen: „Wir öffnen die Kirche von 16 bis 23 Uhr mit festlichen Stationen, wo man was sieht, wo man Gebete aufschreiben kann, es gibt Einspielungen vom Band – die Konfirmanden haben hier etwas vorbereitet.“ Maximal 25 Personen dürften sich auf einmal in der Kirche aufhalten, „hier kann man deutlich den Abstand halten“. Dass das auch passiert, dafür ist gesorgt. Auch Kronast ist für etwa drei Stunden anwesend, „ich mache dann aber eher den Ordner“, sagt er lächelnd. Die Familie, seine Frau und die drei Kinder im Alter von 14,17 und 20 Jahren sind dabei – während auf den Besuch der Schwiegereltern am ersten Weihnachtstag dieses Jahr verzichtet wird. Spagat zwischen Gottvertrauen und Verantwortung: Viel Zuwendung, aber auf Distanz: Diesen Spagat zwischen Gottvertrauen und Verantwortung üben Kronast und seine Kollegen „ja schon seit März“. Kreativität ist gefragt, Organisationstalent, Ehrenamtliche sowohl verpflichten als auch beschützen. Und auch Briefe schreiben. „Die neuen Medien sind nicht so gefragt, haben wir festgestellt und deswegen darauf verzichtet, Gottesdienste zu streamen.“ Dafür werden Briefe für sonntags geschrieben – mit Predigten in gedruckter Form, mit Gesang und Gebeten – „unser Eindruck war, dass wir damit eine größere Reichweite hatten als zu unseren Gottesdiensten“, erzählt Pastor Kronast. Es habe mehr Rückmeldungen gegeben, etwa dass diese Briefe Trost und Halt gegeben haben. Dass die Menschen gemerkt hätten, „man denkt an sie“. Denn diesen Spagat zwischen Gottvertrauen und Verantwortung üben auch die Gemeindemitglieder. „Ich glaube, die Angst vor Einsamkeit ist bei vielen noch stärker als die vor Ansteckung. Und die Frage, wie lange das Ganze noch dauern wird“, sagt der 48-Jährige gerade mit Hinblick auf die ältere Generation. Es mache ihnen zu schaffen, Weihnachten nicht feiern zu können wie gewohnt. „Manche reagieren schon fast trotzig und sagen, wir haben den Krieg und die Nachkriegszeit geschafft, dann werden wir das auch schaffen.“ Mit Freude sieht er, wie die Gemeindegruppen sich nun auch in der Pandemie tragen, obwohl Treffen nicht möglich sind. „Auch wenn die Leute nicht miteinander singen oder musizieren können, kümmern sie sich untereinander, kommunizieren oder einzelne treffen sich zum Spaziergang.“ Lesen Sie auch Hannover: Gottesdienst an Weihnachten trotz Corona NP-Rückblick: Angst um die alten und kranken Menschen Hannover: Weihnachten bei der Familie - Kommen oder wegbleiben? Hannover: Heiligabend für zu Hause - Telefon-Andacht, Youtube, Online-Gottesdienst Weihnachten Hannover: 520 Gottesdienste an Heiligabend „Solidarität hält über die Pandemie hinaus“: Was glaubt der Theologe? Hält die Solidarität über die Pandemie hinaus? „Oh, das ist schwer zu sagen“, meint Kronast. „Im März hätte ich noch gedacht, es bleibt ganz viel von der Solidarität, von der Disziplin, von dem gemeinsamen Gefühl: wir schaffen das.“ Da sei einiges verloren gegangen. Dennoch: „Wir haben uns in den letzten Jahren an vieles gewöhnt, vieles war selbstverständlich und jetzt merken wir, das ist eben nicht so. Sondern, dass wir aufeinander aufpassen müssen.“ Und wer weiß, ob nächstes Jahr nicht doch „Nächstenliebe“ zum Wort des Jahres gewählt würden. Egal, ob diese aus dem christlichen, muslimischen oder einem anderen Kontext heraus käme. Weihnachtsbotschaft: „Fürchtet euch nicht“: Für den Geistlichen ist es wichtig, „dass jetzt die Weihnachtsbotschaft ankommt: Fürchtet euch nicht“. Dass diese Botschaft, „dass Gott in die Welt gekommen ist für uns alle“, die Kraft habe, „auch durch die Corona-Einschränkungen durchzudringen“. Und eben nicht an weihnachtlichen Traditionen hänge, die jetzt nicht funktionierten, „so schön sie auch sind“. „Gestärkt in die Normalität gehen“: Und auch für das neue Jahr hat Manuel Kronast einen innigen Wunsch: „Dass wir einen guten Übergang in die ,Normalität’ schaffen, dass alles klappt mit den Impfungen und anderen Maßnahmen, dass wir dann anders und gestärkt in die Zukunft gehen. Und dass wir die Solidarität, aber auch die Aufmerksamkeit für die Wissenschaft mitnehmen, das fand ich sehr ermutigend.“ Von Petra Rückerl