Zweites Ostern in der Corona-Krise: „Dankbarkeit für kleinere Dinge“

„Wie können wir zuversichtlich leben in einer Zeit tiefer Verunsicherung und Verwundung?“, fragte der hannoversche Landesbischof Ralf Meister in seiner Osterbotschaft. Zuversicht sei nach 13 Monaten Pandemie eine schwere Übung geworden. Im NP-Interview spricht der 59-Jährige über Rituale zu Ostern, Erlösung in diesen schweren Corona-Zeiten und Osterkerzen als Zeichen der Hoffnung. Sie haben in den letzten Wochen 25.000 Osterkerzen an 250 kirchliche Einrichtungen und Kirchengemeinden verschenkt. Was wollten Sie mit diesem besonderen Gruß ausdrücken? Ich habe fast 23.000 Osterkerzen persönlich übergeben, weil ich auch unter diesen Bedingungen persönlichen Kontakt halten wollte zu den Menschen, die 13 Monate unfassbar engagiert und kreativ dafür gearbeitet haben, so dass wir als Kirche für die Menschen da sein konnten. Auf den Verzicht auf Gottesdienste in gewohnter Form, auf die Verschiebung von Konfirmationen, Trauungen und Taufen haben fast alle Kirchengemeinden mit vielfältigen Angeboten reagiert. Ich wollte danke sagen und zeigen: ich sehe Euch und schätze wirklich wert, was Ihr tut. Und die Osterkerze ist das Hoffnungszeichen. Gottes Licht der Liebe brennt in uns, Gott lässt uns nicht los, er ist Adressat unsere Ängste und Sorgen, und gleichzeitig unser Tröster. Das haben wir als Kirche in dieser Pandemie in unzähligen kleinen und großen Initiativen und Gottesdiensten sichtbar gemacht. Nicht zuletzt auch im Gedenken an alle Opfer der Pandemie mit unserem ökumenischen Gottesdienst im Hildesheimer Dom mit Bischof Wilmer. Ostern ist ein Fest der Rituale. Osterfeuer, Osternacht, Osteressen mit der ganzen Familie, Ostermarsch, Festgottesdienste in vollen Kirchen. Das alles werden wir zum zweiten Mal in Folge vermissen, viele Menschen drohen daran zu verzweifeln. Was sagen Sie denen? Ich kann das gut verstehen. Mir persönlich hilft größere Dankbarkeit für kleinere Dinge. Die Natur anders betrachten, die Vögel singen hören, die Blumen wachsen sehen. Ich bin dankbarer für Anrufe, für Briefe. Wir müssen schon wieder auf vieles Schöne verzichten. Aber ich versuche mir bewusst zu machen: vieles Schöne ist auch noch da. Die Welt sehen, im Licht der Hoffnung. Gefahr durch Gottesdienste zu Ostern? Die Politik wollte, dass die Kirchen ganz auf Präsenz-Gottesdienste verzichten. Sie haben dagegen gehalten. Setzen Sie Besucher nicht einer Gefahr aus, die vermeidbar wäre? Ich habe die Gemeinden und die Gottesdienst-Besucher als sehr verantwortlich erlebt. Für unsere Hygienekonzepte haben wir auch von den Behörden großes Lob gehört. Und werden immer professioneller. Wer dennoch zögert, kann viele Angebote in Fernsehen, Radio und Internet nutzen oder die analogen Formate, die es jenseits der Präsenz-Gottesdienste gibt. Denn viele suchen nach Trost in dieser verzweifelten Zeit. Wir dürfen die seelische Gesundheit nicht aus dem Blick verlieren, wir müssen auch geistig durch die Krise kommen. Und wo es Präsenzgottesdienste gibt, sind das starke Trost-Orte. Ostern beschert uns ein Wechselbad der Gefühle. Überwiegt bei Ihnen nicht auch gerade die Karfreitags-Stimmung? Ich habe einen Vers von Christian Heidrich gelesen, der für mich vieles ausdrückt: ’der Messias zögert wie immer. Nur der Regenbogen, der alte Schweiger, lässt sich blicken, weil es an der Zeit ist – und macht alle sprachlos.’ Ich bin gerade ein Karsonnabend-Christ. Mir ist nicht nach jubelnder Osterfreude, der Tod wird nicht verleugnet, aber die Befreiung und Erlösung ist in Sicht. Wir leben darauf hin und dürfen darauf vertrauen, dass die vollständige Befreiung naht. Wie sollen wir Ostern feiern, wenn wir es nicht im großen Familien- oder Freundeskreis dürfen? Wir müssen nicht alles gut reden, denn es ist eben gerade nicht alles gut. Aber wir können unsere Zeit, unsere Erlebnisse und Erfahrungen mit den wenigen Menschen teilen, die wir sehen dürfen. Holen wir das Fotoalbum raus, den alten Brief. Hängen wir das handbemalte Ei der Enkelin auf und rufen sie an. Erzählen wir uns von früheren Osterfesten und von denen, die kommen werden. Lesen Sie auch So feiern Hannovers Kirchen Ostern Wennigsen: Landesbischof verteilt Osterkerzen an Kirchen Kontakt zur Familie wichtig: Was darf bei Ihrem Osterfest nicht fehlen? Der Kontakt zur Familie, wenn auch nur durch Telefonate. Jedes Mal nehme ich mir vor, bei keinem Schoko-Osterhasen schwach zu werden, aber es gelingt nie. Ich bin schon froh, wenn es bei einem bleibt. Irgendwie gehört der einfach dazu. Sie werden selbst Ostersonntag den Gottesdienst in der Marktkirche abhalten. Ohne Abendmahl, nur höchstens 45 Minuten statt sonst gerne 90 Minuten lang. Liegt die Würze hier in der Kürze? Nicht die Dauer ist das Entscheidende. Wir nehmen aus den wenigen Minuten und der Musik sicher mindestens so viel mit wie aus der großen Länge. Allein das Abendmahl werden wir schmerzlich vermissen. Glaube an „normaleres“ Ostern 2022: Wie können die Gläubigen Ostern feiern, die nicht raus können und nicht Teil dieser digitalen Welt sind? Vielleicht hilft am Morgen des Ostersonntages der Gottesdienst im Fernsehen und danach ein Blick ins Gesangbuch. Einfach ab Nummer 99 alle Osterlieder laut lesen oder auch mitsingen. In den Liedern geht es um herrliche Tage, um Erfüllung, Freude und Lob. Mit diesen Liedern kann die österliche Stimmung ins Wohnzimmer kommen. Und dann gibt es auch die Andachten zum Feiern zu Hause, die viele Kirchengemeinden verteilen, und unser neues digitales Ostermagazin mit Anleitung und Material. Wir dürfen noch gratulieren: Sie sind dieser Tage seit zehn Jahren im Amt des Landesbischofs. Haben Sie noch Lust auf Ihr Amt oder macht Sie Corona manchmal amtsmüde? Eine der schönsten Erfahrungen in dieser Zeit waren tatsächlich die 160 Gemeindebesuche mit den Osterkerzen. Das waren kurze, überraschende Begegnungen, bei denen wir uns gegenseitig getröstet haben und die mich unglaublich gestärkt haben. Ja, ich habe noch große Lust im und auf mein Amt und freue mich darauf, den Kirchentag 2025 in Hannover als Landesbischof begleiten zu dürfen. Was denken Sie: werden wir Ostern 2022 wieder ganz oder wenigstens fast normal feiern können? Ganz und vollständig normal, das weiß ich nicht. Aber „normaler“ als heute, da bin ich mir sehr sicher. Daran dürfen wir wirklich glauben. Von Christoph Dannowski

Hannover: Ostern in der Corona-Krise - Interview mit Landesbischof Ralf Meister