Hannover: Kult-Wirt Wolfgang Rössig vom Klein Kröpcke verstorben

Seinen Geburtstag haben sie noch gefeiert. Am 12. Dezember hat Wolfgang Rössig, der Kult-Wirt aus dem Klein Kröpcke, sein 72. Lebensjahr vollendet. Eigentlich lebte er da schon im Hospiz. „Aber in den Hospizen gelten ja zum Glück andere Regeln als in Krankenhäusern“, weiß Erika Schlange (66). Sie hat 43 Jahre an Wolfgang Rössigs Seite verbracht. Immer als Geschäftspartnerin und Freundin, lange auch als Lebensgefährtin. „Zu Wolfgangs Geburtstag haben wir ihn nach Hause in seine Wohnung geholt“, erzählt sie. „Aber nur im ganz kleinen Kreis, wegen Corona und so.“ Sonst hätten sie groß gefeiert, Wolfgang Rössig feierte gern. Kneipen-Geburtstag zum Beispiel. Jedes Jahr am Wochenende nach dem 16. Mai gab’s Live-Musik, denn am 16. Mai 1979 hatte er mit Erika Schlange und Wolfgang Weise das Klein Kröpcke an der Callinstraße 2 in der Nordstadt eröffnet. Weise zog sich später aus gesundheitlichen Gründen aus dem Geschäft zurück. Aber Rössig und Schlange, Wolfgang und Eri, wie die Stammgäste sie liebevoll nennen, die blieben. Und feierten. Zum Beispiel das Glünderfest, das Straßenfest der benachbarten Glünderstraße. Nachbarn hatten es im Jahre 1998 initiiert, gemeinsam feierten sie das Miteinander. Und Wolfgang Rössig verkaufte mittendrin Getränke. Allerdings für den guten Zweck, den Erlös spendete er. 2013 zum Beispiel ans sudanesische Flüchtlingscamp am Weißekreuzplatz und die Nordstädter Kindertafel. Und Fußball, den feierte er ebenfalls. Oder besser: Überhaupt Sport, auch die Formel 1 und Wasserball, Waspo hat einen Stammtisch im Klein Kröpcke. Aber Fußball: Da war das Klein Kröpcke eine der ersten Kneipen der Stadt überhaupt, die Fußball-Live-Übertragungen zeigten. „Dafür hatten wir einen kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher von Aldi aufgestellt“, erzählte Wolfgang Rössig einmal. Zur Übertragung der Fußball-WM 2002 in Japan und Südkorea sollen sich morgens von acht Uhr an bereits Menschentrauben um die Kneipe herum versammelt haben, um die Spiele zumindest noch durchs Fenster zu sehen. Der Tag, als Robert Enke starb: Miteinander getrauert hätten sie aber auch: Am 10. November 2009 hätte ein Gast plötzlich eine Textnachricht erhalten, es war die Benachrichtigung über den Tod Robert Enkes, des langjährigen 96-Torwarts. Die Nachricht habe im Klein Kröpcke sofort die Runde gemacht. „Ich habe bisher nichts erlebt, was mich so betroffen gemacht hat“, erinnerte sich Wolfgang Rössig später an die Szene. Freude und Leid, häufig so nah beieinander, und Wolfgang Rössig stand mit Erika Schlange immer mittendrin. Kein Wunder, dass langjährige Stammgäste von der Kneipe als ihrem Wohnzimmer sprechen. Mit dem Kneipier, der im ersten Augenblick unnahbar gewirkt habe, aber unter der harten Schale einen weichen Kern gehabt habe, wie es ein Gast formuliert. „Spätestens beim zweiten Besuch kannte er deinen Namen.“ Geradeheraus sei er gewesen. „Du wusstest immer, woran du mit ihm bist. Ich erinnere mich an einen Abend“, erzählt der Gast, „da hat einer den Hitlergruß gezeigt. Wolfgang hat ihn glatt ausgeknockt. Für rechte Ansichten hatte er nichts übrig.“ Das Klein Kröpcke in der Nordstadt: Als Wolfgang Rössig und Erika Schlange die Kneipe eröffneten hatte sie schon einige Jahrzehnte Geschichte hinter sich: Nach dem Krieg war eine Bretterbude mit Bierverkauf eröffnet worden. Die Bude verwandelte ein „Herr Ilsemann“ 1954 in ein festes Gebäude mit Kioskcharakter. Ilsemann gilt als der erste Wirt. Und weil das Gebäude an das Café Kröpcke in der Innenstadt erinnert, hatte es rasch den Spitznamen „Klein Kröpcke“ weg, den Rössig und Schlange übernahmen. Eine Attraktion auch für Hannover-Touristen: „Früher“, so erinnerte sich Rössig einmal in einem Interview, „hielten Busse an, die Reiseleiter erklärten, dass unsere Kneipe vom Baustil so ähnlich aussieht wie früher das Café Kröpcke.“ Und eigentlich hatte Rössig, der gelernte Galvanoplastiker und Tischler, berühmt werden wollen mit der Kneipe. Und reich. „Das hat aber nicht geklappt“, hat er mal bemerkt. Erika Schlange wollte sich ihr Studium finanzieren. Hat aber auch nicht geklappt. „Kneipe und Studium das passt nicht zusammen“, war ihr schnell klar. „Entweder du machst das richtig, dann läuft es auch. Oder du machst es halbherzig, aber das merken die Gäste und bleiben weg.“ Die beiden entschieden sich für die Rolle als Gastgeber. Aber richtig. Krebs in der Lunge: Wolfgang Rössig hat sie am 26. Oktober zum letzten Mal erfüllt. „Da waren wir beide da“, beschreibt es Erika Schlange. „Es war relativ viel los an dem Tag, das weiß ich noch. Aber sonst war’s eine normale Schicht.“ Von denen sie gar nicht mehr so viele übernehmen wollten. Darum hatten sie sich im Jahre 2017 zum Verkauf entschieden. Z um 1. Januar 2018 hatte Zurab Mikava von der Gaststätte Kaiser das Klein Kröpcke übernommen. Wolfgang Rössig und Erika Schlange blieben als Angestellte, wollten aber kürzer treten. „Als Selbstständige mussten wir ja alle Belege zehn Jahre lang aufbewahren. Unser Traum war, dass wir die zum Schluss gemeinsam verbrennen können.“ Ein Bronchialkarzinom kam dazwischen. Festgestellt am 24. November. „Da war Wolfgang zur Bronchioskopie in der Klinik“, berichtet Erika Schlange. „Von dort aus ist er direkt ins Hospiz gekommen.“ Der Tumor hatte bereits gestreut, war ins Hirn gewandert. Das aber so wach blieb, dass sich der Musik-Liebhaber an seinem Geburtstag noch über die Überraschungsparty mit den beiden Live-Musikern freuen konnte. Überhaupt wünscht er sich noch eine große Party. „Ihr sollt nicht meinen Tod betrauern, sondern mein Leben feiern“, zitiert Erika Schlange aus seinem Testament. Und den Wunsch möchte sie ihm erfüllen. „Sobald Corona das wieder zulässt.“ Wolfgang Rössig wird dann vermutlich seine letzte Ruhe in der Ostsee gefunden haben. Auch das ist sein Wunsch. Am Brodtener Steilufer in der Lübecker Bucht. „Da sind Wolfgang und ich im Winter von 1986/87 mal hingefahren“, weiß Erika Schlange noch, „da war die Ostsee zugefroren und wir sind hin und sind übers Wasser gelaufen. Das hat er nie vergessen.“ Sein Name wird dort auf einem Gedenkstein verewigt werden, damit auch Wolfgang Rössig unvergessen bleibt. Von Verena Koll