Eigentlich sollte Sexualstraftäter Guido K. (52) am 2. Januar 2020 aus dem Maßregelvollzug in Moringen entlassen werden – nach insgesamt 14 Jahren. Doch weil er am vergangenen Sonntag während eines Freigangs versucht haben soll, drei Kinder (6, 9) von einem Bemeroder Spielplatz im sein Auto zu locken (NP berichtete), wurden ihm alle Haftlockerungen gestrichen.
Leichte Zunahme der Straftaten
Merten Neumann vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KfN) hat das Thema Vollzugslockerungen im niedersächsischen Maßregelvollzug analysiert und seine Studie erst vor wenigen Tagen veröffentlicht. Das Ergebnis: „Während Entweichungen aus dem Maßregelvollzug nicht zugenommen haben, sondern auf einem Tiefststand sind, gibt es bei Straftaten während Lockerungsmaßnahmen einen leichten Anstieg“, so Neumann. Aber auch diese würden, gemessen an der Zahl der Patienten im Maßregelvollzug – aktuell gibt es laut Sozialministerium rund 1300 Patienten –, selten vorkommen. Neumann: „Dieser Anstieg kann auf Zufallsschwankungen zurückzuführen sein und muss nicht auf eine Regelmäßigkeit hindeuten.“
„Lockerungen sind notwendig“
Auch wenn Patienten mit unbegleiteten Vollzugslockerungen unter Umständen erneut straffällig werden, sieht der Wissenschaftler das Modell der Lockerungsmaßnahmen keineswegs gescheitert. Im Gegenteil: „Natürlich ist die Sicherheit der Allgemeinheit ein hohes Gut und gerade aus diesem Grund sind Lockerungen als wichtiger Teil einer Behandlung notwendig.“
Denn, so Neumann: „Lockerungen, so gruselig das klingen mag, bieten die Möglichkeit einer vergleichsweise sicheren Erprobung. Denn irgendwann werden diese Menschen sowieso entlassen und da ist es besser, man weiß vorher, an welchen Punkten in der Therapie vielleicht noch gearbeitet werden muss.“
Keine Testmomente in Freiheit wären riskanter
Eine ausschließliche stationäre Unterbringung ohne Testmomente in der Freiheit, wären viel riskanter, sagt Neumann: „Die Fortschritte, die ein Patient in der Therapie macht, müssten zwangsläufig in der Freiheit getestet werden.“ Der KfN-Experte betont aber: „Lockerungsmaßnahmen gehen umfangreiche Risikoabschätzungen voraus. Nur wenn das Risiko vertretbar ist, werden diese Patienten rausgelassen.“
Ein Restrisiko bleibt immer
Und das passiere sukzessive: „Es geht mit begleiteten Ausführungen los und geht irgendwann zu unbegleiteten Vollzugslockerungen über. Und jedes Mal wird aufs Neue geschaut, ob das Risiko vertretbar ist.“ Doch Merten Neumann weiß auch: „Ein Restrisiko bleibt immer – das gilt für Lockerung aber auch für die endgültige Entlassung.“ Dass bei der Begutachtung von Guido K. ein Fehler gemacht worden ist, muss laut Neumann nicht zwangsläufig der Fall sein: „Sofern die Prognose nach gültigen wissenschaftlichen Standards erfolgt ist, ist sie fachlich korrekt. Aber eine Prognose ist nie zu 100 Prozent sicher, sondern immer nur eine Wahrscheinlichkeitseinschätzung.“
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Von Britta Lüers