Ein Engel verlässt das Landgericht

Sie hat den Freispruch von Bundespräsident a. D. Christian Wulff im Landgericht Hannover erlebt. Sie war auch bei dem Mordprozess gegen die Krebsärztin Mechthild Bach dabei. Nun ist es Zeit für Eva Engel (72), die Segel zu streichen. Die Protokollantin verlässt nach mehr als 30 Jahren die hannoversche Justiz. „Ich habe sehr, sehr gerne hier gearbeitet“, sagt die Angestellte. Als die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern 1989 nach Hannover kam, ließ sie erstes Leben zurück. Die Frau aus Ost-Berlin hatte im September 1988 einen Ausreiseantrag gestellt. Ein halbes Jahr später fand sie sich in Hannover wieder, ihre Tochter lebte schon hier. In der DDR hatte die beredsame Frau bereits eine Karriere hingelegt. Von der Protokollführerin an einem Berliner Gericht arbeitete sie sich zur Diplom-Verwaltungswirtin hoch. „Studiert habe ich nur nachts“, sagt Eva Engel. Kinder und Arbeit ließen ihr tagsüber keine Zeit. Kapitalismus in Theorie und Praxis: Eines ihrer Ziele ist es, ein Buch zu schreiben. Über das Leben in zwei Gesellschaftsordnungen. In der DDR wurde sie nach dem Studium benachteiligt, weil sie kein SED-Mitglied war. Nach der Pflichtlektüre von Marx und Engels erlebte sie aber auch, was es heißt, im Kapitalismus anzukommen. Im Westen erlebte sie die Ausbeutung von Menschen. „Im Studium war das Theorie“, sagt Eva Engel. Nach Anfangsproblemen fasste sie in Hannover schnell Fuß. „Ich habe eine Bewerbung nach der anderen geschrieben.“ Das sei ungewohnt gewesen. Nach sechs Monaten war es soweit. Sie trat ihre Stelle beim Amtsgericht Hannover an, am 9. Dezember 1989. Ihr kam dabei zugute, dass sie Stenotypistin in Ost-Berlin gelernt hatte. Knapp sieben Jahre später wechselte die Protokollantin zum Landgericht. Angst vor einer Riesenschlange: Die Frau, die viele Mörder hat einfahren sehen, kann sich noch besonders gut an einen Prozess 2003 erinnern. „Mitten in der Verhandlung holte der Angeklagte eine Boa Constrictor aus seiner Kutte. Ich habe mich so erschrocken“, erzählt die energische Frau. Damals habe es noch keine Eingangskontrollen im Landgericht gegeben. Mulmig wurde ihr auch, als ein Angeklagter 2008 sehr nah an sie heranrückte – trotz Fuß- und Handfesseln. Heute sagt sie über ihre Zeit in der Justiz: „Es hat sehr viel Spaß gemacht.“ Landgerichtspräsident Ralph Guise-Rübe veranstaltete ihr zu Ehren einen Abschiedsempfang; im Saal 127. Dort hat die kleine Frau oft gesessen, Mord und Totschlag protokolliert. Das dritte Leben der Eva E. Nun beginne ihr drittes Leben, wie es die Rentnerin in spe ausdrückt. Das Ziel, viel Zeit in ihrem Garten zuzubringen, ist allerdings ungewiss. Nach einem Brand in ihrem Kleingartenverein kann sie die „Oase“ noch nicht betreten. Doch eines wird sie ganz sicher: „Viel Zeit auf den Kanarischen Inseln verbringen.“ Dort habe sie viele Freunde gefunden. Zuvor gilt es aber, ihr Lebensmotto zu vollenden: „Man hat seine Aufgabe pflichtgemäß zu erfüllen.“ Also wird sie am Mittwoch noch im Prozess gegen Michael W. sitzen. Er hatte seine schlafende Frau mit einem Hammer erschlagen (). Lesen Sie auch: Wulff kann aufatmen: Freispruch ist rechtskräftig Selbstmord: Krebsärztin Mechthild Bach ist tot Von Thomas Nagel

Justiz - Mit 72 in den Ruhestand: Ein Engel verlässt das Landgericht