Corona und Modehändler in Hannover: Laden zu, Lager voll

Die Frühjahrs- und Sommerkollektion ist bei vielen bereits bestellt – ein massives Problem für die Modeverkäufer, auch in Hannover. „Das ist bei allen so, ist das größte Problem und den meisten steht das Wasser bis zum Hals – trotz Click & Collect und Online-Verkauf“, sagt Frank Winkler (51), Geschäftsführer und Inhaber von Motzigkeit an der Karmarschstraße. Die ersten Staatshilfen hätten er und viele andere Modegeschäfte gar nicht beantragen können: Man habe im November viel um und für die Verkaufswerbeaktion „Black Friday“ getan, weil nicht klar gewesen sei, wohin die Politik in Sachen Corona-Maßnahmen steuert – und man war damit erfolgreich, doch das hatte Folgen: „Wir haben die Umsätze nach oben gezogen und hatten dann keinen Anspruch auf die Überbrückungshilfe“, sagt Winkler. „Wir haben uns damit alle selber bestraft“. Nicht genug damit: „Und dann ist uns das Weihnachtsgeschäft flöten gegangen und jetzt im Januar der Winterabverkauf.“ Zwei Mitarbeiterinnen entlassen: Zwei Mitarbeiterinnen habe er inzwischen entlassen müssen, die meiste der überwiegend saisonabhängigen Ware sei deutlich preisreduziert, um irgendwie Platz zu schaffen und Kunden zu locken. Winkler: „Wir reichen die Ware raus, ohne dass wir etwas davon haben.“ Und aktuell könne sein Steuerberater die „Überbrückungshilfe 3 noch nicht einmal beantragen“. Darum ist der Modehändler froh über die Stammkundschaft für das seit 1952 existierende Motzigkeit: „Die halten uns die Treue – und das nicht mit Kleckerbeträgen, da ist richtig was passiert, nicht wie bei manchen Kollegen!“ Von Freitag an ist der Geschäftsmann in Düsseldorf – dort stehen die Ordertage für die nächste Saison an. Die Unsicherheit, wie es mit Corona weiter geht, ist groß, und so fragt sich Winkler: „Was solch ich ordern, mit welchem Budget?“ Immerhin habe er es geschafft, die Frühjahrs-Sommer-Order zumindest bis Mitte Februar „auszubremsen“. Andere in der Branche hätten früh schon neue Kollektionen reingenommen und noch ein viel größeres Lagerproblem. Abbestellen sei kaum drin: „Man kann vielleicht die Auslieferung stoppen, aber auf Storno lässt sich kaum einer ein. Außerdem gibt es dann ja auch noch Stornokosten...“, erklärt Winkler und ihm schwant: „Das alles wird Druck auf den Rest des Jahres entfalten!“ Ware wird für I.G. von der Linde später geliefert: Recht entspannt sieht Sebastian Rechenbach (55), geschäftsführender Gesellschafter bei I.G. von der Linde in der Osterstraße, die Situation: Der Laden sei mit Ware voll, mehr aber auch nicht: Man habe mit Lieferanten gesprochen und vereinbart, dass später geliefert werde. Es gebe „im Gegenteil teils Lieferengpässe bei Standard-Unterwäsche“. Er hält nichts davon „jetzt alles um 70 Prozent oder so im Preis zu reduzieren. Das bringt nichts. Wichtig ist, den Bedarf der Kunden zu treffen.“ Zudem sei das I.G. von der Linde-Sortiment nicht so stark modisch-saisonabhängig. Von daher „warten wir darauf, dass es wieder los geht“ – dann werde es auch wieder entsprechende Aktionen geben. Kurzarbeit hilft den Geschäften: Finanziell habe das Haus keine Probleme, erklärt Rechenbach: „Wir haben gute Erfahrung mit der Kurzarbeit, bei uns arbeitet derzeit so gut wie fast niemand, wir haben damit die Kosten extrem runter bekommen“. Von 70 Mitarbeitern seien derzeit meist nur sechs, sieben im Haus – um bestellte Ware zur Abholung bereitzustellen oder zu versenden. Rechenbach: „Viele Kunden sagen uns, sie bestellen, um uns zu unterstützen. Das ist ganz rührend. Es ist zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber hilft, es etwas abzumildern.“ Textil-Verband: kaum Storno: Der Branchenverband BTE Textil hatte jüngst geschätzt, das allein seit Anfang Dezember etwa 300 Millionen Teile liegen geblieben sind und sich die Umsatzverluste des gesamten Winter-Lockdowns bis Ende Januar auf rund zehn Milliarden Euro belaufen dürften. Und bis dahin steht schon die Frühjahrskollektion vor der Tür. Zudem hätten die Einzelhändler meist schon vor sehr langer Zeit die Sommerkollektion 2021 geordert – und in den meisten Fällen ist keine Stornierung möglich, höchstens ein Aufschub des Liefertermins. 60 Millionen täglich: Den etwa 20.000 Einzelhandelsunternehmen in Niedersachsen im Lockdown entgingen jeden Tag gut 60 Millionen Euro Umsatz, sagt Monika Dürrer (52), Hauptgeschäftsführerin des Einzelhandelsverbands Hannover-Hildesheim. Besonders betroffen sei die Textilbranche, denn „die hätten ja jetzt eigentlich Winterschlussverkauf“ und seien schon im Weihnachtsgeschäft ausgebremst worden. Und das Geschäft mit „Anlassmode“ (Konzert, Theater, Oper, Feiern) sei „ganz ausgefallen, da können sie nicht mal mit Rabatt was verkaufen“. Zudem seien die von Finanzminister Olaf Scholz versprochenen Hilfen noch nicht geflossen und gebe es etwa zur Gastronomie eine Ungleichbehandlung – da „muss nachgebessert werden, wo es knirscht. Im Handel sind gerade mal 90 Millionen Euro Hilfe angekommen – das macht im Schnitt 11.000 Euro pro Händler. Das deckt nicht einmal die Miete“, erklärt Dürrer. Man brauche „dringend die Überbrückungshilfe 3, das muss jetzt los gehen, der Handel muss schnell Abschläge bekommen“. Hoffnung Sehnsucht: Am stärksten belastet seien kleinere Händler, die „nicht Eigentümer der Immobilie sind und womöglich keine Reserven haben“. Die Verkäufe via Versand kämen auf „zehn, maximal 20 Prozent, wenn man da gut aufgestellt ist. Das ist weit entfernt von dem, was man braucht!“ In der Mode werde „immer noch mehr als 80 Prozent des Geschäfts im stationären Handel gemacht“, sagt die Expertin. Der sei „nicht nur das Salz in der Suppe, sondern Blut in den Adern!“ Und Dürrer hofft und glaubt, „dass jetzt eine Sehnsucht greift: raus gehen, in die Stadt gehen“ und sich die Leute „erinnern, wie schön es in kleinen, mittleren Städten sein kann“. Lesen Sie auch Kunden halten sich an medizinische Masken Bis zu 90 Prozent: Lockdown zwingt Modehandel zu hohen Rabatten Konjunkturumfrage IHK Niedersachsen: Stimmung in Wirtschaft kippt Von Ralph Hübner