Corona: Wie schafft man Bildungsgerechtigkeit in der Pandemie?

Seit mehr als fünf Wochen sind auch in Niedersachsen die Schulen weitestgehend geschlossen und daran soll sich bis zum 14. Februar nichts ändern. Lediglich an den Grundschulen im Land läuft seit Wochenbeginn der Unterricht wieder im Wechselmodell, jedoch können Eltern ihre Kinder vom Präsenzunterricht befreien lassen. Das hatte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil nach dem Bund-Länder-Gipfel mit der Kanzlerin verkündet. Der erneute Kurswechsel der Landesregierung in der strittigen Schulfrage sorgte nicht nur bei der Opposition für Kritik, auch Erziehungswissenschaftler Manfred Bönsch reagiert mit Unverständnis, dass nun Eltern über den Schulbesuch von Kindern entscheiden sollen. „Jetzt darf man die Schulpflicht verletzen, früher gab es dafür Verwarnungen, Bußgeldbescheide oder gar ein Gerichtsverfahren.“ Viele Kinder werden derzeit weiter abgehängt: Mehr als 75 Prozent der rund eine Million Schüler im Land befindet sich damit weiter im Homeschooling, bis mindestens Mitte Februar werden sie Schule nur aus der Distanz kennen. Wie gut Homeschooling gelingt, hängt von vielen Faktoren ab. Dem Alter der Kinder, dem Bildungsgrad der Eltern, der technischen Ausstattung, um nur drei Aspekte zu nennen. Dass Schulschließungen die ohnehin in Deutschland stark ausgeprägte Chancenungerechtigkeit verschärfen könnten, ist als Missstand längst erkannt. Dennoch hat die Politik auch fast ein Jahr nach Beginn der Pandemie keine befriedigende Lösung für mehr Bildungsgerechtigkeit gefunden. Die Folge: Viele Kinder werden derzeit weiter abgehängt. Bildung darf kein Privileg sein: Seit diesem Donnerstag liegt nun ein konkreter Vorschlag einer 22-köpfigen Expertenkommission auf dem Tisch. Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung haben Bildungsforscher, Schulleiter, Schüler und Eltern umfassende Empfehlungen erarbeitet, was Schulakteure kurz- und mittelfristig tun können, um benachteiligte Schüler zu fördern. Bildung dürfe kein Privileg sein, sagt der Kommissionsvorsitzende Kai Maaz. Die Kommission empfiehlt: Um mehr Gerechtigkeit herzustellen, sollten Schulakteure ihr ganzes Handeln an einem Prinzip ausrichten, das zunächst ungerecht scheint: Ungleiches ungleich behandeln. Im Distanz- oder Wechselunterricht müssten Strukturen geschaffen werden, etwa verbindliche Wochen- und Stundenpläne sowie eine feste Ansprechperson mit täglicher Kontaktaufnahme, die benachteiligte Schüler besonders berücksichtigen. Stabile Kleingruppen von bis zu vier Kindern: Schüler „mit verschärften Belastungen“ sollten gar in stabilen Kleingruppen von bis zu vier Kindern täglich beim Fernunterricht durch Studierende oder pädagogische Fachkräfte betreut werden. Das bedeute nicht, so Maaz, dass andere Schüler weniger wichtig wären, aber sie seien weniger auf Förderung angewiesen, die Aufmerksamkeit müsse entsprechend der Bedürftigkeit verteilt werden. Wenn Präsenzunterricht in großem Umfang ausfällt, rät die Kommission, Klassenarbeiten zu reduzieren, die Zeit stattdessen zum gemeinsamen Lernen zu nutzen. Förderkurse und kein Sitzenbleiben: Und die Kommission appelliert an die Bildungspolitiker, eine langfristige Strategie über den 14. Februar hinaus zu erarbeiten. Dabei sollte im Fokus stehen, Lernrückstände aufzuholen und Mindeststandards zu sichern, im Zweifel müssten Lehrpläne abgespeckt werden. Sollten Schulen weiter im Distanzlernen bleiben, sollte neben Grundschülern und Abschlussklassen auch Kinder und Jugendliche mit sozialen Benachteiligungen vorrangig berücksichtigt werden. Ebenso seien kostenlose Förder- und Ferienkurse ratsam und auf das Sitzenbleiben sollte verzichtet werden, so die Ratschläge. Von Britta Lüers