Black Lives Matter: 1000 Menschen demonstrieren in Hannover

Desmond hat was zu sagen. „Hallo liebe Leute“, beginnt er, „heute will ich endlich darüber sprechen, was mich schon so lange bedrückt. Ich bin acht und ich möchte euch meine Geschichte erzählen.“ Desmond Pluszczyk ist schwarz und der jüngste Redner bei der Kundgebung von „Black Lives Matter“ am Sonnabend in Hannover, schon nach seinen ersten Sätzen bekommt er viel aufmunternden und freundlichen Applaus. Rund 1000 Demonstranten haben sich auf dem Waterlooplatz versammelt (die Polizei spricht von 850 Teilnehmern), um gegen Rassismus und Diskriminierung zu protestieren. Riesen-Applaus für Desmond: Schon im Kindergarten sei es losgegangen, berichtet Desmond: Ein Junge habe ihm einen Zahn ausgeschlagen, als er das einem Erzieher erzählt habe, habe der Angreifer trotzdem keinen Ärger bekommen. Das Phänomen erlebte er häufiger. Als in der Schule ein anderer Junge ihn schließlich kürzlich erneut angegriffen habe, „habe ich es keinem mehr erzählt, sondern den Jungen zurückgeschlagen“. Desmond bekam einen Brief nach Hause, der Schulkameraden wurde nicht bestraft. „Das tut wirklich sehr doll weh“, sagt der Achtjährige. „Ich wünsche mir, dass Erzieher und Lehrer fair sind, wenn Kinder sich streiten. Ich möchte niemandem schlagen.“ Nie wieder möchte er als Affe bezeichnet werden, erklärt Desmond noch. „Ich schäme mich nicht für meine Hautfarbe.“ Die Menge ist gerührt, betroffen und applaudiert enthusiastisch für den Jungen. Rede allein geschrieben: Der ist mit seiner großen Schwester da. Den Text habe er weitgehend allein geschrieben, „ich habe nur Korrekturen gemacht“, versichert Sonja Pluszczyk (26). Es sei auch Desmonds eigene Idee gewesen, hier aufzutreten. „Mir ist wichtig, dass Rassismus aufhört und ich über meine Erfahrungen sprechen konnte“, sagt der Achtjährige freundlich, aber auch selbstbewusst. Immer wieder gebe es Leute, die ihn ärgern. Aber er habe auch gute Freunde, weiße und schwarze, die ihn unterstützen würden, erzählt er. Es bedrücke sie, dass ihr kleiner Bruder solche Erfahrungen machen müsse, sagt seine Schwester. Nachdem er mehrmals erlebt habe, dass Erzieher und Lehrer Übergriffe gegen ihn ignoriert hätten, „wehrt er sich jetzt, bevor er denen Bescheid sagt“. Nun habe er in der Schule den Stempel aggressiv erhalten, „dabei ist er so ein freundlicher und lebensfroher Junge“ – und der Klassenbeste nebenbei auch noch. Zuhause würden sie jetzt versuchen, Desmond wieder beizubringen, erst den Lehrern Bescheid zu geben, bevor er sich wehrt. Kein rassistisches Land: Wie Desmond hat auch Sonja Pluszczyk einen deutschen Pass, die Eltern der Beiden stammen aus Ghana. Als Kind sei sie die einzige Schwarze an der Schule gewesen, auch sie habe viele rassistische Sprüche gehört und wurde wegen ihrer Hautfarbe gehänselt. In der Hinsicht habe sich viel getan, die Gesellschaft sei heute viel bunter, die Akzeptanz gegenüber anderen Hautfarben größer. Und obwohl es durchaus rassistische Verhaltensweisen und rassistische Menschen in Deutschland gebe, „ist Deutschland kein rassistisches Land“, erklärt die Friseurmeisterin überzeugt. „Das ist überhaupt kein Vergleich mit den Dingen, die in den USA passieren.“ Auch einen Appell an die Black Community hat sie: „Wer in ein fremdes Land geht, muss die Sprache sprechen. Sprache ist Integration, ohne klappt es nicht.“ Sie habe den Eindruck, dass Afrikanern oft der Mut fehle, sich beruflich zu beweisen. „Aber alles ist möglich, man kann es schaffen.“ Mensch gegen Rassist: John Gregory Perrineau (65) stammt aus der Karibik, nach einer Kindheit in Großbritannien kam er mit Anfang 20 nach Hannover, seitdem lebt der Musiker an der Leine. Auch er spricht zu den Demonstranten, berichtet über rassistische Erfahrungen. Er freue sich, „dass wir endlich den Mund aufmachen“ über rassistische Erfahrungen. Zugleich betont er, dass es nicht darum gehen können, einen Keil zwischen Schwarz und Weiß zu treiben. „Dialog ist immer das Wichtigste, mit Reden können wir vieles erreichen“, sagt er. Ein anderer junger Redner betont, wie wichtig Bildung sei, um Rassismus einzudämmen. Es gehe auch nicht um den Kampf Schwarz gegen Weiß. „Sondern es geht um den Kampf Mensch gegen Rassist.“ Stimmung wie bei Musikfestival: Der Dialog hat zumindest auf dem Waterlooplatz schon begonnen: Es sind nicht nur viele schwarze und dunkle Gesichter zu sehen, rund die Hälfte der Demonstranten dürfte weiß sein, einige Asiaten sind dabei, nur wenige stammen offenbar aus dem türkischen oder arabischen Raum. Das Durchschnittsalter der Demonstranten liegt deutlich bei unter 30, die Stimmung ist wie bei einem friedlichen Musikfestival, mehrere Künstler treten auf. Alle Demonstranten tragen Mund-Nasen-Schutz, man bemüht sich, die Abstandsregeln einzuhalten, auf die die Organisatoren regelmäßig hinweisen. Zu denen gehört auch Sängerin Mintha (25). „Jeder soll merken, dass es Rassismus nicht nur in den USA gibt, sondern auch bei uns. Wir wollen etwas verändern.“ Bei der ersten „Black-Lives-Matter“-Demo vor zwei Wochen sei sie total überrascht gewesen, wie groß die schwarze Community in Hannover sei. „Das hatte ich nicht erwartet.“ Es sei ein gutes Zeichen, dass so viele Menschen mit verschiedenen Hautfarben zusammen kommen würden. „Rassismus geht uns alle an“: Von rassistischen Erfahrungen können auch Faizatou Oussey (18) und Hadidja Kpekpkafsi (16) berichten. „Ich wurde öfter mit den N-Wort beschimpft oder mir wurde gesagt, geh doch in Deine Heimat“, berichtet Kpekpkafsi. Die jungen Frauen sind mit rund einem Dutzend Freundinnen hier, alle sind schwarz. „Es reicht irgendwann mal damit, dass wir immer anders behandelt werden.“ Mit fremdartigem Namen und dunkler Hautfarbe sei es sehr viel schwieriger, einen Ausbildungsplatz zu bekommen oder eine Wohnung zu finden. „Weil keiner den Schwarzen als Nachbarn haben will.“ Sie seien froh, auf der Demo auch so viele Weiße zu sehen. „Rassismus geht uns alle an.“ Polizei: Vorbildliche Demonstration: Bei der Polizei vor Ort hieß es, die Demonstration sei völlig friedlich und in Sachen Maskentragen und Abstand halten „vorbildlich“ gelaufen. „Da habe ich schon ganz andere Sache gesehen“, so ein Beamter. Bei der ersten „Black-Lives-Matte“-Demo vor zwei Wochen hatten sich mehr als 8500 Demonstranten auf dem viel zu kleinen Opernplatz gedrängelt. Lesen Sie auch: Anti-Rassismus-Demos bald auf größeren Flächen „Black Lives Matter Hannover“ fordern Umbenennung von „Kolonialstraßen“ Von Inken Hägermann