Spiele-Tipps für den Advent von Experte Stefan Gohlisch

NP-Redakteur Stefan Gohlisch ist ein echtes Spielkind. Als Mitglied der Jury, die den Preis für „Das Spiel des Jahres“ vergibt, ist er Experte. Hier stellt er Neuerscheinungen und gute Spielideen vor. Was passt in den dunklen Corona-Winter mit dem #Stayathome-Motto? Kurz vor Weihnachten auf jeden Fall Adventskalender, die keine Schokolade, aber 24-mal Rätselspaß bis zum Weihnachtsfest bieten. Die NP stellt zwei Varianten vor. Für den Advent: Kalender mit „Exit“-Strategie: Was ist das? Die Spielebranche gehört mit einem Umsatzplus von 21 Prozent zu den großen Gewinnern der Pandemie. Besonders beliebt sind – neben Puzzles – Escape-Room-Spiele. Da lag die Idee recht nahe, auch Adventskalender zu dem Thema herauszubringen. Neben Genre-Primus Kosmos („Exit – das Spiel“) versucht sich auch Ravensburger mit dem fast namensgleichen „Exit“ daran. Wir haben uns schon einmal vor der Saison von Türchen zu Türchen vorgearbeitet. Wie spielt es sich? Das Prinzip aller Escape-Room-Spiele ist gleich: Man rätselt sich von einem fiktiven Raum zum nächsten – hier tut man das von einem Kläppchen zum nächsten. Dahinter finden sich neue Aufgaben und neues Material, das auf vielfältige Weise zum Lösen der Rätsel verwendet wird. Welches Kläppchen am folgenden Tag dran ist, muss man erst einmal herausfinden. Der Ravensburger-Kalender arbeitet mit den Bildmotiven, die Kosmos-Version mit den aus den „Exit“-Spielen bekannten Symbolen. Sie verfügt auch über gleich zwei Beihefte, eines mit einer kleinen Geschichtenepisode pro Tag, eines mit Tipps und Lösungen, wenn man nicht mehr weiterkommt. Wichtig: In beiden Fällen sollten die Unterlagen nicht entsorgt werden. Manche werden in ungeahnten Zusammenhängen noch später benötigt. Was taugt es? Inka und Markus Brand, Autoren des Kosmos-Kalenders, entführen einen in „Die geheimnisvolle Eishöhle“, beim Mitbewerber Johannes Schiller ist es – wenig weihnachtlich – „Das geheimnisvolle U-Boot“. Dieser Unterschied in der Gewitztheit setzt sich komplett durch. Die Ravensburger-Rätsel sind sehr gradlinig und lassen sich schnell lösen. Die Brands stellen einem komplexere Kopfnüsse – hier muss man nicht nur um die Ecke denken, sondern oft genug auch gucken. Die Rätsel sind ineinander verschachtelt. Und wie immer bei ihnen, leidet das Material gehörig: Eine Zier ist der Kalender irgendwann nicht mehr. Dafür bietet er viel Denkvergnügen. Zum Glück ist das Tippsystem sehr durchdacht. Beim Ravensburger-Kalender öffnet man schon mal das falsche Türchen. Das kann bei Kosmos nicht passieren. Die Zielgruppen sind vermutlich andere: Mit dem „U-Boot“ werden sich wohl eher Schüler vergnügen. Die „Höhle“ fordert auch ältere Spieler, die dafür mit einer netten Geschichte voll hintergründigem Humor verwöhnt werden. Manko: Kosmos hat die Nachfrage enorm unterschätzt. Der Kalender ist fast ausverkauft und wird im Internet zum Teil schon zum doppelten und dreifachen Preis gehandelt. Für Kinder: „Dodo“: Was ist das? Was war zuerst da? Der Vogel oder das Ei? In diesem Fall ist die Sache klar: Kosmos hatte eine seltsame Kugel, die selbst auf Schrägen nur äußerst zögerlich rollt. In den Händen der Autoren Marco Teubner („Stone Age Junior“) und Frank Bebenroth („Sauerei“) wurde sie zum Ei: im Kinderspiel Dodo. Wie spielt es sich? Warum der Riesenvogel ausgestorben ist, erklärt das Spiel anschaulich, wenn auch nicht historisch korrekt. Dieser Dodo nämlich sucht sich zum Eierlegen den höchsten Berg. Die Spieler als Handwerker von einem freundlichen Stamm von nebenan müssen erst die Brücken bauen, damit das Ei nicht im Meer landet oder zerschellt. Spielerisch bedeutet das: Es liegen Planken aus, die zwischen einer und fünf Ressourcen benötigen, um gebaut zu werden: verdeckte Plättchen rund um die beeindruckende 3-D-Konstruktion aus Pappe und Plaste. Welche genau benötigt werden, zeigt ein Würfel an. Und dann heißt es: auf gut Glück und Gedächtnis suchen und finden, bevor das erratische Ei in den Abgrund kugelt. Was taugt es? „Dodo“ ist der Renner, das Ei eine große Faszination. Kein Wunder, dass Kosmos um seine Konstruktion ein großes Geheimnis macht: Man spürt eine leichte Unwucht und erstaunlich viel Gewicht. Wie dem auch sei: Dem Spielreiz kann man ich kaum entziehen, auch wenn man irgendwann merkt, dass es sich im Prinzip bloß um ein hektisches Sammelspiel mit seltsamem Timer handelt. Es bereitet einfach beruhigende Freude, dem Ei auf seinem Weg nach unten zuzusehen. Man möchte „Dodo“ glatt zu Meditationszwecken empfehlen. Für alle: „Biss 20“: Was ist das? Wenn man das eine will und das andere tut, weil zum Beispiel der moralische Kodex oder das bessere Wissen mit der Gewohnheit kollidieren, spricht man in der Sozialpsychologie von „kognitiver Dissonanz“. Spieler sprechen dann eher von Titeln wie „Kakerlakensalat“ oder „Dodelido“. Oder „Biss 20“. Wie spielt es sich? Von eins bis 20 muss gezählt werden, in der Gruppe, immer schön reihum im Uhrzeigersinn. Doch die erste Schikane beginnt schon vor dem Start. Zwei Zahlenkarten werden aufgedeckt und gegeneinander ausgetauscht. Dann zählt man beispielsweise „1 – 15 – 3“ und später „14 – 2 – 16“. Nach jedem Durchgang kommt eine neue Abweichung hinzu. Dann muss man etwa statt einer bestimmten Zahl „Blau“ sagen, sie lauthals herausschreien oder flüstern oder aber sich stattdessen am Kopf kratzen. Und das Gemeine ist: Nur die jeweils neueste Aufgabe liegt in Kartenform aus. Den Rest muss man sich merken – irgendwann ist man selbst vom Einhalten der Reihenfolge überfordert, geschweige denn von den bis zu 18 Aufgabenkarten. Jeder Fehler kostet einen Edelstein. Sind die alle, verliert die Gruppe. Was taugt es? Ein Gefühl der reizvollen Überforderung bestimmt eine Partie „Biss 20“. Das Vater-Tochter-Gespann Günter und Lena Burkhardt („Funkelschatz“, 2018 Kinderspiel des Jahres) stellen die Konzentration ihrer Spieler auf eine schwere Probe. Und man wird feststellen, dass – ausreichend kognitive Dissonanz vorausgesetzt – man manchmal nicht mal bis drei zählen kann. Für Kenner: „Paleo“: Was ist das? Vielleicht ab in den Wald und auf Nahrung und Holz hoffen? Oder sich der drohenden Gefahr stellen und gefährliche Tiere jagen? Oder doch besser in der heimeligen Höhle bleiben und darüber sinnieren, was man mit dem Faustkeil alles anstellen kann? Die Steinzeit war eine Ära der Entdeckungen und Entbehrungen, und in „Paleo“ von dem Archäologen Peter Rustemeyer lässt sie sich spielerisch entdecken. Wie spielt es sich? Genialer Kern ist ein Kartenmechanismus: Ein Stapel wird jede Runde neu gemischt und gleichmäßig an die Spieler verteilt. Zusammengestellt ist er aus Basiskarten, die in jeder Partie gleich sind, und welchen aus je zwei sogenannten „Modulen“, die immer wieder neu zusammengestellt werden, so verschiedene „Level“ ergeben und eine in Nuancen immer wieder neue Geschichte erzählen. Immer eine Karten von den obersten drei im Stapel wählt man in seinem Zug. Der Clou: Die Rückseiten der Karten lassen nur grobe Rückschlüsse darauf, was auf der Vorderseite zu erwarten ist. So warten im Wald eben höchstwahrscheinlich Nahrung und Holz – manchmal aber auch unerwartete Gefahren. Und manche Gefahrenkarten bringen unerwarteten Nutzen, einen Wolf zum Beispiel, den man zum ersten besten Freund des Menschen erziehen kann. Und dann gibt es noch Karten für Ideen zu neuen Werkzeugen, die mit dem richtigen Material gebaut werden können. So entsteht allmählich Zivilisation. Alle Spieler bilden ein Team. Aber jeder einzelne ist für eine kleine Gruppe von Menschen zuständig, schrecklich sterblichen Menschen. Nur zwei bis drei Verletzungen überstehen sie. Und wenn fünf gestorben sind (oder auf andere Weise Totenkopfplättchen angesammelt werden), ist die Partie schon verloren. So muss in jeder Nachtphase – die der Tagphase voller Entdeckungen folgt – der ganze Stamm mit Nahrung versorgt werden. Umgekehrt gewinnen alle, wenn sie durch die Bewältigung gewisser Aufgaben fünf Siegplättchen gesammelt und zu einem Höhlengemälde gefügt haben. Was taugt es? „Paleo“ ist ein ungeheuer stimmungsvolles Spiel. Der Kartenmechanismus garantiert immer neue Unwägbarkeiten und Überraschungen. Was in anderem Zusammenhang ein abstraktes Sammeln und Abgleichen von Symbolkarten und -plättchen hätte sein können, entwickelt sich zu einem immer neuen Epos der Entdeckungen. Dem die etwas lückenhafte Anleitung keinen Abbruch tut. Denn die Klarheit des Ablaufs und auch der Symbolsprache schaffen jederzeit schnell Abhilfe. 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