So setzt sich Sebastian Koch gegen Rechtspopulismus ein

Montagabend findet anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz – der Tag jährt sich zum 75. Mal – ein großes Gedenkkonzert im Kuppelsaal Hannover statt. Schauspieler Sebastian Koch (57) liest aus dem Werk „Die Nacht“ des KZ-Überlebenden Elie Wiesel. Die NP traf den Künstler zum Interview. Herr Koch, warum haben Sie „Die Nacht“ von Elie Wiesel ausgesucht? Die Organisatoren des Abends sind damit vor ein paar Monaten an mich herangetreten. Anfangs war ich etwas zögerlich, habe dann aber beim Lesen schnell festgestellt, wie wichtig es ist, Texte wie diesen immer wieder vorzutragen, zu hören oder zu erzählen. Und zwar ohne großes Pathos, sondern als Erinnerung an die Tatsache, was damals in unserem Land passiert ist – und dass das nicht nochmal passiert. Das Buch ist sehr persönlich und sehr emotional geschrieben, in Teilen sehr heftig. Aber es war nun mal so, und das muss man aushalten. Der ursprüngliche Titel lautete ja „Un di velt hot geschvign“. Schweigt die Welt auch heute, 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, noch zu viel? Auf jeden Fall. Wir leben in einer Zeit, in der Rechtspopulismus erneut aufkommt und auch und gerade über die Sprache vermeintlich gesellschaftsfähig wird. Heute können plötzlich Dinge gesagt werden, die vor fünf Jahren undenkbar gewesen wären. Der Ton wird rauer und unangenehmer. Wir müssen aufpassen, uns nicht in einem ähnlichen Muster wieder zu finden. Auch wenn Rechtspopulismus kein alleiniges deutsches Thema ist, müssen vor allem hierzulande sofort alle Alarmanlagen angehen: Gerade die Deutschen müssen genau hinhören, genau hinsehen. Und gleich von Beginn an eingreifen. Richtig. Damals hat man auch nicht geahnt, wie sich das alles entwickeln würde – und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Auch damals hat man die Nazis am Anfang nicht als eine ernst zu nehmende Gefahr gesehen, was dann daraus entstanden ist, ist ungeheuerlich und gerade mal 85 Jahre her. Deshalb muss man heute Parteien wie die AfD als etwas ernst nehmen, das so in unserem Lande eigentlich gar nicht stattfinden dürfte. Wir leben zwar in einer Demokratie, aber in diesem Fall kommt sie an ihre Grenzen. Es gilt zu verhindern, dass diese Partei „salonfähig“ und weiterhin gewählt wird. Elie Wiesels Angst in der Zeit nach dem Holocaust war immer das Schweigen der Welt. Ist Ihr Beitrag an dem Gedenktag Ihre Weise, den Mund aufzumachen? Unter anderem ja. Ich bin ein politisch denkender Mensch, meine Arbeit ist politisch. So empfinde ich das jedenfalls. Elie Wiesel hatte recht, mit dem, was er befürchtet hat. Und es ist wichtig und richtig, sich seine Geschichte in seiner ganzen Dramatik immer wieder anzuhören. Ich möchte einfach weitergeben, was sie mit mir beim Lesen gemacht hat. Was sind Ihre ersten Erinnerungen an den Holocaust, wie wurden Sie an das Thema herangeführt? Eigentlich durch ganz persönliche und direkte Erfahrungen im Ausland. Ich habe bemerkt, dass Leute einen schneiden oder schief angucken, weil man Deutscher ist. Als Kind habe ich das vor allem im Urlaub deutlich mitbekommen und mich gewundert, was die Leute haben. Aufgrund dieser Vorbehalte wurde ich neugierig, habe Fragen gestellt, mich mit dem Thema beschäftigt. Später dann in meinem Schauspielerleben noch sehr viel intensiver. Als Deutscher können einen diese Zeit und ihre Folgen nicht unberührt lassen. Wir müssen uns damit beschäftigen – alle. Wie kann diese Beschäftigung aussehen? Die wichtigste Erfahrung für mich ist die persönliche Begegnung – der Augenblick. All die Aufarbeitungen in Filmen, Reden und Texten sind sicherlich sehr bedeutsam und wichtig, aber sie können die Begegnung nicht ersetzen. Nur durch diese Begegnungen, Aug in Aug, können wir heilen und die beiden Völker wieder zueinander finden. Themenwechsel: Am 9. Februar werden die Oscars verliehen. Wie viele Filme haben Sie sich als Mitglied der Academy dafür angesehen? Ein gutes Drittel, insgesamt sind es vielleicht um die 70. Und wie kann ich mir das Angucken vorstellen: Wie einen Bürojob oder doch entspannter? Ich habe einen Beamer und eine Leinwand zuhause, lade ab und zu Freunde zu diesem Anlass ein. Wir kochen, gucken und diskutieren dann darüber. Das ist wirklich großartig – ein totaler Luxus, den ich sehr genieße. Eine schöne Arbeit, die mir überhaupt nicht schwer fällt, im Gegenteil. Es ist toll, seine Stimme abgeben zu können. Auch in diesem Jahr sind wieder ein paar ganz herausragende Leistungen dabei. Verraten Sie uns Ihre Favoriten? Ich mochte wirklich sehr, was Tom Hanks in „Der wunderbare Mr. Rogers“ geleistet hat. Das ist ein Knaller, wirklich ganz, ganz toll! Die Rolle ist ihm sozusagen auf den Leib geschrieben. Er musste sie einfach spielen. Dann finde ich Renée Zellweger in „Judy“ ganz fantastisch, genauso wie Christian Bale in „Le Mans 66“, oder Joaquin Phoenix in „Joker“. Es gibt wirklich viele tolle Darsteller und einige extrem tolle (lacht). Sie haben in dem Oscar-Sieger „Das Leben der Anderen“ mitgespielt und mit einigen Hollywoodgrößen zusammengearbeitet, unter anderem mit Tom Hanks in „Bridge of Spies“. Wie kam es, dass Sie für ihn „Maultäschle“ gemacht haben? Ich hatte im Gegensatz zu ihm wahnsinnig viel Text, da hat er mich gefragt, ob er mich abhören soll. Da sagte ich „Ja, gern. Ich komme zu dir ins Hotel.“ Und er sagte: „Nee, ich komme gerne zu dir.“ Er ist ein sehr neugieriger Mensch, der sehen wollte, wie ich in Berlin lebe und was ich sonst noch mache. Einer, den nicht interessiert, in einer hermetisch abgeriegelten Star-Blase zu leben. Ein sehr besonderer Mensch. Ihre größte Leidenschaft sind klassische Musik und große Texte. Was fasziniert Sie so, diese zu verbinden? Die Art, wie ich das tun kann. Derzeit bin ich mit Tolstois „Kreutzersonate“ unterwegs, ein wahrer Leckerbissen, so eine Arbeit. Die Beethovensonate und den Roman so zu verweben, dass die Protagonisten zusammen auf der Bühne stehen, ist großartig. Das hat in dieser Form noch niemand zuvor gewagt – es ist schön, der Erste zu sein. Und worum geht es? Unter anderem um einen Eifersuchtsmord. Die Pianistin Anna Buchberger ist meine Frau, der Geiger, Erik Schumann, mein vermeintlicher Rivale. Sie sind Musiker und Protagonisten zugleich und befinden sich mit dem Ich-Erzähler, der sich an das Publikum wendet und um Absolution für diesen Eifersuchtsmord an seiner Ehefrau bettelt, auf einer Ebene. Ein speziell entwickeltes Lichtkonzept spielt mit Zeit und Raum. Die Musiker, beide ganz große Könner, lieben diese „Doppel-Tätigkeit“, und die Reaktion des Publikums lässt ebenfalls darauf schließen, dass es ihm großen Spaß bereitet. Und mir allemal! So wie mit dem Violinisten Daniel Hope in „Paradise“. Wir haben damit etwas sehr Schönes auf die Beine gestellt. Etwa sehr Archaisches: Da steht einer mit seiner Geige und einer großartigen Musik, und einer mit einem wunderbaren Texten über das Paradies. Eine Art Collage darüber, was wir vom Paradies erwarten, wie uns der Begriff geprägt hat und wie stark er uns in unserer Kultur vertreten ist. Fazit dabei ist, dass wir ein tolles Leben leben – und vielleicht sogar schon mitten im Paradies sind, und es nur nicht wissen ... Ist es vorstellbar, dass Sie sich auch mal mit einem Instrument einbringen? Ich spiele sehr gerne Gitarre. Es könnte irgendwann für irgend einen Abend mal passieren. Aber im Moment lauert diese Gefahr nicht (lacht). Lesen Sie auch: Sebastian Koch: „Man kann nicht immer Ja sagen“ Von Mirjana Cvjetkovic

NP-Interview - So setzt sich Schauspieler Sebastian Koch gegen Rechtspopulismus ein