Lillah Halla: Brasilianische Regisseurin sucht in Hannover für Film

„Welches Lied hat Sie in Ihrem Leben am meisten geprägt?“, will Lillah Halla (39) von den Hannoveranern wissen. Für sechs Monate kommt die Brasilianerin in die Stadt, um einen Kurzfilm zu produzieren. Der Titel: „Wenn ich nicht tanzen kann“. Menschen, die tanzen können – oder nicht. Menschen, die schauspielerisches Talent haben – oder nicht. Menschen, die alt oder jung sind. Ganz egal. „Wer schon immer mal in eine Filmproduktion reinschnuppern wollte, der ist hier genau richtig. Es ist auch nicht viel Aufwand, versprochen!“ Hallas Ziel: Eine Reihe von Porträts erschaffen – „Porträts, die von Erinnerungen, Kreativität und Musik erzählen, aber vor allem von der Kraft der Begegnung zwischen Menschen in diesen Zeiten der Isolation.“ Wer Interesse hat, an dem Filmprojekt teilzunehmen, sendet bis zum 31. Mai eine E-Mail an hannoverfilmproduktion2020@gmail.com. Darin sollen zwei Fragen beantwortet werden: Welches ist das Lied, das Ihre Geschichte am meisten geprägt hat? Und warum? Dies kann in schriftlicher Form oder in einer einfachen Videoform erfolgen. Danach wird Lillah Halla mit dem Bewerber in Kontakt treten. Es folgt ein erstes, virtuelles Kennenlernen via Videotelefonie. Jeder Schritt des Projekts wird gemeinsam besprochen. Weitere Informationen unter lillahalla.wixsite.com/filmproduktion. Das Filmprojekt „Wenn ich nicht tanzen kann“: Der in Hannover produzierte Kurzfilm wird Teil zwei von „Wenn ich nicht tanzen kann“. Teil eins drehte Halla auf Kuba, der Titel nimmt Bezug auf die kubanische Revolution: „Wenn ich nicht tanzen kann, ist es nicht meine Revolution“, das soll die Friedensaktivistin Emma Goldman (†70) einst gesagt haben. Dieser Satz bezog sich zwar nicht direkt auf die kubanische Revolution – Halla fand ihn dennoch passend für ihr Projekt. So porträtierte sie auf Kuba tanzende Menschen, die die Revolution miterlebt hatten. Ein Senior tanzt in seiner Hütte, auf jeden Schritt folgt ein Plätschern, denn der Boden ist bedeckt von Wasser. Ein Vater tanzt im Flur seines Hauses mit seinem Kind auf dem Arm, der Rest der Familie ist im Hintergrund zu sehen. Eine Künstlerin tanzt zwischen zwei Szenen hinter der Bühne und trällert ein Lied vor sich hin. Mitwirkende müssen nicht tanzen können: Das bedeutet aber nicht, dass die hannoversche Version von „Wenn ich nicht tanzen kann“ ähnlich aussehen wird. „Niemand soll denken, dass er tanzen muss!“, betont Halla. „Ich hoffe, dass sich von dem Titel niemand abgeschreckten lässt.“ Denn die Gegebenheiten in Deutschland seien ganz andere als auf Kuba. Nicht nur, was das Verhältnis zum Thema Tanz betrifft – auf der Karibik-Insel ist es eine alltägliche Art und Weise, sich auszudrücken. Halla erkennt noch andere Unterschiede: „Auch Gemeinschaft sieht in Deutschland ganz anders aus. Auf Kuba leben die Menschen in mehreren Generationen zusammen in einem Haus. Hier sterben alte Menschen oft alleine im Altersheim.“ Einsamkeit – ein Thema, das in Hallas Kurzfilm präsent sein wird. Denn in der Corona-Zeit sei es aktueller denn je. Doch viel mehr über den Film verrät Halla nicht, bleibt in ihren Antworten kryptisch. „Das Projekt lebt schließlich von den Menschen, die mitmachen.“ Und Halla kann es kaum erwarten, die Stadt auf diese Art und Weise kennenzulernen. „Ich werde eine intime Verbindung zu den Menschen hier aufbauen. Dadurch werde ich Hannover auf einer sehr tiefen Ebene kennenlernen.“ Halla kommt mit einem Stipendium der Kulturstiftung nach Hannover: Die Kulturstiftung Hannover hat diese Idee überzeugt: Halla hat ein Stipendium erhalten, um hier ein halbes Jahr lang zu leben und ihr Projekt zu verwirklichen. Seit 2001 lebt Halla mit Unterbrechungen in Deutschland, 2007 war sie schon mal kurz in Hannover: Mit Frank Castorf (68) und einem brasilianisch-deutschen Bühnen-Ensemble inszenierte sie damals das Theaterstück „Schwarzer Engel“. Die Zusammenarbeit mit den Regisseuren Castorf, Christoph Schlingensief (†50) und Stefan Kaegi (48) waren Höhepunkte ihrer Karriere in Deutschland. In ihrer brasilianischen Heimat weckte einst ihre Mutter ihr Interesse am Film. „Ich bin ein Dorfkind, meine Mutter hat in der großen Stadt São Paulo studiert und war kulturell offen. Das wollte sie an mich weitergeben.“ Also spielte die Mutter der kleinen Lillah Filme auf VHS-Kassetten vor. „Das waren unsere Nächte“, erinnert sich die heute 39-Jährige. Deutschland ist Hallas Heimat geworden: Als sie mit Anfang 20 eine Europareise machte, blieb die junge Frau in Deutschland hängen. „Spanien oder Italien waren zu ähnlich zu Brasilien. Deutschland war so anders, so neu, so modern“, so Halla. „Und es war ein Land, das im Gegensatz zu meiner sexistisch geprägten Heimat die Privatsphäre einer Frau nicht übertritt.“ In Essen fing sie im Kunst-Filmtheater an, als Filmvorführerin zu jobben – „und ich verliebte mich immer mehr in die Filmwelt.“ Es folgte ein weiterer Job als Filmvorführerin in Berlin, gleichzeitig ein Praktikum im Filmschnitt. Danach ging Halla nach Kuba, um dort Regie und Drehbuch zu studieren. Und dort begann die Geschichte von „Wenn ich nicht tanzen kann“, die nun in Hannover eine Fortsetzung bekommt. Lesen Sie auch: Neuer Film: Düzen Tekkal gibt IS-Opfern ein Gesicht Doro Pesch dreht Kinofilm in Hannover ARD-Märchen auf Schloss Marienburg gedreht Von Josina Kelz