Einsamkeit und Stress: So kommen Sie stressfrei durch die Weihnachtstage

Wieso ist Weihnachten oft so anstrengend? Wieso herrscht Irrsinn statt Besinnlichkeit? Nina Sauer ist Chefärztin der Klinik für Psychosomatische Medizin im Diakovere-Krankenhaus Henriettenstift. Die NP bat sie um Aufklärung – und um Tipps für entspannte Festtage. Warum fühlen sich viele gestresst durch Weihnachten? Weil es schwer ist, Weihnachten in unsere schnelllebige Zeit einzubinden. Eigentlich ist Weihnachten das Fest des Lichts, des Neuanfangs, der Ideen, des In-sich-Kehrens. Das fängt schon im Advent an. Aber den Advent erleben die meisten nicht mehr als die stille Zeit, als die er gedacht ist. Die meisten nehmen den Advent als die Wochen wahr, in denen sie überlegen: Für wen brauche ich noch Geschenke? Was wäre das perfekte Geschenk? Wie kann ich an den Feiertagen auch die Verwandten sehen, die weit weg wohnen? Und welches Drei-Gänge-Menü serviere ich eigentlich dieses Jahr? Das stresst mich schon beim Zuhören. Klar, weil es viel zu hohe Ansprüche sind, die gar nicht erfüllt werden können. Rein logistisch schon nicht: Ich kann nicht an drei Tagen alle Verwandten abklappern, die jeweils 200 Kilometer entfernt wohnen. Dann verbringe ich Weihnachten auf der Autobahn, das macht keinen glücklich. Wie ginge es entspannter? Ich muss mir überlegen: Was ist meine Kernfamilie? Wen möchte ich unbedingt sehen? Und mit wem gehe ich mir ganz einfach auch am wenigsten auf den Nerv? Denn es wird nie klappen, dass sich alle auf Knopfdruck verstehen. Familiäre Beziehungen sind Beziehungen, die genauso gepflegt werden müssen wie andere auch. Es gibt gute und schlechte Tage, die schlechten hält man aus, weil man die guten kennt. Aber die kennt man eben nur, wenn man sich regelmäßig sieht, miteinander lebt, seine schönen und schlechten Momente teilt, seine Beziehung pflegt. Dafür sind Familien heute aber viel zu sehr zerfleddert. Inwiefern? Früher gab es die eine feste Familie, heute leben viele Familien in Patchwork-Modellen. Dabei ist es schwierig, allen Bedürfnissen nachzukommen, leider gibt es oft jemanden, der zu einem gewissen Grat zurücksteckt. Damit muss man umgehen lernen. Und dann leben viele einen Großteil ihrer Zeit alleine: Entweder sie sind Single oder sie leben in einer anderen Stadt als der Partner, weil der Beruf einfach nicht mehr heimatgebunden ist. Das sind ganz schön viele Unruheherde, mit denen jeder selbst erst einmal umgehen muss. Weihnachten kommt es dann schnell zu Konflikten, weil einfach viele unausgesprochene Probleme zwischen den Familienmitgliedern liegen. Das erinnert ein wenig an die Situation, wenn Familien in den Urlaub fahren. Dann gibt’s häufig zu Beginn Streit, weil sich alle erstmal aneinander gewöhnen müssen. Das ist eine ähnliche Situation, ja. Allerdings ist Weihnachten noch überlagerter als die Ferien es sind. Im Urlaub habe ich neue Impulse um mich herum, ich kann mich sportlich betätigen, mir etwas anschauen, es gibt einiges, womit man sich ablenken kann. Das habe ich an Weihnachten aber nicht. Denn das ist ein Fest zur Einkehr, die maximale Ablenkung besteht da höchstens in den Geschenken. Das klingt düster. Ist es aber überhaupt nicht. Man muss sich das nur klar machen. Und jeder soll sich bitte auch klar machen, dass Weihnachten das Fest des Lichts ist. Jeden Adventssonntag zünden wir eine Kerze mehr an, es wird heller Richtung Weihnachten. Wir dekorieren den Christbaum und auch unsere Häuser mit Licht, es ist Helligkeit, die den Winter vertreiben soll. Und dann sollten wir uns klar machen, dass Weihnachten ein Fest des Neubeginns ist, der Chancen, des beginnenden neuen Lebens. Das vergessen viele. Dabei ist es ein so schöner Gedanke, der sogar Stress nehmen kann. Und was mache ich mit denen, für die ich Weihnachten keine Zeit habe? Die treffe ich ein anderes Mal. Vielleicht lässt sich dieses Jahr Weihnachten nutzen, um das in der Familie offen anzusprechen. Dann ließen sich fürs kommende Jahr schon Adventsverabredungen treffen, die Weihnachten entspannen. Tipp 1: Stressfrei schenken: Viele verbinden den Kauf von Weihnachtsgeschenken mit Stress. Wie lässt sich der verhindern? „Einerseits ist es natürlich toll, wenn sich jemand überlegt, wem er womit eine Freude bereiten kann. Das ist eine wunderschöne, liebevolle Geste. Das muss auch nichts Teures sein, es muss nicht perfekt sein, nur mit Liebe geschenkt. Schwierig kann es in Patchwork-Familien sein, wenn sich manche mit Geschenken übertreffen wollen, um sich zum Beispiel die Gunst eines Kindes zu sichern. Das führt zu Stress. Manchen hilft es dann, wenn sie einen finanziellen Rahmen festlegen. Wieder andere schenken sich nichts mehr, sondern spenden lieber etwas. Auch das verringert den Stress.“ Tipp 2: Das Menü planen: Das Weihnachtsessen wird meist aufwendig geplant. Für diejenigen, die den Festschmaus zubereiten sollen, bedeutet er oft Stress. Wie lässt sich der vermeiden? „Es gibt einige Möglichkeiten, wie sich dieser Stress vermeiden lässt. Ich stamme aus Süddeutschland, da ist es üblich, dass es an Heiligabend Kartoffelsalat mit Würstchen gibt, ein ganz einfaches Gericht, damit die Hausherrin nicht permanent in der Küche stehen muss. Denn meist ist es ja die Hausherrin, die kocht. Möglich ist aber auch, dass man miteinander kocht, das nimmt zugleich Stress aus der Festgesellschaft, weil sie ja durch etwas beschäftigt ist. Und es gibt immer noch die Mitbringparty: Jeder bringt etwas mit, keiner muss sich um alles allein kümmern.“ Tipp 3: So bindet man Kinder ein: Kinder sollen Weihnachten häufig ein Gedicht aufsagen oder ein Stück auf einem Instrument spielen. Bereitet ihnen das Stress? „Ganz ehrlich: Bevor ein Schulkind Weihnachten feiert, hat es sehr wahrscheinlich schon ungefähr drei Weihnachtsfeiern hinter sich, in der Schule, beim Musiklehrer oder im Sportverein. Diese Feiern sind eigentlich immer mit Aufführungen verbunden. Und ich meine: Das reicht. Allerdings ticken Kinder sehr unterschiedlich: Es gibt Mädchen und Jungen, die haben großen Spaß an Auftritten, die zeigen sich gerne, dann ist es super, wenn sie zu Hause etwas aufführen. Andere Kinder haben lieber ihre Ruhe und dann sollte es auch okay sein, nichts aufzuführen. Manchmal werden Kinder ja nur dazu verdonnert etwas aufzuführen, damit die Eltern zeigen können, was für ein tolles Kind sie haben. Aber das bedeutet tatsächlich Stress für das Kind.“ Tipp 4: Was tun bei Einsamkeit? Manche Menschen sind an Weihnachten einsam. Was kann man tun? „Die Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Nicht umsonst bleibt unsere Klinik Weihnachten offen, es findet über die Feiertage auch Therapie statt. Manche sind allein, weil sie eben alleine leben, andere haben eine Scheidung oder einen Todesfall hinter sich. Die wenigsten genießen die Feiertage, weil der Verlust oder das Alleinsein besonders erlebbar wird. Es gibt viele soziale Einrichtungen oder kirchliche Träger, die Feiern für Alleinstehende anbieten. Natürlich kann man auch Freunde fragen. Allerdings sollte man sich bewusst machen: Das Zusammensein ist schön, es kann aber auch traurig stimmen, weil das Treffen irgendwann vorüber sein wird. Da kann es helfen, das Erlebte in guter Erinnerung zu behalten, es festzuhalten.“ Auch in Hannover gibt es zahlreiche Weihnachtsstuben mit ganz verschiedenen Angeboten. Auskünfte gibt es beim Seniorenservice unter Telefon 0511/16 84 23 45 und der Diakonie: 0511/368 71 16. Tipp 5: Nicht verkleiden: Manchen graut vor Weihnachten, weil sie nicht wissen, was sie anziehen soll. Wie kann man den Mode-Stress umgehen? „Es lässt sich natürlich niemandem etwas verbieten. Der eine trägt gerne etwas Festliches, der andere mag es lieber leger. Beides ist in Ordnung. Worauf ich achten sollte: Worin fühle ich mich wohl? Und: In welchem Rahmen feiere ich? Denn wenn ich in der Jogginghose in einer Gesellschaft aufhalte, die auf Abendkleid und Dinnerjacket setzt, mag das zwar bequem sein, wohl werde ich mich aber nicht fühlen. Ich brauche ein Outfit, von dem ich weiß: Das bin ich, darin verkleide ich mich nicht. Gut ist bequeme Kleidung, in der ich lange sitzen kann und die eine üppige Mahlzeit verzeiht.“ Lesen Sie auch: Mit diesen Desserts krönen Sie Ihr Weihnachtsessen Festliche Rezepte: Ente gut, alles gut Hannover: Geschenketipps für Weihnachten Hannover: Geschenketipps mit ganz viel Liebe Von Verena Koll

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