Ein Mann für harte Fälle: Richter Rosenbusch hört auf

Nach mehr als 36 Jahren endet am Freitag die Karriere von Richter Wolfgang Rosenbusch (65). Seit dem 1. Januar 2009 war er der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Hannover. In dieser Zeit hat er etwa 250 Verhandlungen geleitet. Einige Verfahren fanden nationale und internationale Beachtung. Im NP-Interview spricht er über interessante Täterpersönlichkeiten und die Überlastung der Justiz. Wie lässt sich Ihre Karriere in einem Satz zusammenfassen? Ich würde es wieder machen. Haben Sie jemals einem Angeklagten zu Unrecht verurteilt? Ich habe immer Angst davor gehabt. Aber ich hatte nie das Gefühl, jemanden zu Unrecht verurteilt zu haben. Sicherlich kann man immer über die Strafhöhe diskutieren. Aber der Bundesgerichtshof hat nie ein von mir mit verantwortetes Urteil aufgehoben mit anschließendem Freispruch aufgehoben. „Innere Distanz bewahrt“: Wie haben Sie Ihr seelisches Gleichgewicht behalten, um all die schrecklichen Dingen, die sie verhandeln mussten, verarbeiten zu können? Ich habe anscheinend eine gewisse psychische Stabilität, die mir das ermöglicht hat. Ich habe mir eine innere Distanz bewahrt, ähnlich wie ein Onkologe es tun muss. Es gibt aber Fälle, die ich mit nach Hause genommen habe. Dann haben mir Kollegen und meine Frau geholfen. Können Sie ein Beispiel nennen? Ja. Ein Mordfall aus Langreder. Da hat der Angeklagte 20 Minuten lang gefilmt, wie er seine Freundin totgeschlagen hat (Björn F. wurde dafür 2014 zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt, d. Red.). Das Problem als Richter ist, dass sie genau auflisten müssen, wie oft er wohin geschlagen hat. Ich habe das Video mehrfach gesehen, ich habe es nicht geschafft, mich daran zu gewöhnen. Selbst die Schreie und das Stöhnen des Opfers allein waren kaum erträglich. Hat Sie auch mal ein Angeklagter fasziniert? Faszination trifft es nicht. Aber ein psychisch kranker Angeklagter, er hatte eine Frau getötet und verstümmelt ( gemeint ist der „Maschsee-Mörder“ Alexander K., er wurde im Juli 2016 zu zwölf Jahren Haft verurteilt und zu einer Unterbringung in der Psychiatrie, d. Red. ), war intelligent und sehr offensiv. Er hat sich am Verfahren beteiligt. Er war nicht uninteressant. Seine Gedichte habe in in der Verhandlung verlesen. Er hat versucht, mit uns zu spielen. Nicht jeder Straftäter ist per se abstoßend. Derartiges hat aber auf die Entscheidung keinen Einfluss. Sie sind selber mal Opfer von Einbrechern geworden. Hat das Ihren Blick auf Ihren Beruf beziehungsweise die Opfer von Verbrechen verändert? Gar nicht. Haben Sie keine Rachegefühle gehabt? Klar war ich sauer auf die Einbrecher. Aber deshalb treffen wir keine Entscheidungen in Fällen, in denen wir selbst betroffen sind. Meine Frau war von den Einbrüchen sehr viel stärker betroffen. Und wie sehr hat sie das Verfahren gegen die Krebs-Ärztin Mechthild Bach berührt? Natürlich hat mich das berührt, weil in Teilen der Medien Dinge kolportiert wurden, die nicht unseren Feststellungen entsprachen. So hat sie sich zum Beispiel nie mit Sterbehilfe beschäftigt. Sie hat sich zur Herrin über Leben und Tod gemacht. In meinen Augen war sie aber eine überzeugte Ärztin. Sie hatte definitiv den Wunsch zu heilen. Es ist schwer verständlich, dass eine Ärztin, die heilen will, mit einem Bankräuber, der auf der Flucht jemanden erschießt, auf eine Stufe gestellt wird. Ihre Patienten waren sehr schwer erkrankt. Aber in mindestens zwei Fällen hat sie ihnen nicht mitgeteilt, dass sie todkrank sind. Sie hat ihnen eine tödliche Medikamentendosis verabreicht, ohne dass sie es wussten. Die Opfer waren also arg- und wehrlos. Wir haben die Fälle tagelang und teilweise bis Mitternacht beraten. Meinen Sie, dass das Volk ihre Urteile immer verstanden hat? Ich kann verstehen, dass es bei manchen Fällen in einem kocht. Alle Menschen haben ihre Auffassung über eine gerechte Bestrafung, meist gehen diese Vorstellungen weit auseinander. Aber das ist nicht der Maßstab, der einzige Maßstab ist das Gesetz. Begünstigt die Rechtssprechung zu sehr die Angeklagten? Das sehe ich nicht so. Um ein Beispiel zu nennen: In den 80-er und 90-er Jahren gab es bei alkoholisierten Tätern sofort eine verminderte Schuldfähigkeit. Das ist nicht mehr so. Eine verminderte Schuldfähigkeit gibt es nur noch, wenn jemand krank ist und seinen Alkoholkonsum nicht mehr steuern konnte. Die Justiz klagt über zu viele Verfahren. Häufig werden Deals gemacht, um langwierige Prozesse zu vermeiden. In der Öffentlichkeit könnte der Eindruck entstehen, dass Straftäter von der Überlastung der Gerichte profitieren. „In der Schwurgerichtskammer nicht einen Deal gemacht“: In der Schwurgerichtskammer habe ich nicht einen Deal gemacht. Obwohl es Anfragen von Anwälten gab. Aber bei Tötungsdelikten sind prozessverkürzende Absprachen ohnehin selten. Es gibt aber gerade bei Drogen- und Wirtschaftsdelikten sehr aufwändige Verfahren, so dass ich die Kollegen verstehen kann, wenn sie Deals machen. Sicher ist die eine oder andere Absprache zu viel. Aber ich weiß nicht, wie man das in den Griff bekommen kann. Wenn Sie Justizminister wären, was würden Sie verbessern? Die Justiz braucht mehr Personal, wir arbeiten oft am Limit. Es wäre schon viel erreicht, wenn ein Berufsanfänger als vierter Richter in eine Kammer käme, und Zeit zum Lernen hätte. Wenn eine Kammer mit einem Berufsanfänger arbeiten muss, ist das bei dem heutigen Druck eine Belastung. Richter ist nicht gleich Richter. Ich spreche da aus Erfahrung. Ich hatte den großen Vorteil, in Hildesheim am Landgericht als vierter Richter in einer Kammer anfangen zu dürfen. Wo sehen Sie noch Reformbedarf in der Justiz? Wir haben noch ein sehr gutes Justizsystem. Wir verstehen es, die Dinge irgendwie hinzubekommen. Die Gefahr bei einer permanenten Überlastung ist aber, dass die Zahl von Fehlern steigt und die Entscheidungstiefe sinkt. Das sollte sich ein Rechtsstaat nicht leisten. Wie lässt sich das konkret umsetzen? Man muss sich fragen, ob ein Amtsgerichtsurteil, das in der Berufung vor dem Landgericht verhandelt wird, noch eine Revisionsinstanz, sprich das Oberlandesgericht, braucht. Es würde eine Entlastung schaffen, wenn wir in den kleineren Strafsachen entweder zwei Tatsachen-Instanzen oder eine Tatsachen-Instanz und eine Revisionsinstanz hätten. Welche Pläne haben Sie für die Zeit nach Ihrem Richterberuf? Ich werde keine Anwaltsrobe anziehen. Ich freue mich, dass die psychische Belastung weg ist. Dass ich nicht mehr morgens um halb fünf aufwache und mich frage: Wie bekomme ich das hin? Ich werde wieder Sport treiben, das hat in den vergangenen Jahren nicht geklappt. Und dann suche ich eine Tätigkeit, die mich ein bis zwei Tage in der Woche beschäftigt. Richter Rosenbusch und seine spektakulären Fälle: Einige Verfahren fanden nationale und internationale Beachtung. Der Prozess gegen die Krebsärztin Mechthild Bach erregte bundesweite Aufmerksamkeit. Der erste Prozess vor dem Landgericht Hannover war geplatzt. So wurde es im Oktober 2009 das erste große Verfahren von Wolfgang Rosenbusch als Vorsitzendem der Schwurgerichtskammer. Sie war angeklagt, acht ihrer Patienten mit Valium und Morphium getötet zu haben. Das Verfahren dauerte auch so lange, weil der Sachverständige der Staatsanwaltschaft fünfeinhalb Jahre für sein Gutachten brauchte. In einem Zwischenfazit verkündete Rosenbusch, dass er Bach in zwei Fällen des Mordes für schuldig hält. Sie nahm sich am 24. Januar 2011 das Leben. Er war eine schillernde Persönlichkeit: Alexander K. Der junge Mann brachte eine Prostituierte um und zerteilte dann ihren Leichnam – in seiner Wohnung in der Hildesheimer Straße. In Mülltüten verteilte er die Leichenteile im Maschsee. Am Ende wurde er verhaftet. Bei den Ermittlungen findet die Polizei Gedichte und Gewalt-Videos des Angeklagten. Im Prozess benimmt sich der Alexander K. sehr auffällig. Richter Wolfgang Rosenbusch verurteilt den Mörder im Oktober 2013 zu zwölf Jahren Haft und einer Unterbringung in der Psychiatrie. Aufgrund seiner Persönlichkeitsstörungen ging das Gericht von einer verminderten Schuldfähigkeit aus. Björn F. hat im Barsinghäuser Ortsteil Langreder seine Freundin zu Tode gefoltert – über Stunden. Er hat Teile der Taten gefilmt. Die Schwurgerichtskammer musste sich das Video anschauen, samt Schmerzensschreie der jungen Frau. „Grausamer kann man einen Menschen nicht umbringen“, urteilte Richter Wolfgang Rosenbusch. Er verurteilte Björn F. im April 2014 zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld. Somit kann der Straftäter frühestens nach 21 Jahren Gefängnis auf Bewährung entlassen werden. Die Brutalität des Verbrechens hat selbst den erfahrenen Richter Rosenbusch schockiert. Dieser Prozess traf den Nerv einer ganzen Nation: Im März 2016 wurden zwei Männer und eine Frau aus Salzhemmendorf (Kreis Hameln) wegen eines Brandanschlags auf ein Flüchtlingsheim verurteilt. Es war der erste Angriff auf ein bewohntes Asylbewerberheim nach der Flüchtlingswelle 2015. Selbst die New York Times berichtete über den Prozess. Wegen versuchten Mordes wurden Dennis L. zu acht und Sascha D. zu sieben Jahren Haft verurteilt. Saskia B., die die beiden zum Tatort fuhr, bekam viereinhalb Jahre Haft. Richter Wolfgang Rosenbusch bezeichnete die Tat als „gemeinen Terrorismus“ und verglich sie mit den Taten „marodierender SA-Trupps“. Ein unglaublicher Fall: Laura S. legt ihr neugeborenes Kind in einen Koffer ab. Fortan kümmert sie sich nur unzureichend um den Säugling. Ihr Freund findet sein Kind Tage später in der Abstellkammer. Er hatte die Schwangerschaft nicht bemerkt. Die Polizisten entdecken unter dem Baby das Skelett eines Neugeborenen. Wie das erste Kind ums Leben kam, konnten die Gerichtsmediziner nicht mehr sagen. Im März 2017 wird Laura S. wegen versuchten Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt. Im Urteil stellte Richter Wolfgang Rosenbusch fest: „Sie haben das Kind nur gestillt, um ein Schreien zu verhindern, nicht, um es am Leben zu erhalten.“ Von Thomas Nagel

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