Debut in Hannover: Multitalent Wackernagel führt jetzt Regie

Frau Wackernagel, mit Ihrem Bruder stellen Sie Ihren Roadmovie vor und kommen gerade selbst von einer großen Reise. Was haben Sie in Mexiko gemacht? Ich habe für einen ARD-Film gedreht – es geht um illegale Waffenexporte von Deutschland nach Mexiko. Wir waren zweieinhalb Wochen in Mexiko-Stadt, ab Anfang August geht es in München weiter. Ich spiele eine Menschenrechtsanwältin, die den Gerichtsprozess beobachtet, darüber berichtet und sich entscheidet, einen Nebenkläger aus Mexiko nach Deutschland zu holen. Für „Wenn Fliegen träumen“ ging es in den Norden, nach Skandinavien. Was ist das Besondere an so einem Roadmovie? Ein Roadmovie impliziert immer, dass es einen weiteren Hauptdarsteller gibt und das ist die Landschaft. Es würde ja keinen Sinn ergeben, tausende von Kilometern zu reisen, wenn man die nicht sieht. Das ist bei unserem Film auch so: Wir starten in Berlin, reisen über Schweden nach Norwegen. Die Bilder haben wirklich eine ganz große Gewalt und passen schön zu der Stimmung der Figuren. Die auch schön unterschiedlich sind: Eine einsame Psychotherapeutin macht sich im Feuerwehrauto mit ihrer suizidgefährdeten Halbschwester auf den Weg. Wackernagel: Genau. Und sie hocken nebeneinander in einem Auto, können nicht fliehen. Auch wenn der Andere einem auf die Nerven geht, muss man es aushalten. Beim Anhalten können sie nicht weglaufen, weil sie total im Nirgendwo sind. So müssen sie sich den Mitreisenden stellen. Das fand ich einen schönen Konflikt für einen Roadmovie. Jonas Grosch: Außerdem stehen Roadmovies für Freiheit. Man fährt raus in das Unbekannte, weiß nicht, was passiert. Erzählerisch und inhaltlich ist das ein spannender Punkt. Es ist schön, erzählerisch nicht an Konventionen gebunden und an der Stelle freier zu sein. Im Prinzip war es für das Filmteam ja nichts Anderes. Wackernagel: Stimmt, das „Making of“ wäre auch ein spannender Film geworden (lacht). Sie sind als Kinder schon viel und gerne in Norwegen gewesen, oder? Wackernagel: Wir sind nicht exakt die Orte aus unserer Kindheit abgefahren. Aber die Stimmung, die vorkommt, das ist schon etwas, was wir gut kennen und auch Jonas’ Vorlage für das Drehbuch war. Dieses etwas Melancholische, Einsame passt gut zu den Figuren: Lauter Großstädter, die aufeinanderhocken, aber einsam sind, fahren in die Einsamkeit, um einander kennenzulernen. Es ist Ihr dritter Film, in dem Sie gemeinsam arbeiten Klappt das immer gut so als Geschwister? Wackernagel: Wir verstehen uns sehr gut, haben einen ähnlichen Humor, aber trotzdem unterschiedliche Temperamente. Jonas ist sehr viel pragmatischer und organisierter als ich, ich bin mehr aus dem Bauch heraus, emotionaler. Trotzdem ergänzen wir uns gut. Wir haben einfach eine Selbstverständlichkeit miteinander. Was nicht bedeutet, dass immer Friede, Freude, Eierkuchen herrscht und man immer einer Meinung ist. Warum hat das Drehbuch eigentlich 15 Jahre gelegen? Grosch: Es hat nicht gelegen, es hat gelebt. Es musste erstmal erwachsen werden. Anfangs hatten wir klassisch probiert, es bei Sendern und Förderungen unterzubekommen, was nicht funktioniert hat. Im Laufe der Zeit sind wir immer wieder darauf zurückgekommen. So gingen die Jahre ins Land ... Wackernagel: Und es gab zunächst eine Hemmschwelle, mit einem Team ins Ausland zu gehen. Man muss alle versichern, es steckt irrsinnig viel Arbeit in dem Projekt. Ich hätte auch nicht gedacht, dass wir es in dem Feuerwehrauto aus den 80ern wieder nach Hause schaffen (lacht). Warum ist das Thema mit der Förderung solcher Filme so schwer? Wackernagel: Die Frage stellt sich beim Fernsehen, beim Kinofilm. Im Fernsehen heißt es: Leicht und bekömmlich, es besteht der Wunsch, ein großes Publikum zu erreichen. Was bedeutet, auch mehr Kompromisse einzugehen, um es jedem zugänglich machen zu können. Ich finde es okay, wenn sich Leute vorm Fernseher berieseln lassen wollen. Was ich aber schade finde, ist die Diskrepanz zwischen kommerziellem Film und Independent. In Europa und Amerika ist es verbreiteter, dass man nebeneinander existieren kann, der Independant-Film bekommt auch mehr Geld. Deswegen wissen Filmemacher, die sich bewusst gegen den Mainstream entscheiden, dass sie allein auf weiter Flur stehen. Der Film ist ja Ihr Regiedebut. War es schwieriger als gedacht? Wackernagel: Als Regisseur steht man ganz schön unter Strom und muss irrsinnig viele Entscheidungen treffen. Ich habe das bisher als Schauspielerin zwar mitbekommen, aber mir nicht vorgestellt, dass man schon morgens um sieben entscheiden muss, was man wann, wo und wie möchte. Manchmal habe ich schon gedacht: Hä? Lasst mich doch erstmal eins zu Ende machen und mich dann der nächsten Frage stellen. *15. Oktober 1978 in Freiburg. Sie wächst in Kassel auf, besucht dort die Schule. Das Schauspieler-Gen liegt in der Familie: Auch ihre Großmutter Erika Wackernagel († 70) und Mutter Sabine Wackernagel (72) sind Schauspielerinnen, auch der Onkel Christof Wackernagel (67, er saß als RAF-Terrorist wegen Mordversuchs und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung 15 Jahre in Haft). 1997 gelingt ihr mit der Hauptrolle in der TV-Serie „Tanja“ der Durchbruch. Seit zehn Jahren spielt sie die Kriminalkommissarin Nina Petersen in ZDF-Krimiserie „Stralsund“. Sie ist unter anderem Bambi-Preisträgerin, gewinnt 2008 den Deutschen Fernsehpreis. Mit ihrem Halbbruder Jonas Grosch (37) dreht sie mehrere Filme – bei „Wenn Fliegen träumen“ ist sie erstmals als Regisseurin tätig. Und das ganze Team müssen Sie auch im Auge haben. Ja, die Schauspieler fand ich manchmal anstrengend. Einerseits toll in ihrer Unterschiedlichkeit, andererseits verstehe ich Regisseure jetzt besser. Wir waren ein großes Ensemble, in dem der eine immer Quatsch machen muss, um in Stimmung zu bleiben, die andere fängt an zu singen, die Dritte ist total genervt, weil sie ihre Ruhe braucht, um sich zu konzentrieren. Das war manchmal schon ein bisschen schwierig – aber toll! Ihre Mutter Sabine kommt in Ihrem Film auch vor. Jonas Grosch: Ja, eine Szene ist sogar in der Garderobe gedreht worden, die sie nutzte, während sie „My Fair Lady“ in der Staatsoper hier in Hannover gespielt hat. Wackernagel: In der Szene hat sie eine wahnsinnige Perücke ihrer Opernfigur Mrs. Higgins an. Und da sie immer ein bisschen Zeit hatte, ehe sie in die Vorstellung musste, sind wir nach Hannover gekommen und haben das gedreht. Diese Szene hatten wir im Kasten, bevor wir überhaupt mit dem Film angefangen haben. „Wenn Fliegen träumen“ läuft täglich um 19.30 Uhr im Kino am Raschplatz. Tickets kosten acht Euro. Von Mirjana Cvjetkovic

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