Am Diabolo: Stefan Bauer ist Jongleur in der GOP-Show "Bang Bang"

Sein Diabolo fliegt durch die Luft. Egal, wie hoch, egal, wie weit: Stefan Bauer (29) wird es auffangen. Auch wenn es zwei, drei oder vier Stück sind. Gekonnt bewegt er die Holzstäbe, die seinen Diabolos die Richtung weisen. Teilweise sind seine Bewegungen so schnell, dass Zischgeräusche die gespannte Stille im GOP-Saal durchbrechen. Vergangene Woche hat er in Hannovers Varieté Premiere mit der Show „Bang Bang“ gefeiert. Schon zum zweiten Mal ... Bauer ist für Varieté-Fans fast ein alter Bekannter: „Es ist mein drittes Mal in Hannover – und von allen GOPs mag ich dieses am liebsten. Es ist, als würde man in einem Wohnzimmer spielen“, schwärmt der Schwabe. Man sei näher an den Zuschauern, die Atmosphäre sei familiärer, das Gebäude versprühe einen besonderen Zauber. „Außerdem ist Francesca & Fratelli gleich um die Ecke, ich liebe deren tierfreie Pizza“, lobt der Veganer. Für zwei Monate ist er nun hier zu Hause, lebt in einem der Künstler-Apartments des GOPs – mit dem Rest der Truppe. So wurde Stefan Bauer entdeckt: „Wir sind jetzt seit fast zwei Jahren zusammen unterwegs und mittlerweile wie eine Familie.“ Das „Bang Bang“-Ensemble besteht aus zehn Personen, die meisten kommen aus Kanada, Bauer ist der einzige Deutsche. In den Niederlanden wurde der gebürtige Stuttgarter vom GOP entdeckt, als er in Rotterdam „Circus Arts“ studierte. Das Casting-Team von GOP besuchten die Abschluss-Gala der Schule auf der Suche nach neuen Talenten – und nahm Bauer für die Show „Sprechstunde“ unter Vertrag. Nach knapp zwei Jahren Spielzeit in den sieben GOPs in Deutschland wechselte er nun in die Show „Bang Bang“. Die wäre eigentlich schon längst durch – doch Corona unterbrach die Spielzeit. Gerade hatte das Ensemble in Hannover im März Premiere gefeiert, da zwang der Lockdown das Varieté zur Schließung. Jetzt der zweite Anlauf – „für alle ist diese Show dadurch sehr besonders und emotional aufgeladen.“ Akrobatin Danielle Saulnier (24) zum Beispiel musste zurück in ihre Heimat Kanada und durfte durch die Schließung der Grenzen ihren US-amerikanischen Freund nicht mehr sehen – seit mittlerweile acht Monaten. Der Lockdown bringt Zeit in der Heimat: Für Bauer hingegen bedeutete der Lockdown mehr Zeit für die Liebe: Seine Freundin Ann-Kathrin Lurz (29) lebt in der Heimat, in der Nähe von Stuttgart. Dort ist auch Bauers Hauptwohnsitz – wo er normalerweise nur ein- bis zweimal im Monat ist. „Es war schön, viel Zeit mit meiner Freundin zu verbringen und Freunde zu treffen“, sagt er. „Ich war in einer glücklicheren Situation als viele meiner Kollegen.“ Bauer und Lurz sind bereits seit neun Jahren ein Paar, damals lernten sie sich im Jugendzirkus kennen, beide machten dort ein Freiwilliges Soziales Jahr. „Sie hatte ihr Zimmer gleich gegenüber von meinem“, erzählt Bauer und grinst bei der Erinnerung daran. Ob der jungen Frau bewusst war, dass sie sich in einen Mann verliebte, der immer unterwegs sein würde? „Ja, sie wusste von Anfang an, dass ich mal Artist werden würde.“ Denn das war Bauers Plan, seitdem er mit elf Jahren von seinen Eltern ins Sommercamp des Jugendzirkus’ geschickt wurde. Er ist Artist, Lehrer und Student: Lurz ist Sozialpädagogin geworden – ein Beruf, der auch Bauer am Herzen liegt. Denn nebenbei studiert er Soziale Arbeit und arbeitet als artistischer Direktor und Hauptlehrer an der „CircArtive“-Zirkusschule in Gschwend. Die hat er mit Schulleiter Sven Alb (51) gegründet. Wenn Bauer montags und dienstags spielfrei hat, ist er dort. Den Rest erledigt er mit Laptop und Handy. * 25. März 1991 in Stuttgart. Bauers Vater jongliert gerne und überträgt seine Begeisterung auf den Sohn. Der spielt außerdem Handball und Klarinette. Mit elf Jahren geht Bauer ins Sommercamp des Jugendzirkus „Circartive Pimparello“. Hier verbringt er von nun an die Sommer und wird später zum Jugendtrainer. Nach dem Abitur macht Bauer dort sein Freiwilliges Soziales Jahr, danach macht er seinen Europäischen Freiwilligendienst (EVS) beim „Sorin Sirkus“ in Finnland. Anschließend studiert er „Circus Arts“ an der Hochschule Codarts in Rotterdam. Wie das alles gleichzeitig funktionieren kann? „Naja, ich bin ein sehr strukturierter Mensch, setze Prioritäten und arbeite eine nach der anderen ab“, sagt der 29-Jährige und zuckt mit den Schultern. „Dafür muss man einfach nur diszipliniert sein, dann klappt das schon.“ Vier Stunden Training am Tag: Diszipliniert ist er: Am Tag trainiert der Jongleur vier Stunden. „Besser wären aber sechs“, sagt er zerknirscht. „Aber das schaffe ich zeitlich leider nicht mehr.“ Vielleicht auch besser so, denn früher trainierte Bauer 65 Stunden pro Woche – und zog sich dadurch eine Bizeps-Sehnen-Entzündung zu. Wenn man so streng mit sich ist, wie geht man dann mit Patzern auf der Bühne um? Bauer lächelt gequält. „Ich habe gestern gedroppt, ich hasse es.“ Er hat das Diabolo fallen lassen – „in den meisten Shows passiert das nicht, aber auf viele gute Shows folgt eine schlechte. So ist das nun mal im Sport.“ Die Zuschauer haben den „Drop“ vermutlich nicht mal bemerkt. „Ich habe eine dankbare Rolle, ich spiele einen albernen Charakter. Die meisten denken, das gehört zur Performance dazu.“ Von Verletzungen und Patzern auf der Bühne: Das dachten die Zuschauer auch, als er bei einer Weihnachtsshow in Essen auf der Bühne stürzte, sich dabei Kapsel und Sehnen im Mittelfinger riss. „Ich stand auf, versteckte meine kaputte Hand hinter den Rücken, lächelte und verbeugte mich. Hinter der Bühne habe ich dann gesehen, wie schlimm es ist.“ Trotzdem lacht Bauer bei der Erzählung. „Ich habe sogar ein Video, wollt ihr mal sehen?“ Danke, lieber nicht. Bauer weiß, dass Patzer dazu gehören. „Trotzdem: Heute passiert das nicht noch mal!“ „Die besonderste Premiere seit 28 Jahren GOP“, sagte Varieté-Leiter Dennis Bohnecke (41) am Ende der Show und bedankte sich beim Ensemble, das zum zweiten Mal die Show in Hannover auf die Bühne bringt. Denn nach der ersten Premiere am 12. März beendete der Corona-Lockdown die Spielzeit. Nun also auf ein Neues. „Wir sind diesmal gekommen, um zu bleiben“, verkündet Casting-Leiterin Sandra Wawer (40). Der Theatersaal ist nach Corona-Regeln neu aufgestellt: Statt 310 gibt es nur noch 210 Plätze, die Luftzufuhr liegt 320 Prozent über dem Soll, die Garderobe ist geschlossen, es gibt keine Pause mehr. Und auch die Sessel sind neu: Für 75.000 Euro hat das GOP Loungemöbel aus rotem Samt angeschafft – mit speziellem Neigungswinkel, der einen besseren Blick auf die Bühne verspricht. Zur Show: Das Ensemble von „Bang Bang“ reist mit dem Publikum ins New York der 1960er Jahre. Clown Phillippe Thibaudeau (41) führt mit Komik und ausdrucksstarker Mimik durch die Show, zwischendurch gibt es Artistik-Einheiten mit seiner Frau und Hula-Hoop-Künstlerin Rebecca Priebe (40). Für weitere Lacher sorgt der Spanier Xevi Casals (38). Die Kanadierin Jade Morin (37) turnt am Kleiderständer, der sonst in der Garderobe zu finden ist: Sie funktioniert ihn zum Element ihrer Artistik-Nummer um. Danielle Saulnier (24) macht auf Stützen einarmige Handstände und verbiegt ihren Körper. Sinnlich wird es beim Australier Simon-James Reynolds (29) am Swinging Pole, beim Paartanz von Ian Labelle (26) und Charlotte Gagnson (26) und Anna Ward (41) am Cyr. Letztere kommt von den Zirkusschulen in Montreal und hat sich mit „Bang Bang“ den Traum erfüllt, ihre liebsten Kollegen für eine gemeinsame Show auf die Bühne zu holen. Die Artistin ist auch für das Bühnendesign verantwortlich. „Bang Bang“ läuft bis zum 25. Oktober, zunächst mittwochs bis freitags um jeweils 19.30 Uhr, sonnabends 18 und 21 Uhr, sonntags 14 und 17 Uhr. Ab dem 2. Oktober gibt es auch freitags zwei Vorstellungen ab 18 und 21 Uhr. Karten kosten 35 bis 49 Euro. www.variete.de Lesen Sie auch Hannover: "Funky Town"-Premiere im GOP mit Hindernissen beim Abstand Einzelverfügung vom Land: GOP in Hannover darf wieder Shows zeigen Von Josina Kelz