VON MATTHIAS HALBIG
Es war einmal ein Sohn. Der starb an einer Überdosis, da wollte man sein ungeborenes Kindlein mit in den Brunnen fallen lassen. Eiskalt wie Schneewittchens Stiefmutter ist die feine ältere Dame im Schloss gegenüber der schwangeren Mousse: „Wir wünschen keinen Nachwuchs“, das erfährt die junge Frau am Tag der Beerdigung ihres Freundes.
Ein Todesurteil in kultiviertester Verachtung – nachdem sich der enttäuschende Junkiesohn den Goldenen Schuss gesetzt hat, soll seine verlotterte Junkieschlampe keinesfalls Ansprüche auf Familienbande erheben können. Hier ist nicht die trauernde Oma süchtig auf ihren Enkel, der doch ein Band herstellen könnte zum geliebten Toten, hier geht einzig Abtreibung. Diskret, der Familienarzt steht bereit. Mousse nickt das ab, flieht dann aber ans Meer.
In ein wunderschönes Landhaus in wunderschöner, strandnaher Landschaft, wie es in vergleichbarer Situation wohl kaum je eine abgebrannte Morphinistin gesehen hat. Dass Geld so überhaupt keine Rolle spielt hier, ist fast so märchenhaft wie es das geflügelte Baby in François Ozons vorherigem Film „Ricky“ war. Mousse hatte als 16jährige mal mit dem Besitzer geschlafen, sagt sie, der sei seither generös, außerdem fast blind, so dass auch Paul unentdeckt ruhig eine Weile abhängen kann.
Paul (Louis-Ronan Choisy) ist Louis‘ Adoptivbruder, ein rettender Prinz, attraktiv, sensibel und beschämt über den Umgang der Mutter mit Mousse. Er kümmert sich, lässt sich beschimpfen aber nicht abwimmeln und erweist sich als treuer Freund im Müßiggang der Guten-Hoffnung-Monate. Verliebt sich – obzwar schwul – und schläft sogar mit der Schwangeren. Sanft. A Tergo. Eine Liebesszene, wieder ganz weltenthoben, man glaubt fast, eine Sehnsucht des (homosexuellen) Regisseurs nach der Weitergabe seiner selbst an die nächste Generation auszumachen.
Ozons Geschichte ist ein berückender Stillstand wie die sachten cinéastischenBrisen eines Eric Rohmer. Er nimmt sich Zeit für die Werdung seiner Heldin, die von der (während der Dreharbeiten tatsächlich schwangeren) Isabelle Caré gespielt wird. Eben noch war da dieses Mädchen mit zerstochenen Armbeugen und dem Hader im Blick, nun ist da eine wunderschöne Prinzessin, deren Lächeln die Leute anzieht. Alle wollen ihren Bauch berühren. Der schwangere Bauch ist die Trauminsel im Trüben, Mittelpunkt des Universums.
Freilich ist da noch die Trauer, die aufbrechen muss und der Platz im Leben, der gesucht wird. Existentielles also. Das Kind ist bald auch auf der Welt, es darf um keinen Preis in den Brunnen fallen. In einer weiteren märchenhaften Wendung – der kindlichen Aussetzung – entdeckt die fliehende Mutter ihre Liebe zum Prinzen und stellt eine Rückkehr in Aussicht. Und wenn er bis dahin nicht gestorben ist, nimmt Paul all die bürokratischen Hürden, um als Kindsvater durchzukommen. Jetzt aber schnell den Abspann! Solche Hürden sind total antimärchenhaft.
„Rückkehr ans Meer“, F 2009, 88 Min. Regie: François Ozon. Darsteller: Isabelle Carré, Lois-Ronan Choisy.
Ein Märchen aus der Wirklichkeit. Ozon verhandelt Existentielles poetisch.